Читать книгу Liebenau - Anna Laelia Seewald - Страница 19

Uli: in seinem Berliner Stadtappartement, Lichtenberg, November 2019, Freitag, ca. 23 Uhr

Оглавление

Sams schmaler bleicher Körper lag wie hingegossen auf dem weißen Laken. Sie hatte verdammt noch mal die prallsten kleinen Arschbacken, die er je gesehen hatte und die prallsten kleinen Brüste, die er je mit seinen Händen umfasst hatte. Sie hatte den Körper einer Siebzehnjährigen, nur dass sie schon … wie alt war sie nochmal? Anfang dreißig, wenn er das richtig in Erinnerung hatte. Aber Asiatinnen, überhaupt Women of Color, alterten ja nicht so schnell wie Europäerinnen, deren Haut am lichtempfindlichsten war. Deshalb bekamen sie am schnellsten Falten. Das hatte sie ihm mal erklärt.

Uli keuchte. Er wusste, dass das, was er gerade tat, Blödsinn war. Aber er hatte es heute unbedingt gebraucht. Er konnte im Moment nicht anders, als blöd zu sein. Blöd blöd blöd. Sam stöhnte lustvoll. Er wusste, dass sie das aus irgendeinem Porno hatte. Sam und ihr Mann Jonas guckten oft zusammen Pornos, die sie aus dem Internet herunterluden. Sam fand überhaupt nichts dabei. Und sie war Feministin. Sie war der Meinung, dass das zu einer selbstbestimmten weiblichen Sexualität dazu gehörte. Sie hatte recht. Was war denn schon so schlimm daran?! Wenn es der Frau doch auch Spaß machte?!

Uli merkte, wie ihm der Schweiß von der Stirn tropfte. In ihm hatte sich eine derartige Ladung angestaut – der ganze Stress der letzten Wochen. Sie hatten ihm wirklich von allen Seiten zugesetzt. Er war so vollgepumpt mit Adrenalin, dass er kurz davor war, durchzudrehen. Er hoffte, dass er nicht zu grob zu Sam war, aber sie schien es genau so zu wollen. Ganz abgesehen davon, dass er darauf jetzt auch keine Rücksicht mehr nehmen konnte. Mit ihm gingen gerade die Pferde durch und irgendwie genoss er es. Er hatte die Zügel vollkommen aus der Hand gegeben.

Als er fertig war, stieß er Sam etwas unsanft von sich. Er bereute es sofort wieder. Etwas in ihm wollte die Erinnerung daran, wie er sich gerade hatte gehen lassen, am liebsten sofort aus seinem Gedächtnis tilgen, noch bevor sie sich da überhaupt erst festsetzen konnte. Aber das war schließlich nicht ihre Schuld. „Ich habe noch nie soviel gefühlt wie gerade eben!“ log er. Er hatte einen ordentlichen Orgasmus gehabt, aber das war es auch schon gewesen. Sam schien die Unehrlichkeit aus seinen Worten herausgehört zu haben. Sie drehte sich auf den Rücken und sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an, den er nicht richtig deuten konnte. Dann küsste sie ihn zärtlich auf die Stirn. Also war offenbar doch alles in Ordnung.

Eigentlich wäre es ihm ganz recht, wenn sie jetzt aufstehen und gehen würde. Uli wusste, dass das 30-Quadratmeter-Appartement, das er sich mit einem Genossen teilte, der nur gelegentlich in Berlin war, der pure Luxus war. Im Normalfall übernachtete Uli in Lichtenberg, wenn es auf irgendeiner Parteisitzung spät geworden war oder er es aus anderen Gründen nicht schaffte, zurück nach Liebenau zu fahren. In letzter Zeit hatten die „anderen Gründe“ überwogen, wie er sich eingestehen musste.

Er hatte Sam bei einer Release-Party in Friedrichshain kennengelernt, bei der das Erscheinen irgendeines hippen Romans aus der Feder eines der angesagten Stars der hiesigen queeren Szene gefeiert worden war. Dass sie gegen Ende des Abends E-Mail-Adressen miteinander ausgetauscht hatten, mochte vielleicht nicht ganz unbemerkt geblieben sein, dass sie sich in der Folge privat getroffen hatten und sehr schnell miteinander im Bett gelandet waren, war jedoch ihr kleines Geheimnis. Er hatte Sam klargemacht, dass er verheiratet war – glücklich! Darauf hatte er bestanden. Und es hatte ganz gut gepasst, dass auch sie Mann und Kind hatte, eine kleine Tochter.

