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Hotel Lindemann, Berlin, Oktober 1920, eine Szene aus der Nähe betrachtet

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„Ich weiß nicht, was das soll! Was sitzen wir hier an dieser piekfeinen Bar herum und süffeln Bier, das nach warmer Pisse schmeckt, bloß weil irgend so 'ne dicke Tunte uns kennenlernen will?!“ Der junge Mann mit dem blonden, kurzgeschorenen Haar sah wütend aus. Allerdings schien der wütende Gesichtsausdruck in seinem Fall eher ein genereller Charakterzug zu sein als eine momentane Gefühlsregung, sodass man nicht wusste, ob er ernsthaft verärgert war oder ob er nur den Drang verspürte, irgendetwas von sich zu geben, weil er sich langweilte und keine Ahnung hatte, was er sonst hätte tun sollen.

Man merkte ihm an, dass er sich in dem eleganten Ambiente der Hotelbar unwohl fühlte. Doch drängte sich der Eindruck auf, das auch das nicht nur mit seiner niedrigen sozialen Herkunft, sondern auch mit ihm selbst als Person zu tun haben musste. Seine Kleidung war zwar einfach, aber sauber. Das hatte seine Mutter ihm beigebracht. Richtiggehend eingeprügelt hatte sie es ihm, dass er Ordnung halten musste. Er mochte aus einfachen Verhältnissen stammen, aber er war kein Lump, keiner, der sich gehen ließ. Darauf war er stolz.

Genau deshalb hatte er auch die Zähne zusammengebissen, als sie ihm den linken Unterarm am Ellenbogen amputiert hatten, damals, an der Front. Manchmal, bei schlechtem Wetter, spürte er ihn noch, seinen Unterarm, als ob er noch dran wäre, aber jetzt hob er seinen Bierhumpen mit rechts, so, wie er es schon vor dem Krieg getan hatte, er war ja Rechtshänder, zum Glück, und wer flüchtig vorbeiging, musste denken, dass er sich mit der Linken am Tresen abstützte. Den leeren, linken Ärmel hatte er sorgsam zusammengefaltet, so gründlich, wie er nun mal von seiner Wesensart her war.

„Er ist keine Tunte! Sag so was nicht!“ sagte der andere, der schräg vor ihm saß. „Na ja, gut. Aber nicht ganz astrein. Rotlichtmilieu. Haste ja selba jesacht!“ Der Einarmige sah sein Gegenüber aus kalten, tiefliegenden Augen an. „Hat'n Bordell in Kiel gehabt, soweit ich weiß. Aber Eisernes Kreuz Erster Klasse, Ypern 1914, Kavallerie, dann nochmal Baltikum. Hat sich nich bloß zu Hause den Arsch plattgesessen!“ Der Einarmige presste seine Lippen zu einem verkniffenen Grinsen zusammen. „Kavallerie? Na, arme Pferde, wa? Schwer auf jeden Fall!“

Der andere, der mit dem Rücken zur Hotellobby saß, schüttelte den Kopf. Er hatte dunkle, glänzende Haare, die er zu einem exakten Seitenscheitel frisiert trug. Ein Kellner in Hotellivrée kam an den beiden vorbei. Er hatte ein Tablett mit leeren Sektgläsern in der Hand und schien den einarmigen Mann mit den kurzgeschorenen Haaren, der ein hellbraunes Hemd und Drillichhosen trug, und den Dunkelhaarigen in dem grauen Soldatenmantel zu ignorieren. Dann besann er sich offenbar und nickte den beiden Männern diskret zu. Dabei zog er fragend eine Augenbraue hoch, aber nein, die Männer hatten im Moment keine weiteren Wünsche.

