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Oranienburg bei Berlin, Dezember 1920, eine Szene aus der Nähe betrachtet

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Siegfried Caldewey nahm den Saphir aus dem Schmuckkästchen, das der Mann in dem dunklen Wollmantel vor ihm auf die Ladentheke gestellt hatte. Der Edelstein war wahrlich ein Prachtstück – ungewöhnlich groß, von einem klaren, leuchtenden Blau und mit einer Kunstfertigkeit geschliffen, wie sie heutzutage nur noch selten anzutreffen war. Da musste ein alter Meister am Werk gewesen sein, das sah Caldewey sofort. In seiner ganzen Laufbahn als Juwelier war ihm noch nie etwas Derartiges untergekommen.

Und Caldewey musste es wissen. Zwar war sein Laden unscheinbar und seine Kundschaft interessierte sich vorrangig für Verlobungs- und Eheringe und davon abgesehen fiel allenfalls mal die Reparatur eines Silberhalskettchens an, doch der Oranienburger Juwelier hatte sich mit Geschäften, die Diskretion erforderten, in einschlägigen Kreisen, zu denen auch ein paar Größen der Berliner Unterwelt gehörten, einen gewissen Ruf erworben.

Die beiden elegant gekleideten Herren schienen ihn genau deshalb ausgesucht zu haben. „Bitte, legen Sie doch erst einmal ab!“ lud er sie herzlich ein. „Bertha wird Ihnen einen Kaffee machen. Oder soll es lieber Tee sein? Bei der Kälte draußen ...“ Es hatte angefangen zu schneien, wie er durch die Schaufenster seines Ladens sehen konnte, aber von den zarten, weißen Flocken, die durch den dämmerigen Dezemberhimmel tanzten, würde wohl nicht mehr als ein bisschen Schneematsch liegen bleiben.

„Gern Kaffee.“ Der große Mann in dem dunklen Mantel nickte freundlich. Sein dunkelhäutiger Begleiter tat es ihm gleich. Beide nahmen ihre Hüte ab und hängten ihre Mäntel an die Garderobe, während Caldewey den Stein ins Licht hielt. Er drehte ihn zwischen seinen Fingern hin und her. Kein Zweifel – er musste echt sein. Das intensive blaue Leuchten, das von ihm ausging, war geradezu magisch.

Caldewey kramte eine Lupe und eine kleine Tischwaage aus einer Schublade unter der Ladentheke hervor. Sein Misstrauen und die Akribie, mit der er den Stein untersuchte, rührten daher, dass er selbst sich meisterhaft darauf verstand, einfaches Glas so geschickt zu schleifen, dass es für ungeübte Augen wie Diamant aussah. Nicht nur die sinistren Gestalten, die auch ihre Hehlerware bei ihm als Zwischenhändler unterbrachten, hatten Interesse daran, sondern auch die eine oder andere Gattin eines schwerreichen Geschäftsmannes oder Adligen nahm seine Dienste in Anspruch, denn solche Leute wussten, dass sie Neider hatten und es Gelegenheiten gab, bei denen es besser war, das echte Diamantencollier im Tresor zu lassen.

Als hätte der Große, der, wie Caldewey jetzt sah, noch nicht sehr alt sein konnte, vielleicht um die dreißig, und sein rotblondes gewelltes Haar fast bis zum Kinn reichend trug, seine Gedanken erraten, sagte er: „Dr. Bakhtari verbürgt sich für die Echtheit des Steins.“ Der Orientale nickte und lächelte. Offenbar verstand er Deutsch, ließ aber den Großen sprechen.

„Der Saphir war ein Geschenk des Großmoguls von Delhi an Dr. Bakhtaris Großvater, der als Gelehrter am Hofe des Moguls lebte“ fuhr dieser fort. „Dr. Bakhtari selbst hat an der Friedrich-Wilhelms-Universität Philosophie studiert und ist ein begeisterter Anhänger Fichtes.“ Wieder lächelte der Dunkelhäutige.

„Dann aber übernahm er die Geschäfte seines Vaters, der sich als Diamantenhändler in Südafrika niedergelassen hatte. Ich lernte Dr. Bakhtari während seiner Zeit in Deutschland kennen und als Freund schätzen. Zudem erwarb ich von ihm den Saphir als Verlobungsgeschenk für meine Geliebte, die damals in Hamburg lebte.

