Читать книгу Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten - Alfred Bekker - Страница 34
ОглавлениеEin dicker Fang
Alfred Bekker
––––––––
Hans Raschke ließ den Blick über das schilfbewachsene Ufer gleiten. Er stand auf der Veranda seines Ferienhauses und sog die frische Luft ein. In der Nähe des Bootsanlegers stand Peter, sein achtzehnjähriger Sohn und angelte. Peter stand schon den ganzen Tag da und hatte bislang nichts gefangen.
Aber das schien ihm nichts auszumachen. Er war zufrieden.
Wenn er da so steht, sieht er ganz normal aus, dachte Raschke. Peter hatte weder hängende Gesichtszüge, noch flaschen-dicke Brillengläser, einen trüben Blick oder irgendetwas anderes an sich, woran die meisten Menschen jemanden erkennen zu können glaubten, der geistig behindert war. Raschke sah seinem Sohn noch einen Moment lang zu, dann ging er durch die offene Terrassentür ins Haus.
"Was macht er?" fragte seine Frau.
"Er angelt."
"Seine Ausdauer ist schon ziemlich bemerkenswert dabei."
Raschke nickte. "Ja, vor allem, wenn man bedenkt, daß er noch nie etwas gefangen hat. Seit zehn Jahren angelt er, immer wenn sich dafür irgend eine Gelegenheit ergibt, aber er hatte noch nie einen Fisch in seinem Eimer."
"Ach!"
"Er hat wohl ab und zu schonmal einen dran gehabt, aber wenn es dann ums Rausziehen ging, dann war er einfach zu langsam und hat ihn jedesmal verloren."
"Hauptsache, er hat Spaß dran und keine Langeweile." Sie seufzte. "Ich habe Kaffee gemacht. Willst du eine Tasse?"
"Gerne!" Der Klang einer lauten, recht herrisch klingenden Stimme ließ Raschke sich in diesem Moment umdrehen. Er sah duch die offene Terassentür, daß ein hochaufgeschossener, hagerer Mann über die Nachbargrundstücke gekommen war und sich nun recht breitbeinig und mit wichtiger Miene vor Peter auf-stellte. Raschke konnte nicht alles verstehen, was der andere sagte, aber es klang nicht sehr freundlich. Irgendwie ging es wohl um einen nichtvorhandenen Angelschein.
Raschke ging hinaus. Als er sich dem Bootsanleger näherte, bemerkte ihn der Mann und drehte sich herum. Er stellte sich als zweiter Vorsitzender des hiesigen Anglervereins vor, der darüber hinaus auch noch die Funktion eines Fischwarts ausübte. "Der junge Mann hier kann nicht einfach angeln, ohne einen Angelschein zu haben", sagte der Hagere. "Wo kämen wir denn dahin, wenn hier jeder nach Belieben die Fische herausholen würde, die unser Verein im übrigen gesetzt hat!"
Raschke holte tief Luft, aber sein Gegenüber war schneller und fuhr bereits fort, noch ehe Raschke auch nur einen einzi-gen Laut über die Lippen gebracht hatte. "Unsereins kümmert sich darum, daß überhaupt Fische im See sind und andere holen die dann einfach heraus..."
"Im Prinzip haben Sie sicher recht", sagte Raschke.
"Ist das Ihr Sohn?"
"Ja."
"Dann sagen Sie ihm, daß er seine Sachen zusammenpacken soll und daß ich ihn nicht nochmal dabei erwischen will.
Andernfalls..."
"Hören Sie..."
Raschke nahm den hageren Mann etwas zur Seite und erklärte diesem dann in knappen Worten, was es mit Peters Angelei auf sich hatte. "Er ist behindert und hat in seinem Leben noch keinen Fisch gefangen und es wäre sehr unwahrscheinlich, wenn ihm daß gerade heute glücken sollte. Sie können also ganz unbesorgt sein, was Ihre ausgesetzten Fische angeht."
"Ja, aber trotzdem!" ereiferte sich der Hagere. Er sah völlig verständnislos auf Raschke herab. "Es geht doch wohl hier nicht darum, ob jemand behindert ist oder ob er viele oder wenige Fische fängt..."
"Oder gar keine!" warf Raschke dazwischen.
"Es geht ums Prinzip!" behauptete indessen der Hagere.
"Hier kann nicht jeder machen, was er will! Und wenn Sie hier Schwierigkeiten machen, dann werde ich eben die Polizei kommen lassen, die dann das Angelzeug Ihres Sohnes beschlagnah-men wird."
Nun wurde es Raschke zu bunt.
"Gut", sagte er. "Dann tun Sie das! Wenn Sie meinen, daß die Polizei keine wichtigeren Aufgaben hat, als einem Geistig behinderten, der mehr oder weniger so tut, als würde er Fische fangen, das Angelzeug wegzunehmen, dan rufen Sie sie nur!" Der Hagere wollte etwas erwidern. Seine Brust war bereits entsprechend angeschwollen und sein Mund stand halb offen, da stockte er plötzlich und deutete zum Anleger, wo Peter noch immer mit der Angel in der Hand stand. "Da zieht doch etwas an der Schnur!" meinte er. "Da kann mir doch keiner was erzählen! Von wegen, der fängt nie einen Fisch! Da zieht was!" Und tatsächlich! Die Angelrute bog sich deutlich.
Die Schnur war stramm gespannt. Oh nein, das darf doch nicht wahr sein! dachte Raschke. Zehn Jahre und kein Fisch! Und ausgerechnet jetzt mußte es passieren! Er hätte sich wirklich keinen ungünstigeren Moment dafür aussuchen können! ging es durch Raschkes Kopf. Peter war einen Moment lang völlig perplex und starrte ungläubig auf das Wasser.
"Da sehen Sie's, wohin das führt!" ereiferte sich der Hagere. "Ich möchte wissen wieviele Fische Ihr Junge uns schon aus dem See geholt hat. Natürlich ohne irgendwelche Regeln zu beachten... Meine Güte, das muß ein Riesenfisch sein!" Peter zog mit einem kräftigen Ruck an seiner Angel und einen Augenblick später hatte er seine Beute an Land. Sie starrten alle drei ziemlich ungläubig drein. Was Peter da ge-angelt hatte, war wirklich riesig. Es war ein alter Schuh.
Raschke mußte unwillkürlich lächeln und auch die Züge des hageren Vereinsmeiers entspannten sich etwas, angesichts dieser Wendung. "Jetzt sagen Sie bloß, daß Ihr Verein auch solche Fische ausgesetzt hat!" meinte Raschke dann.