Читать книгу Die ersten 3 Jahre meines Kindes - Anne Pulkkinen - Страница 26

Sozial-emotionale Entwicklung

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Soziale und emotionale Entwicklung sind sehr eng miteinander verknüpft und voneinander abhängig. Wir leben in komplexen sozialen Systemen, in die auch Kinder langsam hineinwachsen müssen. Dazu lernen sie, positive Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen – nicht nur zu den eigenen Eltern. Auf einer Familienfeier anlässlich des 70. Geburtstags des Großvaters reagiert ein acht Monate altes Baby vermutlich eher ängstlich auf all die neuen Gesichter. Obwohl – oder gerade weil – alle es süß finden und gern auf den Arm nehmen wollen, fremdelt das Kind und weint. Ein Gefühl der Angst steuert sein Verhalten: »Ich muss durch das Weinen mein Unbehagen zum Ausdruck bringen. Ich brauche Trost und Sicherheit.«

Beim 75. Geburtstag des Opas wird alles ganz anders ausschauen: Das Kind ist jetzt schon fast sechs Jahre alt und hat mittlerweile nicht nur viele unterschiedliche soziale Systeme kennengelernt. Es kann auch seine Emotionen besser und vielfältiger steuern. Es hat gelernt, seine eigenen Gefühle zu erkennen und zu kontrollieren, vermag aber gleichzeitig auch, die Gefühle der anderen Menschen – klein und groß – zu deuten. Daher kann es dementsprechend darauf reagieren (Experten bezeichnen diese Fähigkeit als emotionale Intelligenz).

1. bis 3. Monat

An der warmen und weichen Haut der Mutter erlebt das Neugeborene das erste Mal eine positive Begegnung mit einem anderen Menschen. In Kombination mit dem Stillen ist dieser Hautkontakt das Größte und Schönste fürs Baby. Kinder brauchen unendlich viel Zärtlichkeit (»Vitamin Z«), damit aus ihnen (sozial) liebenswerte Erwachsene werden, die selbst wieder positive Gefühle weitergeben können.

DIE WICHTIGSTEN GEFÜHLE

Babys bringen ein angeborenes mimisches Ausdrucksrepertoire mit. Schon mit wenigen Wochen können sie die wichtigsten Gefühle mimisch ausdrücken: Angst, Ärger, Ekel, Freude, Traurigkeit, Erstaunen. Weil diese Emotionen in allen Kulturen bekannt sind und auch überall verstanden werden, bezeichnen Wissenschaftler sie als primäre Basisemotionen.

ERSTE KOMMUNIKATION

Bis zum dritten Lebensmonat werden die Basisemotionen weiter ausgebildet. Mit ungefähr sechs bis acht Wochen lächelt das Baby einen Erwachsenen an, wenn dieser es anspricht und anlacht. Diesem sozialen Lächeln kann sich keiner entziehen; fast jeder lächelt spontan zurück.

BINDUNGEN

In den ersten drei Lebensmonaten lässt sich ein Baby von fast allen Personen trösten. Es beruhigt sich auch, indem es an Fingern und Handrücken lutscht. Erst gegen Ende des dritten Monats reagiert es plötzlich deutlich auf bekannte Gesichter und Stimmen: Es blickt die Person direkt an, strampelt, zappelt und hört oft auf zu weinen. Bei Unbekannten dagegen fühlt es sich jetzt meist unbehaglich: Die kurze Zeit der Drei-Monats-Angst beginnt.

4. bis 6. Monat

Das zweite Vierteljahr wird auch als Wonnezeit bezeichnet. Denn das Baby gluckst und lacht jetzt am laufenden Band – vorausgesetzt, es ist gesund und satt und erfährt viel Nähe und Vertrauen. Wer immer es freundlich anlacht: Es wird zurückgestrahlt. Wahrscheinlich lachen wir nie mehr so viel wie in diesen Monaten.

ANDERE BABYS

Das Baby ist mittlerweile in der Lage, Menschen von Gegenständen zu unterscheiden – nur die Ersteren lächelt es an. Sein besonderes Interesse gilt dabei nicht immer den Erwachsenen: Ab dem dritten Lebensmonat nehmen die Kleinen Kontakt zu Gleichaltrigen auf, indem sie sich gegenseitig anschauen oder anlächeln, wenn sie zum Beispiel nebeneinander auf dem Boden liegen. Und sie lachen sich selbst im Spiegel an, weil sie denken, sie sähen ein anderes Kind.

