Читать книгу Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten - Alfred Bekker - Страница 38
ОглавлениеDer Diakon
Alfred Bekker
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"Guten Tag, ich bin der neue Pfarrer", sagte der hoch aufge-schossene, etwas schlaksig wirkende Mann, während seine Lippen ein etwas gezwungen wirkendes Lächeln formten. Die kräftig gebaute Bäuerin, die ihm gegenüberstand, stemmte die Arme in die Hüften und musterte ihn von oben bis unten. "Ich hatte eigentlich gehofft, Ihren Mann zu treffen. Sie wissen, es gibt da eine strittige Frage zwischen der Kirchengemeinde und ihm...", fuhr der Pfarrer dann fort.
"Ich weiß", nickte die Bäuerin. "Es geht um dieses Grundstück. Also, an mir liegt es bestimmt nicht! Wenn ich die Sache zu bestimmen hätte, dann wäre das Stück Land längst an die Kirche verkauft und Sie könnten mit dem Bau des Kindergartens beginnen. Ich habe meinem Mann wirklich gut zugeredet, daß können Sie mir glauben. Aber in dieser Sache ließ er nicht mit sich reden, obwohl Ihr Vorgänger ihm einen guten Preis zahlen wollte und wir das Land nicht brauchen." Die Bäuerin zuckte die Achseln.
"Ihr Mann und mein Vorgänger haben sich nicht besonders verstanden - hat man mir erzählt!" begann der Pfarrer, während die Bäuerin eine wegwerfende Handbewegung machte.
"Das ist wohl reichlich untertrieben!" meinte sie. "Seit anderthalb Jahren gehen wir nun schon Sonntag für Sonntag in die Kirche der Nachbargemeinde.Aber kommen Sie doch erstein-mal herein. Eine Tasse Tee werden Sie sicher mittrinken!"
"Da sage ich nicht nein!" lächelte der Pfarrer und folgte der Bäuerin dann ins Haus.
"Eigentlich hatten wir immer ein gutes Verhältnis zur Kirche", fuhr die Bäuerin indessen fort, während sie den Tee aufsetzte. "Mein Schwager ist zum Beispiel sogar Diakon." "Diakon? Das ist ja interessant..."
Die Bäuerin sah sich suchend um und sagte dann: "Ich habe leider keinen Zucker mehr! Einen Augenblick. Ich bin gleich wieder da." Sie ging hinaus. Der Pfarrer sah durch das Fen-ster, daß der Bauer ihr entgegenkamen.
Sie sprachen laut genug, so daß der Pfarrer alles mithören konnte. "Das ist der neue Pfarrer. Sei freundlich zu ihm, hörst du?" sagte die Bäuerin.
Der Bauer kam in die Küche, wusch sich die Hände und brummten dabei eine Begrüßung in Richtung des Pfarrers. Dann nahm er sich eine Tasse und fragte: "Was wollen Sie?"
"Es geht um das Grundstück", begann der Pfarrer und erläuterte dann sein Anliegen in umständlichen Worten.
"Hm", knurrte der Bauer. In diesem Moment trat ein junger Mann ein, der unverkennbar der Sohn des Bauern war. Er wirkte abgehetzt. "Der Diakon spielt verrückt!" rief er. "Komm, du mußt mir helfen. Allein werde ich mit ihm nicht fertig!" "Ich dachte, du hättest ihn eingesperrt, Willy!" - "Ich hab's versucht, aber er war zu stark. Und jetzt tobt er wie ein Berserker herum!" - "Wenn wir uns zu zweit auf ihn stürzen, werden wir schon mit ihm fertig werden!" meinte der Bauer zuversichtlich. - "Er ist stärker als wir beide zusammen,Vater.
Und wenn er richtig durchdreht, dann gibt es kein Halten mehr! Weißt du noch? Beim letzten Mal hattest du eine gebrochene Rippe!" Der Bauer verzog grimmig das Gesicht.
"Soll er es nur versuchen, wenn er einen über den Schädel will! Er wird schon sehen, was er davon hat! Am liebsten würde ich ihn erschießen, wenn ich an den ganzen Ärger denke, den er uns macht!" Die Männer wandten sich zum Gehen, da faßte sich der Pfarrer ein Herz und schlug auf den Tisch.
Selbst, wenn er damit die Aussicht, jenes bestimmte Grundstück irgendwann für die Kirche erwerben zu können, endgültig verdarb - hier mußte er eingreifen!
"Was reden Sie eigentlich daher! Sie sollten sich schämen!"
rief er. "Ich kann mir doch nicht tatenlos anhören, was Sie mit dem Diakon anstellen wollen!" erwiderte der Pfarrer selbstbewußt.
"Mischen Sie sich da nicht ein!" fauchte der Bauer.
"Auch wenn er Ihnen Schwierigkeiten macht, man muß doch Barmherzigkeit walten lassen können!" Der Bauer verzog das Gesicht und wandte sich an seinen Sohn. "Komm, Willy!"
*
Der Pfarrer blieb wie angewurzelt stehen, während er von draußen Geräusche hörte.
"Na, los, nicht so zimperlich!" war die Stimme des Bauern zu hören. Indessen kam die Bäuerin wieder zurück.
Sie sah das entgeisterte Gesicht des Pfarrers und meinte dann: "Ja,ja... die beiden haben schon ihre liebe Mühe."
"Kümmert es Sie gar nicht, was da draußen Grausames geschieht?" rief der Pfarrer.
"Ach, das kommt hier öfter vor..."
Der Pfarrer stürzte an ihr vorbei nach draußen. Er mußte eingreifen. Ganz gleich, wie schwierig der Umgang mit diesem Diakon auch sein oder unter welchen Tobsuchtsanfällen er auch leiden mochte - so durfte man nicht mit ihm umgehen!
Der Pfarrer folgte den Geräuschen und war bald bei den Stallungen angelangt.
"Bleiben Sie, wo Sie sind!" wies ihn der Bauer an, als er an das Tor trat. "Der Diakon bringt Sie sonst noch um!"
Der Pfarrer erstarrte, als er den kräftigen Bullen sah, der mit gesenkten Hörnern dastand und angriffslustig mit den Hufen scharrte. Hinter sich hörte er Schritte. Die Bäuerin trat an ihn heran und sagte: "Das ist unser Zuchtbulle! Was der uns schon für Ärger gemacht hat!" - "Das ist der Diakon?"
Die Bäuerin lächelte. "Ja. Wissen Sie, beim Zuchtvieh muß der Anfangsbuchstabe des Namens angeben, um welchen Wurf es sich handelt. A steht für den ersten, B für den zweiten Wurf und so weiter.Und dieser hier war ein vierter Wurf und uns fiel einfach kein gescheiter Name mit D ein. Da hat mein Mann ihn 'Diakon' genannt. Was glauben Sie, wie das meinen Schwager geärgert hat!"