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Hostienschändung und Blutwunder
ОглавлениеUm die Menschen von damals in ihrem Judenhass zu verstehen ist es nötig, sich mit der Lehre der Transsubstantiation auseinander zu setzen. Aus ihr leitete sich der in Mittelalter und Neuzeit weit verbreitete Glaube ab, dass Christus in der Hostie körperlich gegenwärtig und daher als Mensch verletzbar sei. Man argumentierte: Jesus war von den Juden (als Kollektiv) ans Kreuz geschlagen worden und sie hatten dies nie bereut, ganz im Gegenteil, sie versuchten (als Kollektiv) dieses Verbrechen durch die Schändung von Hostien immer aufs Neue zu begehen und Christus zu foltern, der diese Schmerzen körperlich jedes Mal fühlte. Die Schändung erfolgte durch Verspottung und Durchstechen der Hostien mit Nägeln und Nadeln. Als Beweis dafür führte man blutende Hostien an, die es tatsächlich gibt: Es handelt sich dabei um Bakterienkolonien, die den Eindruck geronnenen Blutes erwecken. Ein bestimmter Mikroorganismus bildet auf stärkehaltigen Lebensmitteln, zum Beispiel Brot, mit Milch zubereiteten weißen Bohnen oder Kartoffeln und Polenta, bei Zimmertemperatur ein blutrotes Pigment, das Prodigiosin. Wegen seiner Wirkung auf die verängstigte, abergläubische Bevölkerung wird dieser harmlose Keim in Anlehnung an das lateinische Wort »Prodigium« (Wunder) »Monas prodigiosa« genannt. Hostien stellen einen stärkereichen und säurearmen Nährboden dar, auf dem das »Bacterium prodigiosum« besonders gut gedeihen kann. »Wischte man die Bluttropfen weg, so erschienen sie nach einigen Tagen wieder«, kommentierte ein Chronist das Unbegreifliche.9 Es ist verständlich, dass in jenen wundergläubigen Zeiten dieses unheimliche Phänomen zu Massenhysterien führen musste.
Ein solches »Wunder der blutenden Hostie« ereignete sich im Jahre 1263 in der Kirche Santa Cristina zu Bolsena. Peter von Prag, ein eben nach Rom pilgernder böhmischer Mönch, hegte – wohl unter dem Einfluss der Albigenser – Zweifel an der Transsubstantiation, an der Wandlung von Brot und Wein in den echten Leib und das echte Blut Christi. Als er beim Lesen der Messe in Bolsena an den von ihm geweihten Hostien Blutstropfen zu sehen glaubte, war er überzeugt, der Leib Christi hätte wegen seiner blasphemischen Gedanken zu bluten begonnen. Nachdem er seine Sünde bitter bereut und tief zerknirscht gebeichtet hatte, wurden die »blutigen« Wunderhostien mit dem »blutbefleckten« Corporale feierlich nach Orvieto gebracht. Dort hielt sich zu dieser Zeit Papst Urban IV. (Jacques Pantaléon, reg. 1261–1264) auf, der unter dem Eindruck des »Wunders« das ursprünglich auf Belgien beschränkte Fronleichnamsfest (»Processione del Corpus Domini«) für die gesamte westliche Christenheit einführte und in Orvieto einen Dom für die Reliquien von Bolsena errichten ließ.
Auch aus Wien ist ein »Blutwunder« überliefert. 1583 schlich sich ein Zimmermann in die Schottenkirche und brach das Sakramentshäuschen auf. Er nahm die Hostien heraus, warf einen Teil davon zu Boden und trat darauf. Einige Hostien steckte er in seinen Hosensack. Nicht lange danach fühlte er seine Hose nass werden, die Hostien waren voller Blut. Die blutigen Kleider verrieten ihn am nächsten Tag, er wurde ergriffen, als Ketzer verurteilt und, weil er bereute, »nur« enthauptet statt verbrannt. Die »blutigen« Hostien kamen in ein Kloster zur Verwahrung.
Dass oft Fälschungen von Blutwundern vorkamen, um an das Geld abergläubischer Menschen zu gelangen, liegt auf der Hand. Da geweihten Hostien als dem »echten« Leib Christi angeblich magische Kräfte innewohnten, wurden sie allerdings gar nicht selten von Christen zu zauberischen Praktiken entwendet und missbraucht. Im Falle der Entdeckung wurden Juden der Anstiftung und der Hostienschändung beschuldigt.
Ein anderer Fall von versuchter Hostienschändung ereignete sich im Jahre 1348 in Wien. Ein Fresko mit Inschrift erinnerte im mittlerweile längst abgebrochenen Kreuzgang des Minoritenklosters noch lange daran: »Renovierte Abbildungen eines unwürdigen Comunikanten. Es ist mit allen Schriften bewiesen und bezeuget, daß einer aus Verachtung des Gebotts der christlichen Kirchen in einem Tag das Hochwürdige Sacrament, welches er sieben Jahre zu empfangen unterlassen, 7mal genommen. Darauff er alsbald mit jähem Tod verschieden und sein Leib an diesem Ort begraben worden, welchen folgende Nacht der Teuffel, als er den Sacristan gerufft, nach aufgethanen Grab herausgerissen und zerschmettert, aus welches Mund Hostien gefallen, den Leib mit sich hinweg geführt und zu einem Zeichen das Loch, so in dieser Mauer zu sehen ist, verlassen. Nun gedenk, o Mensch, siehe! und gehe fort. Anno 1348.« Die Reste der Hostien wurden bis 1619 aufbewahrt und dann nach Bologna gebracht. Das Teufelsloch in der Klostermauer war bis zur Aufhebung des Klosters zu sehen. In diesem Fall war der Teufel dem Scharfrichter zuvorgekommen.