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Metas Leben, Herbst & Winter 1920

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Dunkelrot, Mintgrün und Indigoblau – Konrad (II):

Obwohl er fest zugesagt hatte, zu kommen, war Konrad an dem Abend, an dem ein paar Architekten in der Kunsthandlung Kettelheim eine Lesung veranstaltet hatten, nicht erschienen. Meta hatte gehofft, ihn dort wiederzusehen. Enttäuscht, wie sie gewesen war, hatte sie den Abend einfach so an sich vorbeiziehen lassen. Das amüsierte Gelächter der anderen und ihre interessierten Nachfragen waren ihr erschienen wie eine Kulisse in einem Theaterstück, der man nicht viel Beachtung schenkte, weil sie nicht zu dem passte, was wirklich von Bedeutung war.

Dann hatte Meta Rosen vor ihrer Haustür gefunden. Das heißt, die erste, die in einem aufgesprungenen Emaillebecher gesteckt hatte, hatte Frau Raditsch, die Hausmeisterin, gefunden und sie Lucie übergeben. „Aber Frau Raditsch! Herbert und ich sind verheiratet!“ hatte Lucie ihr keck entgegnet. Der Hausmeisterin war es sichtlich unangenehm gewesen. „Vielleicht das Fräulein, das bei Ihnen zur Untermiete wohnt …?“

Lucie hatte den aufgesprungenen Emaillebecher mit der Rose auf den Küchentisch gestellt und sich dann nicht weiter darum gekümmert. Meta hatte die Rose angestarrt, wann immer sie allein in der Küche gewesen war. Sie hatte stumm davor gesessen, als könne sie ihr irgendeine Antwort entlocken auf eine Frage, von der sie selbst nicht so genau wusste, wie sie lautete. Sie hatte zugesehen, wie die Rose, deren zarte, dunkelrote Blätter anfangs noch so frisch gewesen waren, nach und nach verwelkt war. Der süßliche, verführerische Duft der Rose war davon nur umso intensiver geworden.

In der darauf folgenden Woche hatten zwei stolze Rosen an langen, dornigen Stängeln an der Haustür gelehnt. Jemand hatte sie unten mit einem schlichten Stofftaschentuch umwickelt. Diesmal war es Meta selbst gewesen, die die Rosen entdeckt hatte, als sie vom Einkaufen nach Hause gekommen war und sie hatte sie gleich mit in die Wohnung genommen, ohne sich zu fragen, ob sie überhaupt ihr galten oder doch jemand anderem. Meta hatte in der Küche gesessen und gewartet, wie die Blätter der Rosen, die sie in den Emaillebecher gesteckt hatte, langsam schlaffer wurden, sie hatte ihren süßen Duft eingesogen und sich heimlich ihren Phantasien hingegeben.

Eines Tages hatte sie Konrad dann zufällig bei einem ihrer Spaziergänge getroffen. Sie war im Scheunenviertel unterwegs gewesen Die Gegend östlich des Hackeschen Marktes war eher übel beleumdet gewesen und so war sie überrascht gewesen, ihn dort zu sehen. Im Scheunenviertel hatten zu der Zeit viele osteuropäische Juden gelebt und Meta hatte es geliebt, sich an einem Straßenstand Bejgln, mit Zuckerguss überzogene Hefekringel, zu kaufen. Sie hatte Konrad einen aus der Tüte, die sie gerade erstanden hatte, angeboten.

Dann hatte es plötzlich angefangen zu regnen. Sie waren in ein Café gegangen. Während ihre nassen Mäntel an der Garderobe getrocknet waren, hatten Konrad und Meta sich bei heißem Kaffee mit einer großzügigen Portion Schlagsahne aufgewärmt. Von draußen war der Regen unablässig an die Fensterscheiben geprasselt. Konrad hatte ohne Scheu drauflos geplaudert.

Er war auf einem brandenburgischen Jagdschlösschen bei einem griesgrämigen alten Onkel aufgewachsen, hatte er erzählt. Seine Eltern waren gestorben, als sie Verwandte in Amerika besucht hatten. Ihr Schiff war auf der Rückreise gesunken, sodass ihm nur vage Erinnerungen an sie geblieben waren. Er war damals noch ein kleiner Junge gewesen, den man für die Zeit der Reise in Deutschland bei besagtem Onkel untergebracht hatte, wo er dann auch den Rest seiner Kindheit verbracht hatte.

Ohne innezuhalten hatte Konrad dann das Thema gewechselt und von Kunstausstellungen und Theateraufführungen berichtet. Die Architektenlesung in der Kunsthandlung Kettelheim hatte er mit keinem Wort erwähnt.

