Читать книгу Hexen, Mörder, Henker - Anna Ehrlich - Страница 11
Der Mord am Münzmeister Schlom
ОглавлениеDer reiche Jude Schlom stand bei Herzog Leopold V. (reg. 1176–1194) in hoher Gunst, er hatte es bis zum Münzmeister, »super officium monetae«, gebracht. Durch seine weitreichenden Verbindungen war es ihm gelungen, den Transport des englischen Lösegeldes für König Richard »Löwenherz« nach Wien perfekt zu organisieren, woraufhin ihn der dankbare Herzog mit der Ausmünzung dieser 50.000 Silberbarren betraut hatte. Auch Leopolds Sohn Herzog Friedrich I. (reg. 1195–1198) schenkte ihm sein Vertrauen und bestellte ihn zu seinem Güterverwalter. Schlom war ein einflussreicher Mann, dessen Amt dem eines heutigen Finanzministers vergleichbar war. Er war sehr wohlhabend und besaß vier Grundstücke auf dem heutigen Areal Seitenstettengasse Nr. 4 bis 6, weitere Grundstücke vor der Stadtmauer im Bereich der heutigen Goethegasse sowie Weingärten in Baumgarten (heute 14. Bezirk). Dort, wo jetzt der Stadttempel in der Innenstadt steht, führte er ein großes Haus und beschäftigte neben jüdischen auch christliche Diener, was das 3. Laterankonzil schon 1179 verboten hatte. Der Kirche und vor allem den Wiener Patriziern war Schlom ein Dorn im Auge, denn der Jude nahm eine Stellung ein, die ihrer Meinung nach einem von ihnen, jedenfalls aber einem Christen gebührte.
Wien glich im Jahre 1196 noch immer einem Ameisenhaufen. Kreuzfahrer aus aller Herren Länder hielten wie schon seit etwas mehr als einhundert Jahren hier längere Rast vor der Weiterreise nach Ungarn. Dabei kamen neben frommen Männern und Frauen auch andere: fanatische Mönche, mittellose Raufbolde, entlaufenes Gesinde(l) und Entwurzelte. Papst Urban II. (Odo de Chatillon, reg. 1088–1099) hatte nämlich bereits 1095 in Clermont gesagt: »Mögen diejenigen, die bis jetzt Räuber waren, Soldaten werden …, mögen diejenigen, die sonst Söldlinge waren um schnöden Lohn, jetzt die ewige Belohnung gewinnen«.4 Aufgestachelt durch Wanderprediger führten sich viele dieser ungebetenen Gäste sehr übel auf: man betete und soff abwechselnd, vor allem aber geiferte man gegen alle Ungläubigen, gegen »Ismaeliten« und gegen Juden, die »Gottesmörder«. So kam es in Wien zu folgendem Zwischenfall:
Ein christlicher Diener Schloms bereute plötzlich, einem Juden unterstellt zu sein und nahm das Kreuz. Das Reisegeld »verschaffte« er sich von seinem Herrn, indem er ihm 24 Mark Silber stahl. Das waren etwa sechs Kilogramm Silber, was nach dem damaligen Wechselkurs dem Wert von einem Kilogramm Gold entsprochen haben dürfte. Keine geringe Summe! Schlom erhob daher Klage gegen ihn und ließ ihn einkerkern. »Der Jude hat den Christen in den Kerker geworfen«, heulte daraufhin die Frau des Diebes in die Menge der Kreuzfahrer. »Tötet den Juden!« Ihr Ruf wurde aufgenommen, von vielen Kehlen weitergetragen, schwoll an und riss das ganze Volk mit sich, voran und immer weiter, bis zum Haus des Schlom und dort hinein. Vergeblich trat der alte Jude mit beruhigender Geste den Tobenden entgegen, vergeblich weinten seine kleinen Enkel. Die ganze Familie und ihre Dienerschaft, insgesamt sechzehn Menschen, wurden in »heiligem Eifer« erschlagen. Dann fielen die Missetäter über Schloms Weinfässer her. Erst jetzt tauchten die Männer des Herzogs auf, zu spät für Schlom. Der Mob stob nach allen Seiten auseinander, aber ein Dutzend Betrunkene wurde vor den Herzog gebracht. Friedrich, vom rüden Benehmen und den vielen Unverschämtheiten der unwillkommenen »heiligen Touristen« seit langem genervt, schäumte vor Wut. Er machte mit den beiden Rädelsführern kurzen Prozess und ließ sie sofort enthaupten, was ihm natürlich Vorwürfe seitens der Kirche eintrug. Die anderen ließ er daher laufen.
Der Fall Schlom war »Chefsache«, denn auf Grund des Judenregals waren die Juden des Herzogs persönliche Knechte und standen unter seinem besonderen Schutz, ganz wie seine anderen Diener auch. Sein Vorgehen war nicht nur eine Strafe für die Untat, sondern Warnung an alle. Denn dass Kreuzfahrer sich an Juden vergriffen, war damals nichts Neues mehr: schon hundert Jahre zuvor, anlässlich des Ersten Kreuzzugs von 1096, war es in den deutschen Städten Speyer, Worms und Mainz und auch in Prag zu schrecklichen Massakern gekommen. »Als sie nun auf ihrem Zuge durch die Städte kamen, in denen Juden wohnten, riefen sie untereinander: Sehet, wir ziehen den weiten Weg, um die Grabstätte aufzusuchen und uns an den Ismaeliten zu rächen, und siehe, hier wohnen unter uns die Juden, deren Väter ihn unverschuldet umgebracht und gekreuzigt haben! So lasset zuerst an ihnen uns Rache nehmen und sie austilgen aus den Völkern, daß der Name Israel nicht mehr erwähnt werde; oder sie sollen unseresgleichen werden und zu unserem Glauben sich bekennen«, berichtet der Zeitgenosse Orderic Vital. Die strenge Botschaft Herzog Friedrichs wurde verstanden, es kam während der Kreuzzüge in Wien zu keinen ähnlichen Ausschreitungen mehr.