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Georgia: in einem Hinterhof, Berlin Kreuzberg, November 2019, Freitag, ca. 21 Uhr

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Georgia teilte einzelne Strähnen des dünnen, künstlich dunkelbraun gefärbten Haares der Plus-Size-Woman, die vor ihr saß, ab und steckte sie mit kleinen Klemmen auf deren Kopf fest. „Autsch!“ jammerte das Plus-Size-Model. Sie hieß Vivian und studierte an irgendeiner Berliner Privatuni Kommunikationsdesign. Georgia zog noch ein bisschen fester an Vivians Haaren. Sie sah den aschblonden Ansatz, der bereits nachgewachsen war, ein paar Millimeter zwar nur, aber für jeden Hairdresser gut erkennbar. Bei der feinen Haarstruktur war es kaum ratsam, dass Vivian alle drei Wochen nachfärbte, wie sie es müsste, damit es echt wirkte. Echt wirkte es zwar sowieso nicht, weil ihr Teint dazu zu hell war, aber sie hatten ja jetzt alle diesen Fimmel. Alle wollten wie das russische Supermodel Irina Sheikh aussehen – langes, kastanienbraunes Haar, graue Katzenaugen, ein üppiger Schmollmund und gertenschlank.

Georgia war hin- und hergerissen, was sie davon halten sollte. Eigentlich war sie für Body Positivity. Jeder Frau war so schön, wie sie nun einmal war. Punkt. Frauen mussten endlich lernen, ihre Körper anzunehmen, anstatt ständig irgendwelchen unerreichbaren Modeidealen hinterhezurennen. Und Vivian war nun einmal fett, blond und weiß wie Schnee. Weißer ging's echt kaum noch.

Andererseits empfand Georgia es als Genugtuung, dass die Schönheit von Women of Color nun so langsam zum Maßstab wurde. Wie viele schwarze Frauen hatten sich ihre Körper zerstört, um wie weiße Frauen auszusehen? Mit Bleichmitteln, die die Haut aufhellen sollten? Oder mit Brenneisen, die krauses Haar glätteten? Die lächerlichen Schönheits-OPs, mit denen Michael Jackson, der Popstar der Eighties – aber hallo, sowas von retro und obercool! - sich sein Gesicht zerstört hatte und zum Monster geworden war, nur weil er ein bisschen weißer hatte aussehen wollen?

Irina Sheikh war halbe Tatarin, also Halbmuslima. Georgia selbst stammte aus Südafrika und war black, eine stolze Zulu, auch wenn sie Mitte der neunziger Jahre in Düsseldorf geboren und auch dort aufgewachsen war. Sie war black und ziemlich klein und zierlich, ein richtiges Püppchen, weshalb es immer Leute gab - Weiße eben, oder Leute, die jedenfalls weiß im Kopf waren - die glaubten, sie müssten sie nicht ernst nehmen. Aber da hatten sie sich geschnitten.

Georgia hatte ihr Handwerk in London und New York gelernt. Ihre Eltern waren zunächst gar nicht begeistert gewesen, als sie ihnen nach dem Abi eröffnet hatte, dass sie eine Friseurlehre machen wollte. „Kind, verschwende dein Talent nicht!“ hatte ihre Mutter gesagt. Doch sie hatte sie davon überzeugt, dass es ihre Bestimmung war, Hairdresser zu werden. Sie war dazu geboren. Außerdem hatte sie auch noch eine Zusatzausbildung als Make-up Artist absolviert. Sie war zwar auf krauses Afro Haar und dunkle Haut spezialisiert, aber sie bekam überall problemlos ein Engagement nach dem anderen, sogar hier im weißen Berlin: private Services, Modeschauen, sogar am Theater und beim Film nahm man sie gern.

Sie hatte so viele Aufträge, dass sie nur noch halbtags in dem angesagten Salon in der Brunnenstraße in Mitte, wo sie fest angestellt war, arbeiten konnte. Kundinnen, die speziell von ihr die Haare gemacht kriegen wollten, mussten Monate im Voraus einen Termin buchen. Georgia war zwar noch nicht einmal ganz Mitte zwanzig, verdiente aber mehr Kohle als irgendein weißes Bürgerkind mit Doktortitel. Aber solchen Frauen würde sie sowieso sofort die Haare zerschneiden. Das verdienten sie doch, nicht wahr?!