Ein paar Tage später hatten sie sich noch einmal getroffen und die Ausstellung einer avantgardistischen Kunstzeitschrift, die schon vor dem Krieg einen gewissen Namen gehabt hatte, besucht. Im Nachhinein erinnerte Meta sich nicht mehr, ob es nach der Ausstellung gewesen war, als sie zum ersten Mal bei ihm übernachtet hatte oder erst später. Hatte sie sich wirklich so schnell auf ihn eingelassen?

Nein, es musste an dem Tag gewesen sein, als sie gemeinsam einen Spaziergang im Grunewald unternommen hatten. Die Dunkelheit war früh hereingebrochen und sie hatten an einer Straßenecke im gutbürgerlichen Charlottenburg heiße Maronen gekauft. Konrads Wohnung hatte in einer ruhigen Seitenstraße gelegen. Sie war ungewöhnlich groß für einen Junggesellen gewesen, mit hohen, stuckverzierten Decken. An den Wänden hatten schmucklose Buchregale gestanden, in denen sich Kunstbände, aber auch schöngeistige Literatur, Klassiker der Philosophie und Bücher über Indien und den Fernen Osten aneinandergereiht hatten. Konrads Schreibtisch war unter mehreren chaotischen Blätterhaufen fast verschwunden. Das Sofa, das ihm auch als Bett diente, war seltsam flach gewesen und mit einer grob gewebten, orientalischen Tagesdecke bedeckt.

Konrad hatte eins der riesigen Kissen, die darauf lagen, genommen und es Meta zugeworfen. „Sitzkissen, Meta. Im Orient sitzt man darauf, sogar in Teehäusern. Stühle gibt es so gut wie gar nicht. Ich koche dir gern einen indischen Gewürztee, wenn du willst. Es ist leider das einzige, was ich kochen kann!“ Sie hatten den Tee getrunken, der ungewöhnlich scharf geschmeckt hatte, ein wenig nach Nelken. Meta hatte gespürt, wie ihr ganz warm davon geworden war.

Konrad hatte erzählt, dass sein Vater Archäologe gewesen war. Er hatte an Grabungen in Ägypten, Palästina und Persien teilgenommen. Schon zu Lebzeiten hatte Konrad ihn daher nur selten zu Gesicht bekommen. Jedes Mal, wenn sein Vater in Deutschland gewesen war, hatte er die Familie mit seinen Geschichten aus den fernen Ländern, in denen er gewesen war, unterhalten. Für Konrad, für den dies seine prägendsten Kindheitserinnerungen gewesen waren, hatte er vor allem darin fortgelebt. Er selbst hatte Kunstgeschichte und Archäologie studiert und auch einige Vorlesungen in antiker und fernöstlicher Philosophie besucht.

Doch was war eine steife, spießbürgerliche Bildung schon wert, wenn man sie nicht in etwas Lebendiges zu übersetzen verstand? Mit einer anmutigen Leichtigkeit, die charakteristisch für sein Wesen zu sein schien, war Konrad zwischen den Erinnerungen an seine Kindheit, seinem breiten Wissen über die Kulturen längst vergangener Epochen und den Fragen der Avantgarde der Gegenwart hin und hergewechselt.

Später hatten sie Rotwein getrunken. Die tiefrote Farbe hatte Meta an die Rosen, die sie vor der Haustür gefunden hatte, erinnert. Irgendwann hatte Konrad sie zu küssen begonnen und sie hatte es mit sich geschehen lassen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie ihn sogar geradezu dazu angestachelt.

So schön und intensiv die Zeit, die Meta mit Konrad verbracht hatte, auch gewesen war, so hatte sie doch recht bald feststellen müssen, dass er an ihrem sonstigen Leben kaum Anteil gehabt hatte. Allein seine Gegenwart hatte sie verzaubert. Wenn er nicht da war, war er ihr auch als Mensch plötzlich ganz fern gewesen.

Sie hatte an einem neuen Bild gearbeitet. Sie hatte Konrads Meinung dazu hören wollen, doch er hatte sie mit ein paar höflichen, aber nichtssagenden Sätzen abgespeist und das Thema dann auf irgendeine charmante Belanglosigkeit gelenkt. Für den Moment hatte sie seine Leichtigkeit und seine geistreichen Bemerkungen genossen, aber später hatte sie sich geärgert, weil sie den Eindruck gehabt hatte, dass er sich mit Absicht so verhalten hatte.

