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Basti: bei einem queeren Kunstevent in einem Hinterhof in Kreuzberg, November 2019, Freitag, ca. 22 Uhr

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Basti nahm eine Flasche Bier aus einem Kasten, der auf dem Boden stand. Diese kleine Schwarze war irgendwie ganz schön zickig. Aber na ja. Was war schon so schlimm daran, wenn er ihr ein Bier brachte? War es nicht jahrhundertelang umgekehrt gewesen? Irgendwie hatte sie ja recht. Er hatte sich einfach so in ihr Gespräch gedrängt. Also, komm runter, Meister, sagte er sich. Mach alles so, wie Uli Kerber es jetzt gut finden würde, das ist schließlich dein Job! Uli und er hatten heute Nachmittag noch einmal ein längeres Gespräch miteinander geführt. Basti fand es cool, dass Uli sich richtig Zeit für ihn nahm und ihm alles persönlich erklärte und nicht Anja, seine Sekretärin schickte.

Die Lage war durchaus ernst: Die Bombendrohungen in Tegel und Schönefeld, die vor gut einer Woche die Nation in Atem gehalten hatten, wurden vom BKA als missglückter islamistischer Terroranschlag eingestuft. Sprengstoff hatte man allerdings nur in dem Döner-Schnellimbiss in der Nähe der Eingangshalle des Flughafens Tegel gefunden. Der junge Mann, der an dem Abend dort gearbeitet hatte, ein junger Tschetschene namens Aslan Khizirov, saß mittlerweile aufgrund dringenden Tatverdachtes, wie es im steifen Beamtendeutsch hieß, in Untersuchungshaft. Allerdings hatte Khizirov im Laufe der Vernehmungen immer wieder seine Unschuld beteuert.

Die Drohung, ein Flugzeug kurz vor der Landung explodieren zu lassen, war eine leere gewesen. Viel schlimmer - und das war Uli wichtig gewesen - war, dass die Rechten sofort die Gelegenheit genutzt hatten, um die Ängste der Bevölkerung für sich auszuschlachten. In Liebenau, in dem kleinen Kaff nördlich von Oranienburg, wo Uli mit seiner Familie wohnte, hatte es noch am gleichen Abend einen Fackelmarsch durchs Dorf gegeben. Angeblich spontan. Sie waren auch an Ulis Haus vorbeigezogen und als seine Frau Hanna morgens die Kinder mit dem Auto zur Schule hatte bringen wollen, hatte sie gesehen, dass jemand mit schwarzer Farbe neben die Haustür: „Hier wohnt die rote Sau, die unser Volk vernichten will!“ gesprüht hatte. Uli hatte zwar sofort Anzeige gegen Unbekannt erstattet, aber bei der Polizei hatte man erst einmal gefragt, ob er denn beweisen könne, dass jemand von der Demonstration - Demonstration, so hatten sie es ausgedrückt! - die Tat begangen habe. Alles in allem handele es sich ja nur um Sachbeschädigung. Vermutlich würden sie die Ermittlungen aufgrund von Geringfügigkeit einstellen.

Es war schon komisch, dass Gregor Matzke von der Deutschen Alternative in Liebenau ausgerechnet der Mann der Cousine seiner Mitbewohnerin Tonka war. Allerdings konnte Tonka natürlich nichts für die Fehlentscheidungen ihrer Cousine. Sie selbst war halbe Palästinenserin, auch wenn sie ihren Vater nie kennengelernt hatte.

Angeblich hatte die Deutsche Alternative nichts mit dem Fackelmarsch in Liebenau zu tun. Gleich heute Vormittag hatte die Berliner Fraktion ein Pressekommuniqué dazu herausgegeben. Hinzu kam, dass Gregor Matzke, der sich in den Medien zu den Bombendrohungen geäußert hatte, gar nicht daran teilgenommen hatte. Einige seiner Parteikameraden offenbar schon, aber das sei eine rein private Entscheidung gewesen, sie hätten spontan ihrem Unmut über Angela Merkels Einwanderungspolitik Ausdruck verleihen wollen, die Stimmung sei eben ein bisschen angeheizt gewesen.