„Der Dicke war nicht immer so dick!“ sagte der Dunkelhaarige. „Ist ein paar Jahre her, wie du selbst weißt. Patriot ist er sein Leben lang gewesen, sagt er. Aus einfachen Verhältnissen, da hat man nicht immer die Wahl. Als ob du da was sagen könntest! Auf's Geld machen versteht er sich und den Zaster will er jetzt anlegen, für's Vaterland, weil für den halt das Ideelle was zählt, Deutschland erretten vor dem roten Dreckspack, das hier alles ruinieren will, wieder zu nationaler Größe zurückfinden … Kannst ja zu 'nem Judenluden gehen, wenn dir dessen verlauste Schmuddelweiber lieber sind ...“ Der Kurzgeschorene machte mit der Rechten eine unbeholfene Geste, die beschwichtigend wirken sollte. „Ih wo! So habe ich das nicht gemeint!“

Unbemerkt hatte der Kellner sich den beiden wieder genähert. „Meine Herren ...“ flüsterte er. „Ich störe ungern, aber mir wurde mitgeteilt, dass man Sie im Separée erwartet. Wenn Sie mir bitte folgen würden ...“ Sie standen wortlos auf, während der Kellner mit kerzengeradem Rücken und einer Miene, die nicht verriet, was er dachte, voranging.

Auf der anderen Seite der Bar kicherte eine dralle, stark geschminkte Blondine, die Zigarette mit Spitze rauchte, bei so ziemlich jedem Wort, das ein etwas hölzern wirkender Herr mit grauem Haarkranz von sich gab. Im Hintergrund klimperte jemand auf einem Klavier herum. Der Einarmige konnte den Blick kaum von dem sehr großzügigen Dekolleté der Frau lösen. Erst als er schon fast an ihr vorbei war, sah er durch den Zigarettenqualm, dass sie bereits Falten um Augen und Mundwinkel hatte, trotz ihres pausbackigen Gesichts und der zentimeterdick aufgetragenen Schminke.

Der Kellner führte sie durch eine Tür mit der Aufschrift „Personal“ ins Treppenhaus und dann durch mehrere Flure und weitere Türen, bis sie vor einer „Suite“ standen. Dort öffnete er ihnen mit einer angedeuteten Verbeugung und verabschiedete sich mit einem knappen Nicken.

Die Augen der beiden Männer brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit im Zimmer gewöhnt hatten. Auf einem Tisch stand eine Öllampe, deren Schein ein grobschlächtiges Männergesicht mit kleinen Knopfaugen wie einen Heiligenschein umstrahlte. Das musste der dicke Zuhälter sein. Sein schmieriges Haar, das von unbestimmbarer Farbe war, war zu einer wuchtigen Tolle über der Stirn gekämmt. Er hatte die beiden Männer bislang noch keines Blickes gewürdigt. Seine breiten Hände betatschten etwas, das auf dem Tisch lag. Neiderfüllt sah der Einarmige, dass der Dicke an fast jedem seiner Wurstfinger Ringe mit klotzigen Edelsteinen trug. Die Klunker funkelten provozierend grell im Licht der Öllampe. Allein bei dem Anblick taten ihm die Augen weh, sodass er sich bemühte, seinen Blick auf etwas anderes zu lenken. Hinter dem Dicken hing ein Leopardenfell an der Wand. Bislang hatte der Einarmige über solche exotischen Raubkatzen nur in Abenteuerromanen gelesen. Als Junge hatte er so etwas verschlungen, obwohl er eigentlich nicht gern las. Er fragte sich, wer den Leoparden wohl geschossen hatte. Der Dicke doch wohl nicht.

„Wenn die Herren sich vielleicht setzen wollen?“ krächzte ein älterer Mann mit Monokel. Er vermied es, dabei aufzublicken, als legte er Wert darauf, dem Einarmigen und dem Dunkelhaarigen nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als sie seiner Meinung nach verdient hatten. Nicht sehr viel also. Erleichtert sah der Einarmige, dass am Tisch auch ein stämmiger Mann mittleren Alters in Offiziersuniform saß. Zackig stand er stramm, so wie er es im Deutschen Heer gelernt hatte. Sein dunkelhaariger Freund tat es ihm gleich.

„Jawoll!“ erscholl es aus beider Kehlen. „Melde gehorsamst: Obergefreiter Georg Zsolnay! Freikorps von Hasenbeck!“ teilte der Einarmige mit soldatischer Knappheit mit. Die Worte schossen ihm aus dem Mund wie Gewehrsalven. „Fähnrich Richard Behrend! Ebenfalls Freikorps von Hasenbeck!“ stellte der Dunkelhaarige sich im gleichen Tonfall vor. Sie nahmen sich Stühle, die an der Wand standen und setzten sich zu den anderen, eher am Rand, da sie instinktiv spürten, dass sie nicht zum inneren Zirkel gehörten.

