Читать книгу Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten - Alfred Bekker - Страница 31
ОглавлениеDer Gesundheitsapostel
Alfred Bekker
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Tante Martha war eine schon etwas in die Jahre gekommene Frau, die auf die Pflege ihres Äußeren ganz offensichtlich nicht mehr sehr viel Mühe verwandte. Den Erzählungen nach, die über sie in der Verwandtschaft kursierten hatte sie das allerdings nie getan. Ihr Haar wirkte wie ein Mob und das Kleid hing ihr wie ein Sack am Leib und paßte auch nicht in die Jahreszeit., Aber sie hatte eine herzensgute, gemütliche Art und brachte eine Menge Geschenke mit. Und zumindest in den Augen des dreijährigen Andreas wog das alle ihre Nach-teile entschieden auf. Als sie zu Besuch kam, begrüßte sie erst Papa, dann Mama und schließlich Andreas, der einen dik-ken Schmatz und einen Kasten mit Spielwerkzeug in die Hand gedrückt bekam. "Na, gefällt dir das, mein Kleiner?" - "Ja."
Was sagt man denn zu der Tante, wenn sie einem was schenkt?"
"Danke!" Tante Martha sah den kleinen Jungen voller Entzücken an und meinte dann an Papa gewandt: "Als ich euren Andreas das letzte Mal gesehen hab, da wurde er gerade getauft. Mein Gott, wie die Zeit so vergeht. Richtig groß ist er schon geworden." - "Ja", sagte Andreas stolz. "Drei Jahre bin ich schon!" Und dabei zeigte er ihr zwei Finger.
Sie gingen ins Wohnzimmer. Andreas packte auf dem Fußboden sein Werkzeug aus und die Erwachsenen ließen sich bei Kaffee und Kuchen in den tiefen Sesseln nieder. Da man sich lange nicht gesehen hatte gab es viel zu erzählen. Und am meisten erzählte Tante Martha. Ihr Mund bewegte sich unablässig und sie kam so kaum dazu, ihr Kuchenstück aufzuessen. Immer dann, wenn sie gerade wieder einen Bissen zum Mund führen wollte, schien ihr gerade etwas ungemein wichtiges einfgefallen zu sein, das jetzt unbedingt gesagt werden mußte. Wie gebannt hing Andreas' Blick an dem Mund der Tante. Auf das, was sie sagte, achtete er dabei kaum. Das war es auch nicht, was ihn an ihrem Mund so fesselte. Das war etwas ganz anderes. Tante Martha hatte nämlich keinen einzigen Zahn. Und so etwas hatte Andreas noch nie gesehen. Alle Menschen, die er kannte, hatten Zähne. So diskret es ging rutschte Andreas ein bißchen näher an die Tante heran, um einen besseren Blick auf das Unfaßbare zu haben, das es da in ihrem Mund zu beobachten gab. Irgendwann, als der Gesprächsfluß etwas abebbte und Tante Martha ihr Kuchenstück schließlich doch geschafft hatte, bemerkte sie den Blick des Jungen. "Na, was schaust du denn deine Tante so an?" erkundigte sie sich.
Und Andreas nahm jetzt seinen ganzen Mut zusammen, um das zu fragen, was ihn unter den Nägeln brannte. Jetzt oder nie! dachte er und fragte: "Sag mal, Tnate Martha, hast du eigentlich gar keine Zähne?" Einen Moment lang war Stille.
Dann sagte die Tante: "Nein, ich habe kein Zähne mehr."
"Aber wie kommt das?"
"Die sind mir nach und nach alle ausgegangen, mein Junge.
Und jetzt habe ich keine mehr." Der Junge brauchte einen Moment um das zu verdauen. Dann hakte er nach: "Aber warum sind die Zähne dir denn ausgegangen?" Die Tante seufzte und lächelte breit. "Weil ich früher zu viele Bonbons gegessen habe. Und Bonbons machen die Zähne kaputt."
"Oh", machte Andreas, sichtlich beeindruckt.
"Deshalb iß du besser auch nicht so viele, sonst geht es dir eines Tages so wie mir und du hast keinen Zahn mehr im Mund!" Später brachte Papa die Tante zum Bahnhof. Andreas fuhr auch mit. Auf dem Rückweg wollte Papa noch zur Apotheke.
Der Apotheker war ein hagerer, freundlicher Mann in einem weißen Kittel. Er beugte sich zu Andreas nieder und fragte: "Na, soll ich dir denn auch ein Bonbon geben, kleiner Mann?"
Andreas machte ein empörtes Gesicht. "Nein, danke! Bonbons machen doch die Zähne kaputt!" erklärte er voller Empörung.
Der Apotheker war sprachlos. Als sie draußen waren, fragte Andreas seinen Vater: "Wie kann der Mann aus der Apotheke nur so etwas tun und mir ein Bonbon anbieten? Er soll Medizin verkaufen, die gesund macht - aber keine Bonbons
verschenken!" Papa zuckte die Schultern und erwiderte: "Für die Zähne sind die Bonbons schlecht, aber für seine Apotheke sind sie gut."- "Wieso denn?" - "Weil alle Kinder zu ihren Eltern sagen: Laß uns in die Apotheke gehen, in der es Bonbons gibt! Und je mehr Leute bei ihm kaufen, desto mehr Geld bekommt er und desto besser geht es seiner Apotheke!"