Ein so teures Geschenk, um die Gunst einer Frau zu erringen, mag ungewöhnlich sein, doch sie war die Liebe meines Lebens und mit ihr verband mich eine Leidenschaft, für die mir kein Preis zu hoch zu sein schien. Zur Verlobung kam es leider nicht mehr, denn meine Verlobte, der das Leben übel mitgespielt hatte, während ich im Krieg der kaiserlichen Marine als Offizier diente, erlag einer schweren Krankheit. Der Anstand erfordert es, nicht näher auf die Umstände einzugehen und so soll es genügen, dass es sich um ein persönliches Andenken handelt, um eine im höchsten Maße sentimentale Angelegenheit also.“

Caldewey nickte und brummelte etwas in seinen grauen Bart. Solche Geschichten mochten wahr sein oder auch nicht – im Grunde ging ihn das nichts an und er kümmerte sich für gewöhnlich nicht weiter darum. Seine Frau Bertha, die sich sobald ein Kunde den Laden betrat, diskret auf der Schwelle zum Hinterzimmer aufhielt, von dem aus man über ein Treppenhaus zu ihren Wohnräumen gelangte, brachte den Kaffee. Im Hinterzimmer erledigte Caldewey nicht nur die handwerklichen Arbeiten und den anfallenden Papierkram, in einem kleinen Schränkchen an der Tür befand sich auch sein Jagdgewehr, mit dem Bertha ebenso gut umzugehen verstand wie er selbst.

Auch wenn seine beiden elegant gekleideten Kunden offenkundig Absichten verfolgten, die seine Verschwiegenheit erforderten, so waren sie doch gewiss keine Räuber, die ihn dazu zwingen würden, ihnen den Inhalt seines Tresors auszuhändigen. Wer Erkundigungen über Caldewey eingezogen hatte, wusste immerhin, dass in seiner Auslage nur meisterhaft gearbeitete Fälschungen zu sehen waren. Für den seltenen Fall, dass eine Kundin sich für ein Schmuckstück begeisterte, das sie im Schaufenster gesehen hatte, pflegte Caldewey unter einem Vorwand kurz im Hinterzimmer zu verschwinden, um den Schmuck auszutauschen, bevor er das wertvolle Teil über die Ladentheke reichte. Ein Betrüger war er höchstens, wenn man ihm den Auftrag dazu erteilte.

„Und Sie wollen wirklich, dass ich diesen prachtvollen Stein in, nun ja, diese eher bescheidene Kette einarbeite?“ fragte der Juwelier skeptisch und warf einen Blick auf die Glasperlenkette, die bislang kaum beachtet auf der Ladentheke gelegen hatte. Es war billiger Plunder, Modeschmuck der einfachsten Machart. Der Orientale lächelte wieder sein etwas aufgesetzt wirkendes Lächeln. Der Große trank einen Schluck von dem heißen Kaffee. Dann nickte er.

„Ja“ sagte er. „Dieser Wunsch mag ungewöhnlich sein, aber die Kette gehörte meiner Verlobten. Sie hatte sie seit sie ein ganz junges Mädchen war und für mich hat sie daher eine persönliche Bedeutung. Jetzt ist ein Ereignis eingetreten, dass es nötig macht, den Saphir in die Kette einzuarbeiten.

Es kann durchaus sein, dass noch mehr Steine ausgetauscht werden müssen, denn meine Verlobte teilte Dr. Bakhtaris und meine Leidenschaft für edle Steine. Doch ich sagte ja bereits, dass das Schicksal ihr gegen Ende ihres jungen Lebens nicht mehr gewogen war und alles braucht seine Zeit.

Genauer gesagt brauche auch ich meine Zeit, um über den Schmerz über ihren frühen Tod hinwegzukommen und ihn nach und nach in Erinnerungen umzuwandeln, wenn Sie verstehen, was ich meine ...“ Das tat Caldewey nicht, doch er war schließlich bekannt dafür, dass er keine unnötigen Fragen stellte. Er hatte einen Auftrag erhalten und den würde er, wie immer, gewissenhaft ausführen. Auch wenn der Große mit dem langen, rotblond gewellten Haar auf ihn keineswegs den Eindruck machte, in Trauer zu sein …

Sie tranken den Kaffee und knabberten ein wenig an den Weihnachtsplätzchen, die Bertha ihnen serviert hatte. Caldewey hörte schnell heraus, dass sie bereit waren, ihn für seine Dienste großzügig zu entlohnen und ihm war klar, dass ein Teil der Scheine, die der Große als Anzahlung auf die Ladentheke hinblätterte, Schweigegeld war.

Caldewey beherrschte sich gerade so lange, bis die Ladentür mit einem hellen Bimmeln hinter den beiden zugefallen war. Dann grapschte er nach dem Geld und zählte die Scheine mehrmals hintereinander durch. „Ts, ts, ts ...“ entfuhr es ihm, als er begriff, dass er sich nicht verrechnet hatte. Es war tatsächlich ein stolzes Sümmchen.

Zu seiner Rechten erstrahlte der Saphir in seinem eigentümlichen Blau. Sie hatten ihm zudem sogar weitere lukrative Geschäfte in Aussicht gestellt ... Behutsam legte der Juwelier den Edelstein zurück in sein Schmuckkästchen. Er betrachtete die billige Glasperlenkette und beschloss, sich sofort an die Arbeit zu machen.

Als er sich ins Hinterzimmer ging, sah er, dass es aufgehört hatte, zu schneien. Noch bevor das Jahr zu Ende war, würde er ein reicher Mann sein, dachte Siegfried Caldewey zufrieden. Er fragte sich nicht einmal, wer die beiden Herren, die ihm gerade die Ehre erwiesen hatten, in Wirklichkeit gewesen waren.

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