„Bodo von Hasenbeck. Tapferer Mann … Zu blöd, dass die Roten ihn abgemurkst haben!“ murmelte der Offizier. Seine rechte Wange war von einem grob vernarbten Schmiss entstellt, der es so aussehen ließ, als sei sein Mund ständig zu einem höhnischen Grinsen verzogen. „Jawoll!“ antwortete Richard Behrend, der Dunkelhaarige halblaut.

„Die Roten kennen weder Anstand noch Moral! Vor ein Kriegsgericht müsste man jeden einzelnen dieser Novemberverbrecher stellen, zuallererst Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Matthias Erzberger, diese finstere Trias des Vaterlandsverrates!“ Aus der Runde ertönte zustimmendes Gemurmel.

„Allerdings erfordert jede Schlacht eine wohlüberlegte Strategie ...“ Der mit dem Monokel räusperte sich. „Nachdem der letzte Versuch, die Verhältnisse, die Sozialdemokraten und Juden durch ihren Verrat am deutschen Volke herbeierpresst haben, noch einmal zum Besseren zu wenden, gescheitert ist, erscheint es angemessen, den Kampf zunächst - vorübergehend! - weniger offensiv, auf einer anderen Ebene, mit der vornehmen Zurückhaltung interessierter Kreise im Hintergrund, weiterzuführen.“

Der mit dem Monokel sah sich um, wie um die Wirkung seiner Worte zu überprüfen. Wahrscheinlich war er Professor oder Schuldirektor, dachte Zsolnay, der Einarmige. Jedenfalls ein Gelehrter, der viele Bücher las, vielleicht auch selbst welche schrieb und es gewohnt war, dass man ihm aufmerksam zu hörte.

Der Dicke schnippte plötzlich mit den Fingern. Alle wandten ihm ihre Gesichter zu. Im Halbdunkel sah Zsolnay einen jungen Mann mit scharfen Gesichtszügen, der ihm bisher nicht aufgefallen war. Er hatte ein edles Profil mit Adlernase. Sein dunkles Haar trug er halblang. Soldat konnte er also nicht sein. Halb verdeckt hinter dem Langhaarigen saß eine Frau in einem grünen Ballkleid. Die Frau stand auf. Sie hatte ein rundliches Gesicht, das ein wenig bäuerlich wirkte. Ihr braunes Haar war zu einem kunstvollen Knoten aufgesteckt. Smaragdgrüne Edelsteine schmückten die Haarspangen, die darin steckten.

Die Frau schmiegte sich an den Dicken, umarmte seine wuchtigen Schultern kurz und hauchte ihm dann einen frivolen Kuss auf die Wange. Jede ihrer Bewegungen wirkte kalkuliert. Zsolnay bemühte sich, sie nicht zu sehr anzustarren. Mit einer theatralen Geste wandte die Frau sich den Männern zu und spitzte ihren kirschrot geschminkten Mund.

„Ich werde euch jetzt etwas erzählen, eine Geschichte, die nur mit dem Herzblut einer Frau erzählt werden kann“ zwitscherte sie. „Ich komme aus Weimar. Mein Vater war ein angesehener Schauspieler am dortigen, wie ihr wisst, nicht ganz unbedeutenden Theater. Meine Mutter hatte Klavier und Gesang studiert, war aber zu Hause geblieben, um sich ganz ihren häuslichen Pflichten und der Erziehung von meinen älteren Brüdern und mir zu widmen. Nebenher gab sie Klavierunterricht und Gesangsstunden.

Zu ihren begabteren Schülerinnen gehörten zwei Zwillingsmädchen aus bitterarmen Verhältnissen. Meine Mutter hatte sie auf der Straße beim Hüpfspiel singen hören, in Lumpen gehüllt und mit verfilzten Haaren. Hätte sie sich ihrer nicht erbarmt, hätten solche Mädchen von Klavierspiel und Stimmbildung natürlich nicht einmal träumen können.