„Viv, du siehst super aus!“ gurrte sie. In dieser Location hier war heute die Vernissage einer Performance-Künstlerin aus den USA angesagt. Georgia wusste zwar nicht, wieso Vernissage, Performance war ja kein Bild und keine Skulptur, sondern etwas, das man mit dem Body machte und insofern nicht wirklich ausstellen konnte, aber gut. Vorher sollte es noch eine queere Modenschau geben, bei der Vivian einen heißen Badeanzug vorführen würde: ein Traum in schrillem Pink mit goldenen Herzchen, ultrahoch ausgeschnittene Beine im Brazil-Style der Achtziger und geraffte Streifen, die Vivians dicke Möpse gerade so eben im Zaume hielten.

Georgia selbst trug ein Outfit, neben dem der Badeanzug von Vivian noch richtig züchtig war: ein Designerkleid in Bronze mit rassigem Leopardenmuster, das ihren sehr dunklen Hautton äußerst vorteilhaft betonte, oben nur zwei extrem schmale Streifen, die mit Mühe und Not Georgias Brustwarzen bedeckten – zugegeben, ihre Titten waren längst nicht so fett und prall wie die von Vivian, aber dafür war sie ein rassiges Raubkätzchen, das, wenn es wollte, auch ganz sanft schnurren konnte. Bei Männern kam die Message für gewöhnlich rüber. Ein kurzer, nuttiger Rock, seidig schimmernde schwarze Nylonstrumpfhosen, die sie schon mit punkigen Laufmaschen gekauft hatte, dazu tomatenrote Chucks. Bei der Arbeit trug Georgia lieber solche Treter. Nachher, wenn sie mit Vivian fertig war, würde sie in ihre kultigen türkisen Velourspumps mit Sieben-Zentimeter-Absätzen schlüpfen, die im Moment noch in dem Gucci-Täschchen lagen, das sie achtlos neben einen Kleiderständer geschmissen hatte. Das Gucci-Täschchen war natürlich ironisch gemeint. Den anderen hatte sie erzählt, es wäre ein Fake, das sie bei einem City-Trip nach Istanbul an irgendeinem Straßenstand gekauft hatte. Nur so, damit niemand dumme Bemerkungen machte.

„Meinst du?“ Vivian klang unsicher. Georgia hatte schon wieder vergessen, was sie gerade gesagt hatte. Hoffentlich nichts Zickiges. „Aber klar!“ sagte sie und versuchte, überzeugt zu klingen. „Ich mach dich richtig schön, okay, Baby?“ Vivian nickte eifrig. Ihre Hängebacken, in denen sie lustige Grübchen hatte, schlackerten mit. Sah fast aus wie bei einem Hamster, fand Georgia.

„Für dein Haar habe ich mir einen wilden Natural Style gedacht“ fuhr Georgia fort. „Das passt auch gut zu deinem Look. Ich möchte da gleich gern mit ein bisschen Conditioner ran und dann ne fette Ladung Spray, okay?!“ Vivian nickte, diesmal eher schüchtern. Vermutlich hatte sie nicht einmal ansatzweise kapiert, wovon Georgia redete.

„Ich würde dir allerdings generell eher einen natürlicheren Look empfehlen. Das dunkle Braun macht dich ein wenig blass, Süße!“ säuselte Georgia. Sie sah Panik in Vivians Augen aufflackern. „Blass?“ kreischte sie. „Aber ich fühl mich mehr so südländisch, weißt du, es ist eher ein inneres Gefühl, aber so vom Temperament her ...“ Na logo, wie Irina Sheikh, weiß ich doch, Baby.

Georgia griff nach dem Conditioner und löste zuerst die untersten Haarsträhnen. Das Deckhaar musste sie später gesondert bearbeiten. „Klar. Deshalb dachte ich auch an Bronze-Body-Powder für dein Gesicht und deinen Körper, dazu ein bisschen Eyeliner. Zu viel Make-up passt nicht so zum Beach-Look. Das Puder ist total geil, es glitzert ganz leicht, ein super Effekt, musst du echt unbedingt ausprobieren!“

Georgia spürte, wie ein notgeiler Blick sie langsam und genüsslich auszog. Also das auszog, was es noch auszuziehen gab. Ein dünner Typ mit dunklem Dreitagebart und peinlicher Pilotensonnenbrille mit verspiegelten Gläsern lümmelte lässig im Türrahmen. Eine altmodische Kamera hing ihm vor der Brust. Rotweiß geringeltes T-Shirt, nachtblaue Skinny Jeans, verstrubbeltes schwarzes Haar, als käme er gerade aus dem Bett. Italiener oder Spanier, dachte Georgia. Na gut, vielleicht auch Türke oder Libanese. Nicht übel jedenfalls.

