Читать книгу Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten - Alfred Bekker - Страница 29
ОглавлениеTabu-Brecher
Alfred Bekker
"Was schreibst du gerade?" fragte mich meine Frau, als sie auf die Terrasse kam. "Einen Krimi?"
"Nein", murmelte ich etwas abwesend, während meine Finger weiterhin über die Schreibmaschinentastatur glitten. "Kein Krimi."
"Was dann?"
"Eine Homureske."
"Worüber?"
"Über einen Schulrat."
"Darf ich mal lesen?"
"Erst wenn sie fertig ist."
Sie setzte sich zu mir und ich lehnte mich zurück.
Im Moment stockte der Schreibfluß etwas. Eigentlich war das Wetter auch viel zu schön zum Arbeiten. Plötzlich sagte meine Frau mit nachdenklichem Unterton: "Du hast jetzt schon so viele Romane und Erzählungen geschrieben, aber irgendwie..." Sie suchte nach den passenden Worten.
Ich hob die Augenbrauen. "Ja?"
"...irgendwie war noch nichts dabei, was die Leser so richtig geschockt hat. Etwas, daß sie aus dem Sessel gehauen hätte!"
Ich lachte. "Wer sagt, daß ich jemanden schocken oder aus dem Sessel hauen möchte. Eigentlich schreibe ich nur, um zu unterhalten..."
"Aber wenn eine Story von dir einen Skandal auslösen würde, wenn sich jemand beleidigt fühlt und dagegen prozessiert, dann wäre dein Name in aller Munde. Und das widerum würde bedeuten, daß du deine Geschichten im Endeffekt noch besser verkaufen könntest!" Meine Frau schien von der Idee, einen Skandal zu provozieren, ganz begeistert zu sein. "Man würde dich in alle nur erdenklichen Talk-Shows einladen und du könntest dann deine Skandal-Geschichte zu einem Skandal-Buch auswalzen, das du natürlich bei jeder Gelegenheit in die Kamera halten würdest."
"Sicher..."
"Dann säße auch bald ein neuer Wagen drin."
"Du vergißt eines", gab ich dann zu bedenken. "Und zwar das Wichtigste."
Sie sah mich erstaunt an. "So? Was denn?"
"Das Thema."
"Das dürfte doch nicht so schwer zu finden sein. Man nehme irgendein gesellschaftliches Tabu und breche es."
"Nenn mir ein Tabu."
"Religion."
"Wenn wir in einem islamischen Land lebten, würde das klappen. Aber in unserem verweltlichten Land? Das regt niemanden mehr auf."
"Gewalt, Sex, Obszönität..."
Ich schüttelte den Kopf. "Keine Chance. Das kennen die Leute aus dem Fernsehen viel zu gut, um sich noch darüber aufzuregen. Tut mir leid, aber das war einmal."
Wir gingen noch ein paar andere Möglichkeiten durch, aber schließlich mußten wir wohl oder übel immer zu demselben Schluß gelangen. Jedes nur erdenkliche Tabu schien bereits gebrochen und unglücklicherweise hat man für mich keines übriggelassen, um mich hervorzutun.
"Weißt du was?" meinte ich schließlich, nach einem Blick auf die Uhr. "Am besten verdiene ich jetzt ein bißchen Geld und schreibe meine völlig harmlose Schulrats-Homureske zu Ende. Von der wird zwar nicht die Welt aus den Angeln gehoben, noch wird sich jemand darüber aufregen, aber..."
"...aber vielleicht beschwert sich jemand bei der Redaktion, weil er sich nach der Lektüre zu doll auf die Schenkel geschlagen hat!" warf meine Frau ein.
Einige Wochen später erschien die Geschichte in der Wochen-endbeilage einer großen Tageszeitung. Ich freute mich des Honorars und die Leser, so dachte ich, hatten Freude an einer lustigen Geschichte über einen etwas verschrobenen Schulrat.
In der nächsten Woche bekam ich dann einen Anruf des zustän-digen Redakteurs. "Ja, wissen Sie, da ist etwas seltsames geschehen", hörte ich ihn sagen. "Auf Ihre letzte Geschichte hin hatten wir eine ganze Reihe empörter Anrufe von Schulamtsdirektoren und Schulräten..." Offenbar hatte ich ganz ohne Absicht doch noch ein ungebrochenes Tabu gefunden...