Wie so oft im Leben kämpften gute und böse Mächte mit ihnen und in ihnen, auch wenn man sagen muss, dass es überraschend ist, dass es die beiden schon in einem so jungen Alter traf. Aber Zwillinge stehen ja oft unter einem ungünstigen Stern. So war die eine ein gutes Kind, das unserem Mädchen im Haushalt half und Einkäufe und allerlei Botengänge für meine Mutter erledigte, während die andere sich mit Gassenjungen herumtrieb und früh in schlechte Gesellschaft geriet. Den einen oder anderen Groschen hatte sie sich wohl schon bald in der Horizontalen verdient.

Wir beobachteten die Entwicklung der beiden Schwestern natürlich auf das Genaueste und bangten darum, welche die andere wohl mehr beeinflussen würde. Nicht selten sind die schlechten Menschen ja die Stärkeren. Die Mächte des Bösen sind seltsam verführerisch und nur wenigen gelingt es, sich ihnen zu entziehen, wenn sie erst einmal ihre Klauen nach ihnen ausstrecken.

Zwischen Jette, der guten Zwillingsschwester und meinem nächstälteren Bruder Johann entspann sich eine zarte Liebesgeschichte. Doch Henny, die andere, die böse Zwillingsschwester, versuchte immer wieder, einen Keil zwischen die beiden zu treiben und Jette von Johann fortzuzerren. Fast wäre es ihr auch gelungen, denn auch meine Eltern beäugten die Liaison durchaus skeptisch. Immerhin wäre aufgrund des ja doch beträchtlichen gesellschaftlichen Unterschiedes eine Ehe in diesem Fall ein durchaus heikles Unterfangen gewesen.

Dennoch verlobten sich Jette und Johann, bevor Johann sich zum Militärdienst meldete. Natürlich wurde Hennys Einfluss auf ihre Zwillingsschwester wieder stärker, nachdem Johann fortgegangen war. Sie überredete sie, mit ihr durch zwielichtige Kaschemmen zu ziehen, und ihre gerade erst halb ausgebildeten Sangeskünste für wenig Geld und viel Alkohol darzubieten.

Dann erreichte uns die Nachricht, dass Johann schwer verwundet in einem Lazarett lag. Jette war untröstlich, doch Henny sah die Zeit gekommen, ihre Schwester mittels einer Intrige endgültig zu sich in das dämmerige Halbweltmilieu hinabzureißen, in dem sie selbst sich bewegte wie ein Fisch im Wasser. Sie redete Jette ein, Johann sei bereits tot, meine Familie belüge sie, um sie hinzuhalten und weiter als billige Haushaltskraft ausbeuten zu können. Schon damals hatten wir den Verdacht - der sich später bestätigte! -, dass Henny sich mit rotem Gesindel herumtrieb.

Die Verlockungen des billigen Glitzer und allerlei Tand stellen die Tugendhaftigkeit so mancher junger Mädchen auf eine harte Probe und Jette bestand sie nicht!

Sie folgte ihrer Schwester nach Berlin, wohin diese verzogen war, um dem schlechten Ruf, den sie sich in Weimar in ihrem jugendlichen Alter bereits erworben hatte, zu entgehen. Doch nur wenige Tage später kehrte Johann nach Hause zurück. Nachdem er seine letzte Kraft aufgewendet hatte, um sich von den schwersten Verwundungen, die er sich an der Front zugezogen hatte, zu erholen, ertrug er es nicht mehr, als wir ihm mitteilen musste, dass seine Verlobte sich von ihm abgewandt und es vorgezogen hatte, sich mit ihrer Schwester in Berlin herumzutreiben, statt zu Hause auf ihren Liebsten zu warten, wie es sich gehört hätte.

Mein Bruder Johann beging daraufhin Selbstmord. Mit einem alten persischen Dolch, der mit blutroten Rubinen verziert war, stach er sich mitten ins Herz. Mein Vater hatte den Dolch einst von seinem Großvater geerbt. Nie hätte er geahnt, dass er einmal seinem geliebten Sohn ein so fatales Ende bereiten würde!