Eines Tages hatte sie dann vor seiner Haustür gestanden und er hatte sie nicht hereinlassen wollen. Zwar waren sie nicht direkt verabredet gewesen - Meta und Lucie hatten den Nachmittag mit einem Bummel auf dem Kurfürstendamm verbracht, nachdem sie eine Tischdecke, die sie zusammen bestickt hatten, in der Kunsthandlung Kettelheim abgegeben hatten. Lucie hatte die U-Bahn nach Hause genommen, während Meta gehofft hatte, den Abend mit Konrad verbringen zu können.

Er hatte gelächelt, als er die Tür aufgemacht hatte, aber Meta war der verhaltene Zug um seinen Mund nicht entgangen. „Meta, schön, dass du gekommen bist ...“ Es hatte verlegen geklungen. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, es zu verbergen. „Ich kann jetzt nicht, ich habe Besuch. Ich hatte vergessen, es dir zu sagen. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet, dass du kommst.“

Sie hatte sich denken können, dass eine andere Frau dahintergesteckt hatte. Er hatte Affairen gehabt. Das hatte sie ja geahnt und vielleicht war sie selbst am Ende für ihn auch nur eine Affaire gewesen. Andererseits - was hatte er ihr schon versprochen gehabt? Vermutlich hatte er vorausgesetzt, dass sie an einer Liebelei ohne den Ballast des Alltags und am erotischen Prickeln einiger gelegentlicher Begegnungen ebenso Vergnügen finden würde wie er selbst. Schließlich hatten damals alle Affairen gehabt.

Karl war zu der Zeit mit einer Kunststudentin liiert gewesen, hatte aber auch gern mit Henny geschäkert. Die wiederum schien ernsthafteres Interesse an einem Schriftsteller gehabt zu haben, mit dem Karl befreundet gewesen war.

Ein paar Tage zuvor hatte Meta Hennys Schwester Jette auf der Friedrichstraße gesehen. Sie hatte mit einem jungen Dunkelhaarigen geflirtet. Zuerst hatte Meta sie grüßen wollen. Doch dann hatte sie es lieber gelassen. Sie hatte die intime Vertrautheit der beiden nicht stören wollen. Sie hatte den jungen Mann nicht gekannt. Er hatte nicht ausgesehen wie die Leute, die üblicherweise bei Veranstaltungen in der Kunsthandlung Kettelheim zusammenkamen. Aber vielleicht hatte sie sich da geirrt. Außerdem hatte sie Mühe gehabt, Henny und Jette auseinanderzuhalten, da die beiden eineiige Zwillinge gewesen waren. Henny hatte ein etwas kräftigeres Kinn gehabt und ihre braunen Augen hatten beim Sprechen immer ein bisschen lebhafter gefunkelt als die ihrer Schwester. Da die Körperhaltung der jungen Frau, die Meta auf der Friedrichstraße gesehen hatte, eher zurückhaltend gewirkt hatte, hatte sie angenommen, dass es sich um Jette handeln musste. Einen Moment lang hatte es so ausgesehen, als wären Jette und der junge Mann kurz davor gewesen, sich zu küssen. Meta hatte beschämt den Kopf abgewandt. Aber vielleicht war Anton, mit dem Jette mittlerweile fest zusammen war, sogar über alles genauestens unterrichtet und störte sich gar nicht daran.

„Ja, es war eine Frau“ hatte Konrad betreten geflüstert, als sie einander das nächste Mal begegnet waren. „Lass uns in ein Café gehen und die Angelegenheit in Ruhe besprechen!“ hatte er sie gebeten und hatte sogleich hastig hinzugesetzt: „Du irrst dich! Es ist nicht so, wie du denkst!“ Meta hatte nur stumm genickt und war ihm gefolgt.

„Sibylla ist die Tochter einer Jugendfreundin meiner Mutter. Meine Mutter hat ihre Schulzeit in Weimar verbracht. Sie war mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft befreundet, das von einer Karriere als Opernsängerin träumte. Marie-Charlotte hat dann einen Schauspieler geheiratet, der es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hat. Ihre eigenen Ambitionen hat sie allerdings zurückstellen müssen. Sibylla ist ihre Tochter. Sie ist in die Fußstapfen ihres Vaters getreten. Schon früh zeichnete sich ab, dass es so kommen würde. Da unsere Familien miteinander befreundet waren ...“ Er war ins Stocken geraten.

„Meine Mutter hatte den Kontakt nie abgebrochen“ war er dann fortgefahren. „Nach dem Tod meiner Eltern war Sibylla im Sommer gelegentlich auf dem Jagdschlösschen meines Onkels zu Gast. Ich behaupte nicht, dass wir wie Geschwister zueinander gewesen seien. Sibylla ist ein schwieriger Mensch, eine künstlerisch veranlagte Natur, sensibel, man könnte auch sagen launisch, leicht zu beeindrucken, aber auch unabhängig und stark und manchmal ganz schön verstörend, wenn man sie nicht näher kennt. Sie ist fragil auf ihre Art ...“ Konrad hatte seine Hände betrachtet.