Angemeldet hatte die angebliche Demonstration ein gewisser Miroslav Schüssler, der in Schwerin wohnte, aber in Liebenau ein Grundstück besaß, das er verpachtet hatte. Schüssler war in den nuller Jahren eine Weile Mitglied der Schweriner CDU gewesen, dann aber ausgetreten, um sich, wie er gesagt hatte, ganz der nachhaltigen Landwirtschaft zu widmen, für die er in seiner Partei damals seinem Empfinden nach zu wenig Rückhalt gehabt hatte. Danach war er politisch nicht wieder in Erscheinung getreten. Was den Fackelmarsch in Liebenau anging, so habe der sich lediglich gegen Terrorismus - egal von welcher Seite - und gegen eine falsch verstandene Toleranz richten sollen, behauptete Schüssler. Er habe sich mit einer russlanddeutschen Bekannten, die in der Plattenbausiedlung im Waldeck-Carrée quasi Tür an Tür mit den Flüchtlingen, die man dort einquartiert hatte, lebte, abgesprochen. Sie hätten beide Wert darauf gelegt, sich von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus klar zu distanzieren. Immerhin sei seine Bekannte selbst Ausländerin. Eine gewisse Alla Krötzer hatte Schüsslers Aussagen bestätigt.

Uli hatte mit Basti noch kurz abgesprochen, wie sie weiter vorgehen wollten. „Wir verurteilen diese Bombendrohungen, aber wir wenden uns auch dagegen, islamistischen Terrorismus auf alle Muslims und Muslimas zu projizieren. Wir stehen jetzt mehr denn je für ein friedliches Miteinander ein“ hatte er gesagt. Basti, dem es unter anderem oblag, Ulis Accounts in den sozialen Netzwerken zu betreuen, hatte unter dem Profil seines Chefs getwittert: „Ein Glück, dass nicht viel passiert ist! Hoffe auf gute Ermittlungsarbeit! Lassen wir uns von dem Terror einiger weniger nicht einschüchtern! Kein Fußbreit Rassismus und Islamhass!“. Natürlich hatten die Kommentare nicht auf sich warten lassen.

Die türkeistämmige Soziologin Alev Aktay, die regelmäßig anspruchsvolle Kolumnen für das queerfeministische Online-Magazin „Die dicke Zicke“ schrieb, hatte einen englischen Text darüber geteilt, wie nach islamistischen Anschlägen aufflammender Islamhass und Rassismus gegen Einwanderer mit muslimischem Hintergrund deren Abkapselung und Radikalisierung begünstigten. Basti hatte Alevs Tweet geliked und retweetet. Dann hatte er sich ausgeloggt.

Später hatte er eine kurze E-Mail von Uli in seinem elektronischen Postfach gehabt. „Gut gemacht, Basti! Weiter so! Übrigens – wenn du heute Abend noch nichts vor hast: In Kreuzberg ist ein Event, für das ich eigentlich fest zugesagt hatte, eine Performance von Queenie McKay, einer jungen amerikanischen Performance-Künstlerin, davor eine queere Fashion Show. Leider pack ich's zeitlich nicht. Wenn du an meiner Stelle hingehen könntest, wäre das super! Wenn nicht, reiß ich dir auch nicht den Kopf ab. Im Anhang nähere Infos. Mail mir bitte kurz, ob du das machen könntest. LG, Uli“. Basti hatte zugesagt und nun stand er ein bisschen da wie bestellt und nicht abgeholt.

Kurz entschlossen nahm er sich selbst auch ein Bier und latschte dann wieder zu der kleinen Schwarzen rüber, die mit ihren Freunden um diese dämliche Plastikwanne herumsaß. Er hielt der Frau die Bierflasche unter die Nase. „Äh, hier, dein Bier!“ murmelte er verlegen. Sie glotzte ihn an als sei er ein Außerirdischer. „Ach so, ja. Was zum Aufmachen hast du nicht?“ Neben ihr saß jetzt ein Typ mit Baseball-Cap und Vollbart. Der Rotblonde, der Design für Hartz-IV-Empfänger machen wollte, war nicht mehr da. „Oh, kein Problem, Georgie, ich mach's dir mit meinem Feuerzeug auf“ sagte der Bärtige mit dem Baseball-Cap. Die kleine Schwarze nickte Basti mit blasierter Miene zu. Er konnte gehen. Ein 'Danke' konnte sie sich offenbar nicht abringen. Na gut. Er wollte die Stimmung nicht versauen.

Auf der Suche nach einem Flaschenöffner irrte er ein paar Minuten ziellos durch den Raum. Dann sah er, dass einer an einer Kordel neben der Tür hing. Prima. Basti lehnte sich gegen die Wand und hoffte, dass es lässig aussah. Er beschloss, sich für heute mit der Rolle des aufmerksamen Beobachters zu begnügen.

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