Wer allerdings verstanden hat, dass hinter der materiellen Welt, wie wir sie mit dem bloßen Auge wahrnehmen können, noch ganz andere Kräfte lauern – gut und böse, die Mächte des Lichtes und die der Finsternis! - der wird schnell erkennen, dass es Hennys Hand war, die den edlen alten Dolch in das Herz meines Bruders rammte.

Dem gefallenen Engel, dem bösen Mädchen ist nicht zu helfen ...“ Die katzengrünen Augen der Frau blitzten, ihr kirschrot geschminkter Mund hatte sich zu einem diabolischen Lächeln verzogen. „... doch die gute, die tugendhafte Schwester, die Verlobte meines Bruders muss errettet und wieder auf den rechten Weg zurückgebracht werden!“ Die Frau machte eine kurze Pause. Ihr stattlicher Busen wogte vor Zsolnay, dem Einarmigen, der wie gebannt zugehört hatte. „Das Böse muss ausgemerzt werden! Deutschland, unser Land soll wieder in seinem einstigen Glanz erstrahlen! Möge es von den Kräften des Lichts einer ruhmreichen Zukunft entgegengeführt werden!“

Die Frau hatte die letzten Worte mit fester Stimme gesprochen. Ihr Blick hatte sich während sie geredet hatte, in der Ferne verloren. Es wirkte gekonnt, als hätte sie viele Jahre lang hart dafür gearbeitet. Mit einer weit ausholenden Bewegung, die aussah, als hätte sie einen Strauß Blumen von sich fortgeworfen, beendete sie ihre Geschichte. Die im Raum versammelten Herren klatschten.

Die Frau in dem grünen Abendkleid überreichte dem Dicken eine schäbige Kette aus bunten Perlen. Echte Edelsteine konnten das nicht sein, das sah Zsolnay sofort.

Plötzlich spürte er, wie ein Blick ihn fixierte. Der Dicke hatte seine fiesen kleinen Knopfaugen auf ihn gerichtet. „Das hier ist nur billiger Plunder! Die Steine sind nicht mal so geschliffen, dass man sie für echt halten könnte!“ Der Dicke wedelte mit der Kette über dem Tisch herum. Die Öllampe flackerte.

„Aber da steckt Zigeunermagie drin!“ fuhr der Zuhälter mit dröhnender Stimme fort. „Ist von irgendeinem Wallfahrtsort, wo ein Bauernmädchen eine Marienerscheinung hatte. Rumänien oder so. Graf Dracula. Hokuspokus, wenn ihr mich fragt. Schon alt. Für einen guten Freund von mir hat sie aber eine persönliche Bedeutung. Hat seinem Mädchen gehört. Die, bei der er immer war, wenn er in Hamburg war, in einem meiner Bordelle. Während des Krieges. War so'ne glutäugige kleine Schönheit vom Balkan. Manche stehen ja drauf.“

Hamburg also. Zsolnay hatte gedacht Kiel. Der norddeutsche Tonfall des Zuhälters klang ordinär. Als wäre er zwischen tätowierten Matrosen und stinkenden Fischabfällen groß geworden, was vermutlich auch der Fall war.

„Allerdings is' die Lütte hier nich' ganz komplett!“ Der Dicke lachte keckernd. Ein junger Mann mit pechschwarzen Haaren und dunklem Teint trat an den Tisch. Er musste gekommen sein, als die Frau in dem grünen Abendkleid ihre Geschichte erzählt hatte. Worum war es da noch einmal gegangen? Zwei Schwestern, von denen die eine sich mit einem Soldaten verlobt hatte, während die andere sich ihr Geld in der Horizontalen verdient hatte, gut und böse, die Mächte der Finsternis und die des Lichts. Na ja, mussten die gerade sagen, dachte Zsolnay. Aber den bösen Mädchen war sowieso nicht zu helfen, die waren von Grund auf verdorben. Das hatte die Frau ja auch durchblicken lassen.

