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Das Leben von Meta, der Künstlerin, wie es nirgendwo niedergeschrieben steht, vom Vorabend des Ersten Weltkriegs bis 1920

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Pastellfarben - zart wie der Frühling, in der Erinnerung längst verblasst – Paris 1913/1914:

Paris war Metas erster Schritt in die Freiheit gewesen. Vor dem Krieg hatte sie dort für etwa eineinhalb Jahre an einer privaten Kunstakademie studiert. Alles hatte damit angefangen, dass Meta als junges Mädchen gemeinsam mit ihrer Freundin Gertie Zeichenunterricht bei Herrn Grinkoleit genommen hatte, daheim in Leschnitz, in Ostpreußen. Blumen in zierlichen Porzellanvasen hatten sie zeichnen müssen, so wirklichkeitsgetreu wie möglich. Für Meta war es zunächst nicht mehr als ein Zeitvertreib gewesen, bei dem Gertie sich darüber hinaus weitaus geschickter angestellt hatte als sie selbst.

Erst in Paris hatte Meta begriffen, was malen wirklich bedeutete. Wer malte, sah die Welt mit eigenen Augen, auch mit dem inneren Auge. Malend hatte Meta die Welt abgetastet wie eine Blinde. Sie hatte sie in sich aufgenommen, lebenshungrig wie sie damals gewesen war, hatte sie sie geradezu verschlungen, nur um sie dann wieder auszuspeien. Sie hatte mit Linien, mit Farben und Formen experimentiert und dem Drang, etwas Neues daraus zu erschaffen, den sie plötzlich in sich verspürt hatte, nachgegeben. Sie hatte sich viel vorgenommen und sie hatte gespürt, dass sie in jenen Tagen noch ganz am Anfang gestanden hatte.

Rastlos war sie durch die große, fremde Stadt gestreift. Sie hatte lange Spaziergänge an der Seine unternommen und sich auf eine Liebelei mit einem jungen französischen Künstler eingelassen. Alles war leicht und unbeschwert gewesen, bunt schillernd wie Seifenblasen, die an einem sonnigen Nachmittag in der Luft herumflogen. Weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit hatte Meta damals einen Gedanken verschwendet.

Untergekommen war sie bei Freunden ihrer Eltern, französischen Geschäftsleuten. Auch wenn Meta um Paris hatte betteln müssen, so hatte sie doch gewusst, dass ihrer Familie das Arrangement insgeheim mehr als recht gewesen war.

Schiefergrau, Blutrot, giftig Gelb – der Krieg & die Rückkehr nach Leschnitz - 1914 – 1920:

Als der Krieg ausgebrochen war, hatte Meta allerdings umgehend nach Ostpreußen zurückkehren müssen. Darauf hatte der Vater bestanden. Schon wenige Wochen später war die Front mitten durch den Birkenwald hinter ihrem Haus verlaufen. Der Vater und ihr älterer Bruder Moritz hatten den Hof verteidigt. Meta war mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester Elli zu ihrer Tante Gerda nach Danzig geflohen.

Als sie im darauffolgenden Frühling heimgekehrt waren, waren die Birken nur noch verkohlte Stümpfe gewesen. Moritz war in den Krieg gezogen. Es war kein Zuckerlecken gewesen damals, auch für Meta und die anderen nicht.

Sie hatten Steckrübeneintopf gegessen und mit Gerstenmehl gestrecktes Brot. Meta hatte aushilfsweise im Lazarett gearbeitet. Sie hatte Laken gewaschen, die vom Blut und Eiter verwundeter Soldaten gestunken hatten. Der Gestank hatte sich bis in ihre unruhigen Träume gefressen. Manchmal war sie nachts aus dem Schlaf hochgeschreckt. Sie hatte an die unbekannten Soldaten gedacht, die sich in den fremden Feldbetten fernab von der Heimat gewunden und vor Schmerzen gestöhnt hatten. Sie hatte dagelegen, bis die Müdigkeit ihre Grübeleien zu einem wirren Gedankenbrei hatte verschwimmen lassen. Dann hatte sie die Augen geschlossen und war wieder eingeschlafen.