Sie setzte ihr breitestes Lächeln auf, nur um den Typen dann voll abblitzen zu lassen. „Mach mich nicht an!“ knurrte sie. Der Typ zog eine Augenbraue hoch und grinste maliziös. Dann besaß er auch noch die Frechheit, sich eine E-Zigarette anzuzünden. Der Dampf würde höllisch unter Georgias Kontaktlinsen brennen, die sie leider tragen musste, weil sie ohne blind wie ein Maulwurf war. Na ja, fast. „Rauchen ist hier verboten, also verpiss dich!“ schnauzte sie ihn an. „Okay.“ Er zog ab. Total lässig. Wenn sie Pech hatte, war er wahrscheinlich eh schwul. „Au, das ziept!“ maulte Vivian.

Georgia sprayte eine Ladung ultra-strong Haarspray in Vivians Haar, knetete es mit ein paar geübten Handgriffen durch und schob noch ein kleines, braunes Schaumstoffkissen unter ihr Deckhaar, das sie mit kleinen Klemmen feststeckte. So wurde aus Vivians dünnen Strähnen eine wilde Mähne. „Weißt du, wie du dein Haar pflegst?“ erkundigte sich Georgia in einem professionellen Tonfall. „Na ja, ich wasche es jeden Tag, zwischendrin Trockenhaarwaschmittel. Dann benutze ich eine Spülung für dünnes Haar ...“ Vivian schien die gesamte Produktpalette der Regale mit den etwas teureren Marken sämtlicher Berliner Drogerien zu kennen.

Georgia gab ihr noch ein paar Tipps und sie fachsimpelten eine Weile miteinander, während Georgia Vivian die Augen machte: schwarzer Eyeliner und ein bisschen Wimperntusche, das war's. Nur das Minimalprogramm. Dann drückte sie Vivian das Bronze-Glitzer-Puder in die Hand.

Als die Plus-Size-Woman soweit fertig war, schlenderte Georgia in den Hauptraum, der mit schweren dunkelroten Samtvorhängen abgedunkelt war. Der Boden war aus knarrenden alten Holzdielen und eine der schmutzig weißen Wände hatte einen Riss, der aussah, als hätte ihn jemand extra da hineingemacht, so als künstlerisches Statement.

Aus den großen Retro-Style-Boxen, die in den Nischen zwischen Kisten, Klappstühlen und Leuten, die auf großen, orientalisch anmutenden Kissen auf dem Boden saßen, standen, wummerte funkiger Soul. Black Music. Die Beats gingen Georgia sofort ins Blut und ihr Gang bekam unwillkürlich etwas Tänzelndes. Aus den Augenwinkeln nahm sie den Typen mit der Kamera wahr, der jetzt an einer Wand lehnte und ein kleines Fläschchen mexikanisches Bier in der Hand hielt. Trotz des Dämmerlichtes hatte er seine verspiegelte Sonnenbrille nicht abgesetzt, sodass Georgia sich fragte, ob er überhaupt etwas sehen konnte. Sie drehte sich um und sah wie Vivian, die ihr hinterhergedackelt war, große Glubschaugen machte. Klar, sie war auch heiß auf den Typen. Gute, alte Vivian.

„Georgie!“ kreischte eine hübsche Blondine, die mit einigen anderen Leuten auf Klappstühlen um eine Plastikwanne herumsaß, in der ein bisschen Wasser war. Sie hatten alle ihre Socken und Schuhe ausgezogen und tunkten ihre Füße abwechselnd in das Wasser. „Georgie, komm mach mit, das ist total abgefahren, eine völlig neue Erfahrung, die wir hier gemeinsam miteinander machen!“ Für Georgia sah es eher nach der Erfahrung, sich Fußpilz zu holen, aus und das konnte man schließlich in jedem Hallenbad tun, aber sie wollte Lulu nicht enttäuschen, also holte sie sich einen Klappstuhl und setzte sich zu den anderen. Lulu arbeitete als Fotografin und Illustratorin für die „dicke Zicke“.