Der Schwarzhaarige stellte ein kleines Schmuckkästchen vor den Dicken auf den Tisch und öffnete es. Zsolnay starrte das Kästchen entgeistert an. Ein blauer Edelstein lag auf ein Stückchen glänzenden hellen Stoff gebettet darin. An seinen kunstvoll geschliffenen Ecken brach sich das Licht der Öllampe wieder und wieder, sodass die Mitte des Tisches in einem unwirklichen blauen Leuchten erstrahlte. „Der gute Junge hier war einst im Besitz des letzten Großmoguls von Delhi. Mein Freund wollte seiner kleinen Lieblingsnutte wirklich etwas Gutes tun. Nun sind die Dinge etwas anders gekommen ...“ ließ der Dicke sich vernehmen.

Für Zsolnay hörte es sich plötzlich so an, als käme seine Stimme von ganz weit her. Die Gesichter der anderen am Tisch wirkten durch das blaue Licht, das von dem beeindruckenden Edelstein ausging, seltsam blass. Ihre Züge schienen sich fast aufzulösen.

„Ihr beiden Jungs von Bodo von Hasenbeck, unserem tapferen Märtyrer, ihr bringt mir die Kette zu meinem Freund!“ Die dröhnende Stimme des Dicken war jetzt wieder ganz nah an Zsolnays Ohr. „Er wohnt etwas außerhalb von Berlin. Morgen Abend wird ein Auto euch vor dem Kaufhaus des Westens abholen. Die Beifahrerin, ein Häschen aus meinem Stall, wird die Kette als Erkennungszeichen um den Hals tragen. Sie steigt im Wedding aus und überlässt euch das gute Stück. Ihr übergebt es dann meinem Freund, mit freundlichen Grüßen von Heiner. Der weiß dann schon, was gemeint ist. Und dass mir kein einziger Stein an der Kette fehlt! Auch wenn's bloß Glasperlen sind – ich erwarte soldatische Disziplin!“

„Jawoll!“ antworteten Zsolnay und Behrend wie aus einem Munde. Der dicke Zuhälter hatte sich erhoben. Er warf einen beinahe zärtlichen Blick auf den blauen Edelstein, der in seinem Schmuckkästchen vor sich hinfunkelte.

„Den Saphir bring ich bei Gelegenheit dann selbst vorbei, damit alles seine Ordnung hat. Ihr Jungs werdet von meinem Freund weitere Instruktionen erhalten, denn wir haben noch so einiges mit euch vor. Zuerst geht es um die rote Zwillingsschwester, von der Fräulein Sibylla euch erzählt hat. Die hat sich mittlerweile hochgeschlafen in gewisse Kreise – Künstler nennen die sich, ein paar Judenlümmel, die den Bürgerschreck geben und malen wie Geisteskranke, dieser ganze französische Dreck, ein paar Farbkleckse und jede Menge Beleidigungen gegen die Obrigkeit, mit denen sie die deutsche Kultur und deutsche Werte zersetzen wollen. Einige von denen haben aber durchaus Geld und Beziehungen ...“

Mit einer blitzschnellen Bewegung, die Zsolnay dem Zuhälter mit seinem massigen Körper gar nicht zugetraut hätte, klappte der Dicke das Schmuckkästchen zu und steckte es sich in die Hosentasche. Es war so schnell verschwunden, dass der einarmige Zsolnay unwillkürlich an einen Taschenspielertrick denken musste.

Der Raum wurde jetzt nur noch von dem funzligen Licht der Öllampe erhellt. Der junge Mann mit den pechschwarzen Haaren war vom Tisch zurückgetreten. Die Dunkelheit hatte ihn fast vollständig verschluckt. Die anderen, die am Tisch saßen, waren zu schattigen Umrissen geworden.

„Männer!“ verabschiedete sich der Dicke knapp. „Voran!“ brüllten die anderen zurück. Fräulein Sibylla hatte sich ein Pelzjäckchen übergeworfen und folgte dem Dicken mit trippelnden Schritten. Die Tür, durch die auch Zsolnay und Behrend gekommen waren, schlug mit einem Krachen hinter den beiden zu. In gebührendem Abstand - Fräulein Sibylla und der Dicke mussten längst auf der Straße sein -, erhoben sich die anderen von ihren Stühlen. Zsolnay und Behrend taten es ihnen gleich. Die Runde war aufgelöst.

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