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5. Alles auf Risiko

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Clara lächelte.

Es fühlte sich an, als wäre Chloe nie weg gewesen. Ihre grünen Haare wippten bei jeder Umarmung, in die sie gezerrt wurde. Sie machte sich einen Spaß daraus, Max’ Haar noch mehr zu verwuscheln. Prompt vergalt er Gleiches mit Gleichem.

»Wo warst du?«, fragte Chris schließlich.

»Top Secret«, erklärte Chloe. Sie warf sich auf die Couch. »Aber ich bin froh, dass es vorbei ist. Diese Solonummern nerven. Total langweilig. Nur, weil ich sowohl in Magie als auch in der Anwendung von Technologie so absolut genial bin …«

»Boah, riecht ihr das auch?«, stichelte Chris. »Stinkt es hier irgendwie nach Eigenlob?«

Chloe legte ihre Füße in den nietenbesetzten Boots auf dem Tisch ab. »Hey, keine Angst, die Rolle des Muskelprotzes mache ich dir nicht streitig, Tattoo-Boy. Jeder hat seine Vorzüge.«

Chris grummelte gespielt beleidigt, machte gleichzeitig aber einen geschmeichelten Eindruck.

»Du weißt von Mark?«, stellte Clara die rhetorische Frage.

»Und da haben wir auch schon den Elefanten im Raum«, erwiderte Chloe. Kurz schimmerte der Schmerz durch, doch die Freundin ging grundsätzlich nicht mit ihren Gefühlen hausieren. Sie schüttelte den Kopf und vertrieb jede sichtbare Emotion. »Klar. Ich habe gerade einen verdammt gefährlichen Hack durchgeführt. Der Server ist echt von ’nem Paranoiker gesichert worden. Na ja, letztlich hatte er mit der Vorsicht ja recht. Egal. Auf jeden Fall bin ich danach fast vom Stuhl gekippt. Wollte eigentlich sofort zu euch zurückkommen, aber die Sache war dem Rat ziemlich wichtig. Haben wir einen Neuen oder eine Neue?«

Clara fasste die Ereignisse der letzten Tage zusammen. »Jen und er besorgen gerade bei Nostradamus einen Essenzstab.«

»Ich bin gespannt auf den Newbie«, Chloe grinste. »Die sind immer wie goldige Welpen. Tapsen rum, stellen Schabernack an und verhunzen erst mal jeden Zauber. So toll, wie alle sagen, sind diese ererbten Erinnerungen gar nicht. Sehr löchrig das Ganze.« Sie stellte die Füße auf dem Boden ab. »Aber was war das mit dem möglichen Verräter?«

Clara breitete die Arme aus. »Jemand hat das Artefakt manipuliert, an der Tatsache führt kein Weg vorbei. Eigentlich kann es nur einer vom Rat gewesen sein.«

»Und dieser Jemand soll auch gleich noch die Schattenfrau sein?« Chloe wirkte skeptisch. »Also, das halte ich doch für weit hergeholt. Aber einen Verräter hatten wir ja schon einmal, lange vor unserer Zeit.« Sie klatschte in die Hände. »Endlich ist in dem verstaubten Laden mal wieder was los.«

Max ließ eine Kaugummiblase platzen. »Ehrlich gesagt war es etwas viel in den letzten Tagen. Jen und der Neue giften sich an, der Foliant, ein angeblicher Verräter. Dann dieser seltsame Bund, der versucht hat, Alex zu töten …«

»Wie sage ich immer: Neues Problem, bitte hinten anstellen. Eines nach dem anderen.«

Kevin zuckte mit den Schultern. »Wir sind nur leider so gar nicht weitergekommen. Abgesehen davon, dass die Schattenfrau überall in der Geschichte ihre Finger im Spiel hatte, wissen wir kaum etwas.«

»Also, erst einmal wäre es ganz nützlich, wenn ich ein paar der Bilder einscanne, auf denen das Weib zu sehen ist«, meinte Chloe. »Dann kann ich die durch mein Bildabgleichsprogramm jagen. Mit etwas Glück finden wir noch mehr Material, das irgendwo im Internet veröffentlicht wurde. Ausschnitte aus alten Büchern, Gemälde, all das Zeug. Irgendwann, irgendwo muss sie das erste Mal in Erscheinung getreten sein. Finden wir diesen Moment, kriegen wir ihre Identität raus.«

»Das klingt gut.« Chris saß im Sessel, öffnete eine Flasche Milch und trank direkt draus, was ihm einen bösen Blick von Clara einbrachte. Er ignorierte ihn natürlich.