Als Metas älterer Bruder aus dem Krieg zurückgekehrt war, war er mürrisch und wortkarg gewesen. An den Gründen, aus denen sie vor dem Krieg nach Paris gegangen war, hatte sich nichts geändert. So sehr die Menschen in Ostpreußen auch unter dem Krieg gelitten hatten, so waren sie doch geneigt gewesen, alles so schnell wie möglich wieder seinen gewohnten Gang gehen zu lassen. Meta hatte die Tage auf ihrem Zimmer verbracht und überlegt, was sie tun könnte, um wieder aus Leschnitz fortzukommen.

Sonnengelb, Orangerot, Grasgrün – Metas Anfangszeit in Berlin – 1920:

Lucie war ihr eingefallen, die sie in Paris an der Kunstakademie kennengelernt hatte. Sie hatte an die Heimatadresse ihrer Freundin geschrieben, irgendwo in Südwestdeutschland. Eines Tages, als Meta schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, war ein Brief aus Berlin gekommen. Lucie hatte kurz vor Kriegsende ihre Jugendliebe Herbert, einen jungen Violinisten, geheiratet. Da Lucies Vater eine gut gehende Glasmanufaktur besaß und Herbert einer Dynastie von Kapellmeistern am württembergischen Hofe entstammte, hatten sie mit der Unterstützung ihrer Eltern eine großzügig geschnittene Wohnung nahe des Berliner Stadtzentrums anmieten können.

„Natürlich bist du uns herzlich willkommen! Wir haben Platz!“ hatte Lucie geschrieben. Herbert hatte sich damals mit Geigenstunden und gelegentlichen Engagements bei Hochzeitsfeiern und anderen Familienfesten durchgeschlagen. Lucie hatte Tischdecken und Kissen bestickt. Möbel hatten sie sich noch keine leisten können. Die Wohnung war wunderbar groß und leer gewesen. Manchmal hatte Meta dem Impuls nicht widerstehen können, die Arme weit von sich zu strecken und sich um die eigene Achse zu drehen, so wie sie es als Kind gern auf einer blühenden Sommerwiese getan hatte.

Sie hatte Lucie mit den Stickereien geholfen, die sie bei einer Kunsthandlung in der Nähe des Kurfürstendammes zum Verkauf in Kommission gegeben hatten. Der Inhaber, Friedhelm Kettelheim, der damals in den Vierzigern gewesen war, hatte sich vor dem Krieg mit einer Galerie in Stuttgart, in der er expressionistische Werke ausgestellt hatte, einen Namen gemacht. Vermutlich hatten Lucie und Herbert ihn daher gekannt.

In der Kunsthandlung Kettelheim hatten sich regelmäßig ein paar Künstler getroffen. Exzentrische Großstädter – das war Metas erster Eindruck gewesen. Man hatte nicht so recht gewusst, ob sie sich einfach nur selbst nicht sonderlich ernst genommen hatten oder ob nicht vielleicht sogar das Gegenteil der Fall gewesen war.

An großen Plänen hatte es ihnen jedenfalls nicht gemangelt. Mit künstlerischen Mitteln hatten sie die gerade erst in Weimar auf dem Papier skizzierte Republik zum Leben erwecken wollen. Da ihnen nichts Besseres eingefallen war, hatten sie sich zunächst daran gemacht, den Trümmerhaufen, den das großkotzige, militaristische Berlin der Kaiserzeit in kultureller Hinsicht hinterlassen hatte, gehörig durcheinanderzuwerfen. Stechschritt und Kasernenhofton, überhaupt, das Pathos und die Strenge der wilhelminischen Ära, der Leichengeruch der Schlachtfelder, die hochgeschlossenen Krägen der Damen und die Stiernackigkeit schwitziger Altherrenriegen – all das und noch viel mehr war bei Kettelheim auf die Schippe genommen worden.

In einem Kellerraum, der zugleich auch Hinterzimmer der Kunsthandlung gewesen war, waren die jungen Männer zwischen leergetrunkenen Weinflaschen umhergetorkelt. Ein Säbelrasseln mit dem Pinsel imitierend hatten sie einander gejagt und einer hatte den anderen mit Farbe bekleckert. Sie hatten zotige Witze gerissen und aus dem Stegreif Theater gespielt oder es zumindest versucht. Mit „Schlagsahne“ und „Tätärätätä“ und allerlei aus Zeitungen herausgerissenen Wortschnipseln hatten sie das politische Geschehen auf der Straße kommentiert und vieles, was gerade erst dazu gesagt worden war, war sogleich wieder verworfen worden.

