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Der Kanarienvogel

Alfred Bekker


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Der kleine Martin verzog das Gesicht, als er sah, wie seine Mutter sich setzte und mit einer zärtlichen Handbewegung über ihren angeschwollenen Bauch strich.

"Es kann jetzt jeden Tag soweit sein", sagte sie zu Papa.

Papa strich ihr über das Haar.

"Es wird schon alles gut über die Bühne gehen", meinte er.

Mama lächelte. "Weißt du noch, wie das war, als Martin kam?"

"Das werde ich nie vergessen", sagte Papa. "An dem Tag spielte England gegen Deutschland..."

"Und unsere Hebamme war in Urlaub gefahren!" ergänzte Mama.

Die beiden sahen sich an und schienen sich sehr zu freuen.

Aber Martin freute sich nicht.

"Ich möchte keinen Bruder!" sagte er, denn das es ein Bruder werden würde stand wohl fest. Jedenfalls hatte das der Arzt gesagt.

"Aber warum denn nicht?" fragte Mama und es klang sehr danach, daß sie das nur fragte, weil ihr nichts besseres einfiel. Sie war ziemlich verblüfft. Dasselbe galt für Papa.

"Ich will keinen Bruder, sondern lieber einen Kanarienvogel", sagte Martin mit großer Bestimmtheit.

"Ich dachte, du freust dich auf das Baby?"

"Nein. Jetzt nicht mehr."

"Wieso nicht?"

"Ein Kanarienvogel wäre einfach besser. Bei dem Baby müßte ich ja sowieso noch lange warten, bis es nicht mehr so herumschreit und man richtig mit ihm spielen kann."

Und außerdem sitzt ein Kanarienvogel im Käfig und nicht dauernd auf dem Schoß von Mama oder Papa! Aber das sagte Martin nicht laut. Das dachte er nur.

Als er abends im Bett lag, erzählte Papa ihm noch eine Geschichte. Hinterher fragte Martin: "Was meinst du, kommt das Baby schon morgen?"

"Kann gut sein", sagte Papa. "Genau wissen wir das auch nicht."

"Gehst du dann mit ins Krankenhaus?"

"Ja."

"Und was ist mit mir?"

"Oma kommt und paßt auf dich auf."

"Hm."

Er schlief ein, aber er schlief unruhig.

Am nächsten Ta war es tatsächlich soweit. Papa rief Oma an, damit sie herkam, Mama packte ein paar Sachen zusammen und als Oma dann endlich kam, fuhren die beiden los. Der Tag mit Oma war eigentlich ganz nach Martins Geschmack. Er durfte sich im Fernsehen angucken, was er wollte und bekam sein Lieblingsessen gekocht.

Es war schon sehr spät, als Mama und Papa zurückkamen.

Papa machte kein sehr glückliches Gesicht. Und Mama auch nicht. Sie war nämlich ganz verheult und hielt ein kleines Bündel in der Hand.

"Was ist los?" fragte Oma.

"Irgend etwas ist wohl nicht richtig gelaufen", sagte Papa.

"Statt eines Babys ist das da gekommen..." Er deutete auf das Bündel und Martin sah nun genauer hin.

"Ein kleiner Kanarienvogel...", murmelte Oma, wobei sich ihre Stirn in Falten legte.

"Wir brauchen wohl einen Käfig", meinte Papa. "Obwohl er noch nicht fliegen kann..."

Ein Lächeln ging über Martins Gesicht. Ein Kanarienvogel!

Genau, was er sich gewünscht hatte.

"Ich glaube, bei uns auf dem Dachboden ist noch ein Käfig!"

hörte er Oma sagen.

Und dann konnte niemand mehr irgendetwas sagen, denn nun erhob der Kanarienvogel seine schrille Stimme. Laut und hoch schmetterte er sein etwas eintöniges Lied. Martin mußte sich die Ohren zuhalten. Das war ja schlimmer als bei einem Baby!

*


Es wurde eine unruhige Nacht, denn der Vogel hörte nicht auf zu trällern. Und dieses Trällern war so laut, daß es die ganze Wohnung erfüllte und man sich kaum verständigen konnte.

An diesem Abend erzählte Papa Martin keine Geschichte. Es war einfach zu laut. Oma holte den Käfig, den sie noch hatte und dort wurde der kleine Vogel dann hineingesetzt. Er trällerte weiter ohne Unterlaß, so als hätte er einen Salat aus hundert Trillerpfeifen verschlungen.

"Ich kann so nicht schlafen!" rief Martin, als Papa schon in der Zimmertür stand und das Licht ausgemacht hatte.

"Wie bitte?"

Schließlich schlief er doch vor lauter Erschöpfung ein.

Irgendwann fühlte er dann, wie ihn jemand wachrüttelte. Als er die Augen aufschlug, sah er seinen Vater.

"Aufwachen!"

"Was ist denn los?"

Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Kanarienvogel nicht mehr herumträllerte.

"Das Baby kommt", sagte Papa. "Ich bringe Mama gleich ins Krankenhaus. Oma muß jeden Moment da sein, um auf dich aufzupassen."

Ich habe alles nur geträumt! ging es Martin durch den Kopf.

Er hörte, wie es an der Haustür klingelte. Das mußte Oma sein. "Wir müssen jetzt los", sagte Papa.

Bevor er ging, sagte Martin noch: "Vielleicht ist ein Bruder doch besser als ein Kanarienvogel."

Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten

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