Anders als man bei einer so flippigen jungen Frau vielleicht hätte erwarten können, war sie in familiären Angelegenheiten durchaus altmodisch. Sie genoss ihre Mutterschaft sehr, wie sie ihm in einem intimen Moment einmal gestanden hatte. Ihre Tochter Paula ging ihr über alles und sie liebte ihren Mann Jonas, der im E-Business tätig und daher quasi rund um die Uhr beschäftigt war. Vielleicht lag es daran. Vielleicht hatte sie die Affaire mit ihm, der gut zehn Jahre älter war, aus reiner Langeweile angefangen.

Nachdenklich betrachtete Uli den nackten Körper der hübschen Eurasierin. Er saß auf der Bettkante und wusste nicht, was er als nächstes tun sollte. Gehen? Ins Bad? In die Küche? In den Wohn- und Arbeitsraum? Seinen Laptop aufklappen und ihr sagen, dass er noch zu tun hatte? Oder sich neben ihr im Bett ausstrecken? Fast glaubte er, die seidige glatte Haut ihrer schlanken, durchtrainierten Beine unter seinen Händen zu spüren. Hanna dagegen hatte Beine wie ein Reh – so behaart. So würde Sam es ausdrücken. Uli unterdrückte ein Grinsen.

„Jetzt, wo du gekommen bist, fehlen dir die Worte?“ Sam sah ihn aus schmalen Augen an. „Ich bin einfach noch total überwältigt!“ versuchte Uli sich zu rechtfertigen. Sam's Gesichtszüge verhärteten sich. Bitte krieg jetzt keinen deiner Anfälle, flehte er stumm. „Sam, ich bin einfach total müde. Das ist es. Ich bin sowas von total ausgepowert. Dieser ganze Politzirkus macht mich vollkommen fertig. Der Sex mit dir war wunderschön, aber jetzt habe ich das Gefühl, dass mir jeden Moment die Augen zufallen. Ist vielleicht auch so langsam das Alter, das sich bemerkbar macht. Ich bin ja schon jenseits der Vierzig. Es tut mir leid, aber ein andermal, jetzt ...“

Zu seiner Überraschung sah sie wieder milder gestimmt aus. „... Und jetzt willst du, dass ich gehe, damit der tolle Ulrich Kerber von der Linken Partei seinen Schönheitsschlaf kriegt?“ Sie grinste belustigt. „Na ja, ich bringe dich natürlich noch bis zur Prenzlauer Allee, wie immer.“ Innerlich atmete er erleichtert auf. „Quatsch! Du hast echt nicht zugehört. Ich bin mit dem Auto da. Ich bin doch nicht blöd und lass das bis morgen hier stehen, damit auch jeder sehen kann, dass der Ulrich Kerber von der Linken Partei Damenbesuch hatte. Oder dachtest du, ich wäre so lebensuntüchtig, dass ich nicht mal alleine nach Hause komme?“ Danke, danke, danke, Sam! „Nö, na ja, wenn du darauf bestehst“ sagte er lahm.

Sam nickte eifrig. Dann machte sie eine Show daraus, sich wieder anzuziehen, eine Art umgekehrten Strip. Sie schleuderte ihre Unterwäsche umher - ein Push-up Bra und ein hauchdünner String Slip, die beide zusammen mindestens so viel gekostet hatten, wie das, was einem Hartz-IV-Empfänger im Monat für Lebensmittel zur Verfügung stand -, und zog sich mit tänzelnden Bewegungen ihr Designerkleid über. Dann schlüpfte sie geschmeidig in ihre Sneaker, für die sie vermutlich auch zwei- oder dreihundert Euro auf die Ladentheke gelegt hatte, und warf sich ihre Lederjacke über, die in etwa so aussah, wie die Kunstlederblousons, die viele Teenager in Marzahn-Hellersdorf trugen, nur dass bei Sams Jacke das Leder echt war. Im Endergebnis sah sie aus wie eine stinknormale Berliner Göre, nur dass sie deutlich hübscher war und eben auch etwas älter, als die meisten Leute zunächst annahmen.

Er mochte diese unprätentiöse Seite an ihr. Aber er verachtete sie dafür, dass sie das Geld so dekadent zum Fenster hinausschmiss. Na ja, sie war die Tochter eines einfachen Arbeiters und einer vietnamesischen Putzfrau, die mit den Boat People als Flüchtling in die Bundesrepublik gekommen war. Vermutlich hatte Sam Nachholbedarf. Er zog sich hastig seine Hose über und begleitete sie zur Tür. „Ciao, Uli!“ Zum Abschied hauchte sie ihm noch ein Küsschen entgegen. „Ciao! Komm gut nach Hause!“ Sam grinste von einem Ohr zum anderen und sprang dann die frisch geputzte Treppe mit federnden, elastischen Schritten fast geräuschlos hinunter. Als er hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel, ging er zurück in die Wohnung. Irgendwo im Kühlschrank musste noch Schnaps sein. Uli hatte das Gefühl, dass er jetzt einen brauchen konnte.

Liebenau

Подняться наверх