Die kantige Holzschnitttechnik und die Farbexplosionen des Expressionismus waren noch allgegenwärtig gewesen. Wann immer die jungen Männer der Politik überdrüssig geworden waren, hatten sie nackte Frauen gemalt, in deren welligen Haaren sich Sterne verfangen hatten, als wären die Träume der Nacht darin kleben geblieben. Sie hatten die Hektik und die grellen Lichter der Großstadt auf die Leinwand gebannt. Die Straßenbahnen, die ächzend und bimmelnd um die Häuserecken gekrochen waren, waren zu Pinselstrichen geworden und die Musik, die zwischen den knatternden Gewehrsalven der unruhigen Zeit nach dem Krieg aus den Bars und Nachtcafés ertönt war, war als Farbkomposition in ihren Bildern nachgeklungen. Sie hatten die Prostituierten auf der Friedrichstraße gemalt und das Elend im Schatten der Hauseingänge. Auch das, was andere nicht sehen wollten, war ihren scharfen Blicken nicht entgangen.

Karl Gessler hatte damals gerade mit seinen Collagen angefangen. Um an Geld zu kommen, hatte er bedruckte Postkarten auf der Straße verkauft, für die er die Vorlagen selbst geschnitzt hatte. Seine Physiognomie hatte sein Temperament gespiegelt und umgekehrt: Er war von etwas gedrungener Statur gewesen und hatte einen Wust wilder schwarzer Locken auf dem Kopf gehabt. Sein Gesicht hatte Meta ein wenig an eine Bulldogge erinnert, seine gefühlvollen, dunklen Augen hatten jedoch verraten, dass er sensibler gewesen war, als es auf den ersten Blick den Anschein gehabt hatte. Karl war in der Runde, die sich regelmäßig bei Friedhelm Kettelheim getroffen hatte, außerdem der einzige gewesen, der sich etwas ernsthafter mit Politik befasst hatte. Von der Räterepublik war ja nur noch der Arbeitsrat für Kunst übrig geblieben und der Kapp-

Putsch hatte ihnen allen gezeigt, dass die reaktionären Kräfte immer noch im Hinterhalt lauerten und auf eine Chance warteten, um die junge Republik zu zerstören.

Anton Malinka hatte zwar immer zustimmend genickt, wenn sein Freund Karl die politische Lage erörtert hatte, aber er war der Ansicht gewesen, dass er die Mühsal des Revolutionärdaseins allenfalls als Maler auf sich nehmen wollte. Auch sonst war Anton in gewisser Weise ein Gegenpart zu dem umtriebigen Karl gewesen. Er war groß und schlaksig gewesen und hatte zu der Zeit, als Meta sie alle kennengelernt hatte, eine runde Brille getragen und raspelkurze blonde Haare gehabt. Vor dem Krieg hatte er die Preußische Akademie der Künste besucht und war ein hochgelobter Meisterschüler gewesen, dem man eine große Zukunft als Maler des konventionellen großbürgerlichen Geschmacks prophezeit hatte, wohingegen Karl, der eigentlich gelernter Tischler gewesen war, sich seine künstlerischen Fertigkeiten mehr oder weniger autodidaktisch angeeignet hatte.

Gleich nach dem Studium hatte Anton allerdings einen radikalen Neuanfang gewagt und den etablierten Salons und Kunstausstellungen den Rücken zugekehrt, um fortan groteske, schrille Bilder zu malen, die zwar an technischer Versiertheit keine Wünsche offen gelassen hatten, dafür aber das Sittlichkeitsempfinden und die ästhetischen Werte der meisten arrivierten Kunstsammler so sehr herausgefordert hatten, dass an eine Laufbahn als akademischer Maler für ihn nicht mehr zu denken gewesen war.

Alle Farben des Regenbogens – Konrad:

Der Kunstkritiker Konrad hatte sich in Metas Leben geschlichen, ohne dass sie es so recht bemerkt hatte. Er war des Öfteren zu Gast bei den Soiréen in der Kunsthandlung Kettelheim gewesen, hatte sich aber stets etwas am Rande gehalten, sodass er ihr zunächst gar nicht aufgefallen war.