»Aber was machen wir wegen dem Verräter?«, überlegte Kevin. »Der Rat wird eigene Untersuchungen anstellen, sie aber kaum mit uns teilen.«

Clara räusperte sich. »Ich werde mal bei Gryff nachfragen. Er ist ja grundsätzlich ganz umgänglich.« Werde ich rot? Sieht man es mir an?

Chris schaute skeptisch drein. »Der Kerl ist ein harter Brocken. Aber versuch dein Glück.«

Chloes Augenbrauen wanderte in die Höhe, sie verkniff sich jedoch einen Kommentar. Da die Freundin einen siebten Sinn für sich anbahnende Liebesgeschichten hatte, ahnte sie vermutlich etwas. Sie war die Erste gewesen, die Max und Kevin »Nehmt euch endlich ein Zimmer!« zugerufen hatte.

»Warum nehmen wir nicht den direkten Weg?«, fragte Chloe. »Diese umständliche Informationsbeschaffung aus zweiter Hand muss doch nicht sein.«

»Klar«, kommentierte Kevin. »Tolle Idee. Wir stellen uns in die Eingangshalle des Castillos und brüllen in die Runde ›Wer von euch ist der Verräter?‹. Du warst echt lange auf Solomission unterwegs.«

»Du willst wohl wieder von der Decke baumeln, Grant.« Chloe sagte es ganz bewusst gespielt schnippisch.

»Versuch dein Glück, O’Sullivan«, gab er grinsend zurück. »Mein Essenzstab schlägt deinen um Längen.«

»Oha, hat da jemand zu viel am Bier genippt?«

»Hat da eine am Grünfärbemittel geschnuppert?«

Sie lachten beide.

Chloe und Kevin waren ein Herz und eine Seele, was sich meist daran zeigte, dass sie sich kabbelten. Sollten er und Max irgendwann heiraten, würde sie vermutlich den heftigsten Junggesellenabend veranstalten, den die Welt je gesehen hatte.

»Aber mal im Ernst«, kehrte sie wieder zum Thema zurück. »Der Rat hat längst ermittelt, wenn sie einen solchen Verdacht hegen. Also wissen die Räte Bescheid, allen voran Johanna und Leonardo.«

»Vermutlich«, erwiderte Clara.

»Dann holen wir uns die Infos doch einfach von unserem herzallerliebsten Universalgenie Leonardo da Vinci.«

»Ich traue mich ja fast nicht zu fragen«, warf Chris ein, »aber: Wie willst du das machen?«

Chloe grinste frech. »Wir brechen in sein Büro ein. Na ja, es ist nicht abgeschlossen, also öffnen wir genau genommen einfach die Tür.«

»Okay«, stöhnte Chris. »Ich hätte tatsächlich nicht fragen sollen. Wir spielen also Oceans Five. Und wie willst du … Das ist nicht dein Ernst?«

»Aber ja doch.« Gelassen verschränkte Chloe die Arme. »Warum denn nicht? Immerhin geht es hier um unsere Sicherheit.«

»Ja, genau, warum nicht?!«, rief Max. »Wovon sprechen wir hier gerade?«

»Die Mentigloben.« Clara hatte mittlerweile begriffen, worauf die Freundin hinauswollte.

Um wichtige Erinnerungen zu konservieren, waren Lichtkämpfer angehalten, ihre Fallprotokolle aus Kopien der eigenen Erinnerungen teilweise in der runden magischen Sphäre zu hinterlegen. Auch Räte taten das. Clara wusste, dass die Ratszusammenkünfte vom Protokollanten in einem Mentiglobus gespeichert wurden. Besagter Protokollant war Leonardo. Es galt als schweres Vergehen, ohne Erlaubnis in die Erinnerung eines Magiers vorzudringen. Egal, ob durch einen Offensivzauber oder das Auslesen eines Mentiglobus. Zusammen mit den Informationen schwappten manchmal auch persönliche Gefühle und privates Wissen herüber.

Die Mentigloben von Lichtkämpfern wurden daher sofort im Archiv gesichert. Ein Ort, den normale Magier fast niemals aufsuchen durften und der sich nicht im Castillo befand. Den Unsterblichen blieb es selbst überlassen, was sie mit ihren konservierten Erinnerungen anstellten. Es stand außer Frage, dass Leonardo sie niemals aus der Hand gab. Er hatte mehrfach angedeutet, dass er das Archiv nicht mochte.

»Einen Versuch ist es wert«, murmelte Clara.

»Dann ist es beschlossen.« Chloe sprang grinsend auf. »Holen wir uns die Erinnerung an die letzte Ratssitzung.«

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik

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