„Kennst du schon Thorbjörn, Georgie?“ Lulu zeigte auf einen Typen mit rotblondem strubbeligen Haar und blassen grünen Augen, der ihr zulächelte. „Ein Freund von Henning“ Henning war Lulus Freund. Er stammte aus Dänemark und arbeitete als Berater für irgendwas. Da sein Vater Diplomat gewesen war, war Henning in ungefähr zwanzig Ländern aufgewachsen und sprach mindestens fünf Sprachen fließend. Zulu gehörte zwar nicht dazu, aber Georgia konnte Henning trotzdem ganz gut leiden. „Thorbjörn und ein paar Leute wollen hier eine Serie Designmöbel für Hartz-IV-Empfänger aufziehen. Alles ganz einfach, aus einfachen Kisten, aus denen man nach dem Steckkastenprinzip immer neue Sachen zusammenstellen kann, ist das nicht großartig?“ quasselte Lulu weiter. Der Rothaarige nickte. „I undestand a little German, but let's stay with English, okay?“ Mit Freuden. Sie plauderten ein wenig.

„Design für Hartz-IV-Empfänger, das klingt ja interessant!“ mischte sich ein Typ mit einem dunkelblonden 0815-Haarschnitt und „Refugees welcome!“-T-Shirt ein. „What did he say?“ erkundigte Thorbjörn sich. Georgia winkte ab. „Oh, komm, nerv nicht! Siehst du nicht, dass wir uns hier unterhalten?! Zu zweit! Wenn du socializen willst, dann tu das woanders, okay?“ Der Typ sah beleidigt aus, aber er machte keine Anstalten, sich zu trollen. „Ich meine, ich bin der neue Mitarbeiter von Uli Kerber. Von der Linken Partei, weißt du? Uli ist verhindert und kann heute nicht kommen, aber ich bin sicher, dass ihn das interessieren würde.“ Georgia überlegte. „Und? Neuer Mitarbeiter von Uli Kerber, hast du auch einen Namen?“ fragte sie. „Klar, Basti. Sebastian Preuß.“

Georgia schaute betont gelangweilt auf ihre Oberschenkel. „Also gut, Basti“ sagte sie dann. „Ich denke, wenn du hier wirklich einen guten Job für Uli Kerber machen willst, dann solltest du dich um die queere Fashion-Show kümmern, die hat nämlich gerade angefangen.“ Sie zeigte auf den roten Teppich, den jemand im Raum ausgerollt hatte. Gerade spazierte eine riesige Frau, die mindestens 1,90 Meter groß sein musste und noch dazu ziemlich stämmig war, darüber. Um ihre Größe noch zu betonen, trug sie einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf, dazu einen glänzenden grau gepunkteten Satinanzug und darunter ein feuerrotes Top. Vivian stand startklar in ihrem pinken Badeanzug hinter ihr und warf diesem Basti heiße Blicke zu. Offenbar war er genau ihr Typ.

„No, no, it's okay!“ Thorbjörn fuchtelte mit seiner linken Hand herum, um Basti zu signalisieren, dass er ihm etwas zu sagen hatte. In der rechten Hand hielt er eine Flasche Bier, die er neben seinem Stuhl abstellte, um hektisch in seinem Jutebeutel herumzukramen. Dann reichte er Basti eine Visitenkarte. „Very pleased to meet you. Come to our makerspace! There we can talk!“ Okay, das war die Lösung. Basti konnte in den nächsten Tagen mal bei Thorbjörn und seinen Freunden vorbeischauen und dann konnten sie ja alles besprechen, was es zu besprechen gab.

„Wenn du schon hier rumstehst – könntest du mir vielleicht ein Bier holen? Ich komme hier gerade einfach nicht vom Stuhl hoch.“ Georgia setzte ihren allersüßesten Blick auf, den, der normalerweise jeden zum Schmelzen brachte. Und es funktionierte auch bei die Linke-Partei-Basti. Er nickte brav und zog eilfertig ab, froh, sich nützlich machen und ihr diesen kleinen Dienst erweisen zu können. Na bitte, ging doch!

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