Meta hatte Anton für ein Bild Modell gesessen, eher aus Jux, weil sie es einmal hatten ausprobieren wollen. Die Krüger-Zwillinge waren auch da gewesen – Henny und Jette Krüger – zwei große, schlanke Frauen mit glänzenden, perfekt ondulierten Haaren. Die Augen geheimnisvoll umrandet und die Münder zu kleinen Kussmündchen geschminkt, hatten sie im Halbdunkel des Kellerraumes anmutig, ja geradezu ätherisch gewirkt. Bei Tageslicht, auf der Straße - das hatte Meta bereits bemerkt -, waren sie allerdings bloß grobknochig und hager gewesen und etwas zu lang aufgeschossen. Damals hatten sie sich als Sängerinnen in Nachtclubs verdingt und Zigarette mit Spitze geraucht. Dabei hatten sie ein Selbstbewusstsein ausgestrahlt, das Meta fast schon frech gefunden hatte. Doch sie hatte festgestellt, dass die Krüger-Schwestern hinter ihrer zur Schau getragenen Fassade - einer bizarren Mischung aus Arroganz und Rotzlöffeligkeit -, eigentlich ganz nett waren.

An besagtem Abend hatten sie Meta zu einem lebenden Bild gemacht. Sie hatten sie mit einem schäbigen Laken umwickelt, was sie wie eine antike Statue hatte aussehen lassen, wenn auch eine, deren klassische Anmut und Grazie ihr wie auch ihr Geld irgendwann im Laufe der Kriegsjahre abhanden gekommen sein mussten. Konrad war erschienen und hatte sie von ihrem Schicksal erlöst – ein merkwürdiger Kerl, hatte Meta gedacht, elegant gekleidet und mit guten Manieren, jedenfalls nicht so wüst wie seine Künstlerfreunde, die auf solche Dinge keinen Wert zu legen schienen, das schon, aber trotzdem merkwürdig.

„Ich war gerade noch bei einer Wahrsagerin und habe mir aus der Hand lesen lassen“ hatte er gesagt und ihr eine Kette aus bunten Glasperlen überreicht. „Draußen vor dem Zelt hat mir ein Junge diese Kette aufgeschwatzt. Er war barfuß und trug zerrissene Kleidung und das bei diesem Schmuddelwetter! Da habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihm die Kette nicht abzukaufen. Zumal die Wahrsagerin mir prophezeite, ich würde heute noch einen sehr angenehmen Abend bei interessanten Gesprächen und einem guten Glas Wein verleben. Ich könnte natürlich Selbstgespräche führen oder Karl bitten, mir Gesellschaft zu leisten. Anton wird sicher verhindert sein ...“

Es war ein offenes Geheimnis gewesen, dass Anton Malinka, der, was die Damenwelt betraf, zu der Zeit nichts hatte anbrennen lassen, gewisse zarte Gefühle für Jette Krüger gehegt hatte.

Konrad hatte die Kette durch seine Hand gleiten lassen. Die Glasperlen hatten in dem fahlen Licht, das durch die Ladenfenster bis ins Hinterzimmer gefallen war, verführerisch bunt aufgeleuchtet. „Vielleicht hätten Sie aber auch Lust, mit mir noch in eine der Bars auf dem Kurfürstendamm zu gehen, Meta?“

Natürlich hatte Meta das Berliner Nachtleben kennenlernen wollen. Also hatte sie nicht lange gezögert und zugesagt. Auf der Toilette, die sich im Halbgeschoss des Treppenhauses befunden hatte, hatte sie in dem zersprungenen Spiegel über der Waschschüssel gesehen, dass die Glasperlen, so billig sie auch sein mochten, in allen Farben des Regenbogens auf ihrer Haut geschillert hatten. Die verwaschene graue Russenbluse, die sie getragen hatte, hatte dadurch verwegen und mit etwas Phantasie sogar ein kleines bisschen mondän aussehen.

Konrad und Meta waren in eins der verräucherten Nachtlokale auf dem Kurfürstendamm gegangen und hatten sich angeregt miteinander unterhalten. Meta hatte nicht erwartet, dass der Abend so entspannt verlaufen würde. Die Kette hatte sie irgendwann wieder abgelegt, eher beiläufig, vielleicht, weil es so heiß und stickig gewesen war. Außerdem war sie nicht daran gewöhnt gewesen, Schmuck zu tragen. Sie hatte sie achtlos in ihre Handtasche gestopft, die sie über die Lehne ihres Stuhls gehängt hatte. Irgendwo da musste sie ihr dann wohl abhanden gekommen sein. Als sie am nächsten Morgen in ihrer Handtasche danach gekramt hatte, war sie jedenfalls nicht mehr da gewesen.

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