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Keine Fortschritte

Alfred Bekker


Nachdem die Bruckners mit ihrem kleinen Sohn zur ersten Vorsorgeuntersuchung gegangen waren, plagte sie und ihren Arzt einige Zeit der Verdacht, daß der Kleine taub sein könnte. Er hatte auf das Klatschen des Arztes nämlich nicht mit einem Schreckreflex reagiert, soviel Mühe dieser sich auch dabei gab.

Der Verdacht stellte sich schließlich als unbegründet heraus, der Junge entwickelte sich prächtig, präsentierte sich allerdings immer dann, wenn er dem Arzt vorgestellt wurde in einer besonders schlechten Tagesform.

In Anwesenheit des Arztes konnte der Kleine nicht sitzen, nicht sprechen und auch sonst nichts. Und wenn seine Mutter dann behauptete, daß er all das sonst aber durchaus schon könnte, dann sah der Arzt sie immer mit einem Blick an, der zu sagen schien: Die kann mir ja viel erzählen...

Nachdem der Kleine den Arzt dann beim Abhorchen angepinkelt hatte, war klar: Diese beiden würden fürs Erste sicher nicht Freunde werden.

Und nun war es wieder soweit. Eine Vorsorgeuntersuchung stand an und Frau Bruckner wartete zusammen mit ihrem Kleinen auf den Arzt.

"Das du mich heute nicht wieder so blamierst, hörst du?"

sagte sie, obwohl sie ahnte, daß das nicht viel nützen würde.

Als der Arzt durch die Tür des Behandlungszimmers kam, klammerte sich der kleine Junge sofort an seine Mutter.

"Ist ja gut", sagte sie. "Diesmal gibt's ja keine Impfung."

Der Arzt setzte ein freundliches Lächeln auf, das aber auf den Kleinen nicht viel Eindruck machte. Er beäugte den Mann im weißen Kittel mißtrauisch. Der Kleine hatte ihn noch von den letzten Untersuchungen in unanangenehmer Erinnerung. "War Irgend etwas besonderes mit dem Kleinen, Frau Bruckner?"

fragte der Arzt, der inzwischen sein Stethosskop hervorholte.

"Nein. Ich bin nur wegen der anstehenden Vorsorgeuntersuchung gekommen."

"Schön, daß Sie das so genau nehmen."

"Schließlich will ich ja nichts riskieren."

"Vernünftig. Wenn Sie den Kleinen jetzt bitte hier auf die Liege setzen und ausziehen würden."

"Ganz?"

"Ganz."

Unter einigen Schwierigkeiten zog Frau Bruckner ihren Jungen aus und nahm ihm auch die Windel ab. Der Kleine saß dann in sich zusammengesunken da und machte keinen sehr glücklichen Eindruck.

"Naja, inzwischen kann er wenigstens richtig sitzen", murmelte der Arzt. "Wie ist es denn mit dem Stehen?"

"Er kann sogar schon laufen."

"Ach, ja?"

Der Arzt nahm den Kleinen bei den Armen, hob ihn hoch um zu testen, ob er stehen konnte. Die Kleine hing wie ein nasser Sack an den Händen des Arztes und ließ die Beine einknicken.

"Aber zu Hause kann er das, ja?" fragte der Arzt dann, nicht ohne Süffisanz in der Stimme.

"Ja", knirschte Frau Bruckner. Der Arzt machte indessen einen entsprechenden Vermerk in seine Unterlagen.

"Und wie steht's mit dem Sprechen? Kann er denn schon so ein zwei Wörter. Mama, Papa... oder vielleicht sogar Ein- und Zweiwortsätze?" Der Arzt sah den Kleinen an und wiederholte.

"Mama..., Papa...." Aber der Kleine schien nicht sehr inter-essiert und bohrte statt dessen in der Nase.

"Er kann schon vollständige Sätze sprechen ", erklärte Frau Bruckner vielleicht etwas voreilig.

"Hm", machte der Arzt und sein Blick schien zu sagen: Ja, ja, ich habe öfter mal Mütter, die die Fähigkeiten ihrer Sprößlinge etwas überschätzen. Dann sagte er tröstend. "Naja, Sorgen machen muß man sich noch nicht. Er hat noch ein bißchen Zeit..."

Jetzt wurde es Frau Bruckner aber zu bunt. Zu oft hatte sie nach jedem Arztbesuch wenn schon nicht als Lügnerin, so doch zumindest als Angeberin dagestanden. "Aber er kann es doch! Glauben Sie mir!" Sie nahm den Kleinen auf den Arm, woraufhin er sich gleich wie ein Äffchen an sie klammerte, froh darüber, endlich der Reichweite des Arztes entkommen zu sein. "Nun sag doch mal was!" versuchte seine Mutter ihn zum sprechen zu bringen. Sie gab sich alle Mühe, aber dem Jungen war kein Ton zu entlocken.

"Wir sehen uns dann beim nächsten Mal, wenn sonst nichts weiter anfällt", verabschiedete sich der Arzt schließlich und ging hinaus. Frau Bruckner seufzte und machte sich daran, den Kleinen wieder anzuziehen.

Kaum war der Arzt aus dem Zimmer, da sagte der Junge: "Der Mann, der hat ein...", er brauchte ein bißchen, um das schwierige Wort herauszubringen, "...ein Ste... Stethoskop.

So eins hab ich auch. In meinem Arztkoffer!"

Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten

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