Читать книгу Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek - Страница 29
Prolog
ОглавлениеDas Licht fiel durch die runden, mit Metallkreuzen beschlagenen Fenster in den gewaltigen Raum. In jenem mystischen Schein tanzte der Staub, flirrte vorbei an Regalen, alten Folianten und Papyri. Der Teppichboden, mochte er noch so sehr gepflegt werden, war ausgetreten; verschlissen vom Zahn der Zeit.
Der Essenzstabmacher rumorte leise. Gebeugt über alte Schriften hatte er die Welt um sich herum vergessen.
Gut so.
Die Schattenfrau glitt unbemerkt heran. Das Nebelfeld umhüllte ihr Angesicht, den gesamten Körper, ließ nur die Umrisse sichtbar erscheinen.
In stiller Erregung stellten sich die Haare auf ihrem Arm empor; sie bekam eine Gänsehaut. Nach einem solch langen Leben geschah das kaum noch. So kurz vor der Vollendung des Meisterplans konnte jedoch selbst sie sich der Aufregung nicht entziehen. So viel hing von so wenig ab. Ein fragiler Plan.
In einigen Stunden sollten Alexander Kent und Jennifer Danvers hier auftauchen. Sie hatte dafür gesorgt, dass Mark Fentons Essenzstab bei dessen Tod vernichtet wurde. Normalerweise suchte der Stab des Magiers selbstständig nach dem Erben, tauchte einfach bei ihm oder ihr auf. Nur wenn das kostbare Artefakt wider Erwarten zerstört wurde, musste der Stabmacher tätig werden.
Alles fügt sich.
Der alte Mann durchwühlte einen Stapel Pergamente, brabbelte etwas Belangloses.
»Du hast dich nicht verändert.« Sie glitt auf ihn zu.
Sein Kopf ruckte herum. Augen, die die Ewigkeit gesehen hatten, taxierten sie. Eine Narbe zog sich über die rechte Wange, ein kleineres Gegenstück über die linke. Ein Vollbart bedeckte sein Gesicht. »Du.« Er nahm es hin, dass sie die Schutzzauber um das Refugium hatte überwinden können. »Das ist das dritte Mal, dass unsere Wege sich kreuzen. Ich hätte dich für klüger gehalten.«
»Nun ja, beim ersten Mal hast du gewonnen, beim zweiten Mal ich.« Sie kam gemächlich näher. »Unentschieden ist so langweilig. Es heißt doch: Aller guten Dinge sind drei.«
Sie zog ihren Essenzstab.
Er tat es ihr gleich.
Natürlich achtete sie sorgfältig darauf, dass das Nebelfeld auch den Stab umhüllte. Gerade er durfte ihn auf keinen Fall sehen, er würde das Artefakt sofort erkennen und zuordnen können.
»Was willst du?«, fragte er. »Bist du gekommen, um mich zu töten?«
»Aber keineswegs«, erwiderte sie. »Das hätte ich damals schnell und sauber erledigen können. Du wirst noch gebraucht, alter Mann. Nein, ich will etwas haben, das sich in deinem Besitz befindet.« Sie ließ ihn sogar wissen, worum es sich handelte.
Ein Lachen hallte ihr entgegen. »Niemals. Es ist nicht nur mein kostbarster Besitz, er wird auch benötigt, um Essenzstäbe herzustellen.«
Sie bedachte ihn mit einem höhnischen Blick. »Das ist mir völlig egal. Ich brauche es. Natürlich wirst du es mir nicht geben, aber damit habe ich auch nie gerechnet.« Sie hob den Stab. »Andere werden mir die Tür öffnen. Ob sie es wollen oder nicht.«
Mit einer Agilität, die niemand dem alten Mann zugetraut hätte, sprang er zur Seite, sein Essenzstab zuckte.
Zauber wurden gewirkt, magische Symbole leuchteten auf. War der Zauber sehr komplex, mussten Worte der Macht gesprochen werden. Und sollte er in Material einwirken oder wollte der ausführende Magier ihn verstärken, half nur der Stab. Doch das unterarmlange Artefakt besaß noch einen anderen Nutzen. Im Kampf konnte es geführt werden wie ein Schwert.
Blitze zuckten durch die Luft, als der Essenzstabmacher seinen Stab gegen den ihren schlug. Sie umtänzelten einander. Mal schleuderte sie einen Kraftschlag, mal er einen Feuerball. Jeder parierte die Attacke des anderen. Eine Finte jagte die nächste, dann prallten die Stäbe erneut gegeneinander. Blitz um Blitz flog umher, erhellte das Dämmerlicht in der Bibliothek.
Querschläger schossen davon, krachten in die Regale oder fraßen sich in Bücher. Papyri entflammten, Folianten verkohlten. Worte, geschrieben mit uralter Tinte, Blut oder Asche, wurden für immer ausgelöscht; das Wissen ging verloren.
Sie wusste, dass ihn der Verlust schmerzte.
Jene Bücher waren ihm wichtig. Zeit seines Lebens hatte er selbst zahlreiche ähnliche Schriften verfasst, was den besonderen Fähigkeiten geschuldet war, über die er gebot. Geboten hatte. Denn nach der Errichtung des Walls waren sie vollständig verschwunden.
Also hatte er damit begonnen, die Folianten und Bücher zusammenzutragen, die den Nachhall seiner alten Macht beinhalteten. Geschrieben von Menschen, die durch ihn beeinflusst worden waren oder selbst über eine ähnliche Macht verfügt hatten. Selbst heute noch war sein Name Legende.
»Degradiert von Saint Germain zu einer Puppe«, keifte er. »Du bist nicht mehr als der Schatten, der dein Antlitz umhüllt.«
Sie lachte. »Ein dreister Versuch, mich über meine Emotionen zu manipulieren. Ich versichere dir, der Schattenschleier wird fallen.« Beinahe hätte sie die Fäuste geballt. »Aber zur richtigen Zeit.« Nicht, dass sie dabei eine Wahl gehabt hätte, doch das musste er nicht wissen.
In einer blitzschnellen Fingerbewegung wob der Essenzstabmacher einen Transformationszauber, der die Luft um sie herum verfestigte. Ein simpler, aber effektiver Trick. Sie transferierte ihrerseits durch den Nebel an einen anderen Punkt des Raumes.
Während er noch verblüfft realisierte, dass sein Angriff erfolglos geblieben war, versetzte sie den Regalreihen einen Kraftschlag. Wie hintereinander aufgereihte Dominosteine kippten sie um, begruben ihren Gegner unter sich.
Sie trat an seine Seite.
Der Essenzstab ihres Feindes lag in unerreichbarer Ferne, irgendwo unter dem Trümmerfeld.
»Damit steht es zwei zu eins. Ich gewinne«, höhnte die Schattenfrau. »Das tue ich immer. Bereiten wir nun alles für die Ankunft unserer Ehrengäste vor.«