„Es stimmt, dass es vorgekommen ist, dass wir uns in der Vergangenheit gelegentlich zu gewissen spontanen Annäherungen haben hinreißen lassen. Von einer Affaire zu sprechen, wäre zu viel. Sibylla ist keine Frau, die ich lieben könnte. Sie versteht es, andere mit einer Wucht in den Strudel ihrer Leidenschaften zu reißen, die einen letzten Endes zurückschrecken lässt. Mich jedenfalls. Es ist ...“

Er hatte gezögert. „Sie tut mir leid. Ich habe das Gefühl, dass ich sie nicht hängen lassen kann. Ich fühle mich verpflichtet, auch im Andenken an meine Mutter. Sibylla tischt anderen gern erfundene Geschichten auf. Sie ist Schauspielerin durch und durch. Es ist anstrengend mit ihr. Ich habe sie heute Morgen geradezu hinauswerfen müssen. Meta, glaube mir, ich hätte den Abend gestern lieber mit dir verbracht ...“

Meta hatte die Tischdecke angestarrt. „Und habt ihr euch gestern zu einer dieser spontanen Annäherungen hinreißen lassen?“ hatte sie gefragt. Konrad hatte geschwiegen. Draußen war es bereits dunkel geworden.

Meta hatte begriffen, dass Konrads Liebesschwüre in dem Moment, in dem er sie ihr ins Ohr geflüstert hatte, wahr gewesen waren. Aber es hatte immer auch eine Zurückweisung darin gelegen, eine leise Bitte, sie nicht allzu ernst zu nehmen.

Blasslila und Tiefschwarz – Jettes Tod:

Eines Abends, als Meta mit Karl im Kellerraum der Kunsthandlung Kettelheim gesessen hatte, war Anton mit aschfahlem Gesicht im Türrahmen erschienen. Er hatte sich in sich zusammengesunken wie ein Greis die Treppe hinab zum Keller geschleppt, dicht gefolgt von Henny Krüger, die ihm hektisch über den Rücken gestrichen hatte, als könne sie ihn so davon abhalten, etwas Unbedachtes zu tun.

Friedhelm Kettelheim hatte im Laden einen letzten Kunden verabschiedet. Hennys Augen hatten gerötet ausgesehen. „Jette!“ hatte sie gestammelt. „Das Schwein, das ihr das angetan hat! Ich finde ihn und schneide ihm seine eigene erbärmliche Kehle durch! Soll er doch das gleiche Schicksal erdulden!“ war Anton ihr zornig ins Wort gefallen. Henny hatte ihn mit der Hand sanft an der Schulter gefasst und ihm etwas ins Ohr geflüstert, doch er hatte sie von sich gestoßen. „Entschuldige, Henny, du bist die Letzte, der ich jetzt wehtun will!“ hatte er gemurmelt.

„Irgendeine abartige Drecksau hat sich an Jette vergangen. Draußen an der Krummen Lanke. Wenn ich nur wüsste, was sie dort gewollt hat … Er hat sie erstochen. Jette hat sich bestimmt bis zum letzten Atemzug gewehrt. Ich kenne sie doch! Auch wenn sie gegen einen kräftigen Mann keine Chance hatte ... heute Morgen haben sie ihren ausgebluteten Körper in einem Gebüsch in der Nähe des Sees gefunden ...“ Anton hatte sich die Hand vor die Augen gehalten. Sein ganzer Körper hatte gebebt.

„Samstag hätten Jette und ich einen Auftritt in Wilmersdorf gehabt, nichts Großes“ hatte Henny mit tonloser Stimme geflüstert. „Sie ist einfach nicht gekommen. Ich habe sie Samstagmittag das letzte Mal gesehen. Sie wollte noch Besorgungen erledigen, hat sie gesagt. Und ein bisschen in der Gegend herumbummeln. Sie würde dann direkt zu der kleinen Whiskey-Bar kommen, in der wir singen sollten.“

Anton war gegen Ende des Abends so betrunken gewesen, dass er beschlossen hatte, im Keller der Kunsthandlung Kettelheim zu übernachten. Friedhelm Kettelheim hatte Henny nach Hause gebracht, nicht ohne ihr vorher angeboten zu haben, seine Frau könne ihr das Gästezimmer herrichten, für den Fall, dass sie nicht allein sein wollte, doch die verbliebene Krüger-Schwester hatte abgelehnt.

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