ERSTE »FREUNDSCHAFT«

Die Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen erfolgt nicht nur über Blicke. Wenn das Baby die Gelegenheit hat, zum Beispiel in einer PEKiP-Gruppe (>), versucht es auch, die anderen mit der Hand zu berühren, und streckt dazu gezielt seinen Arm aus. Oder es dreht sich auf den Bauch oder zur Seite, um einem anderen Baby nahe zu sein. Immer öfter beginnen die Babys, miteinander zu brabbeln – und: Sie reagieren auf die unterschiedlichen Gefühlsäußerungen des anderen, indem sie ebenfalls lächeln, weinen oder gestikulieren. Wieder einmal sind die Spiegelneuronen (>) am Werk.

Erst gegen Ende des sechsten Monats beginnt das Baby, bei Erwachsenen wie bei Altergenossen bekannte und fremde Gesichter zu unterscheiden. Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis es zu fremdeln beginnt.

7. bis 9. Monat

Immer öfter äußern sich Erinnerungen: Wenn abends die Babysitterin kommt, klammert das Baby (Bindungsverhalten wird aktiviert), weil es weiß, dass Mama und Papa bald weggehen. Vielleicht weint es beim Kinderarzt, weil der es beim letzten Impftermin gepikst hat. Genauso aber kann es sich auch an schöne Dinge erinnern und freut sich zum Beispiel schon beim Anblick seiner Flasche auf das Trinken. Denken Sie immer daran, dass Ihr Nachwuchs erst wenige Monate auf dieser Welt ist und trotzdem schon zu solchen geistigen Leistungen fähig ist.

FREMDELN

Die Skepsis unbekannten Erwachsenen gegenüber wächst von Monat zu Monat. Wie stark und wie lange ein Baby fremdelt (Acht-Monats-Angst), hängt dabei stark von seinem individuellen Charakter ab. So unangenehm es den Eltern zuweilen sein mag, wenn ihr Baby plötzlich

nicht mehr mit der Oma oder der Tante kuscheln will: Diese Phase gehört wie das später auftretende Trotzalter (>.) zur Ich-Entwicklung. Nicht zuletzt ist das Fremdeln auch ein Zeichen von sicherer Bindung. Bis vor Kurzem hat Ihr Wonneproppen noch alle aus ganzem Herzen angelacht – den freundlichen Handwerker ebenso wie die nette Kassiererin im Supermarkt. Jetzt aber weiß das Baby ganz genau, wer in den engen Kreis der Bindungspersonen gehört und wer nicht.

Manchmal fremdeln Babys sogar beim eigenen Vater, wenn dieser zum Beispiel die Woche über in einer anderen Stadt arbeitet oder abends immer erst vom Büro nach Hause kommt, wenn das Kind schon schläft. In so einem Fall ist viel Geduld und Liebe gefragt. Gibt man dem Baby die Zeit, die es auf dem Arm der Mutter braucht, freut es sich bald auf das gemeinsame Spiel; sein »Arbeitsgedächtnis« hat registriert, dass auch Papa zu den Vertrauten gehört.

Gegen Ende des ersten Lebensjahres ist das gröbste Fremdeln normalerweise überstanden. Eine gesunde Skepsis Fremden gegenüber ist aber noch immer völlig normal – und auch wichtig. Sie wird daher auch in den kommenden Jahren weiter »geübt« und beibehalten.

10. bis 12. Monat

Das Baby macht in der sozialen Entwicklung große Sprünge, weil es immer mehr durch Gesten ausdrücken kann, was es möchte. Dadurch nehmen Missverständnisse in der Kommunikation zwar ab, sie bleiben aber noch lange ein fester Bestandteil des Zusammenlebens.

SICH AUSTAUSCHEN

Wahrscheinlich robbt oder krabbelt Ihr Kind bereits und kann aktiv den Kontakt zu Ihnen suchen, ohne zum Beispiel durch Weinen auf sich aufmerksam zu machen. Es ist jetzt auch so groß, dass es bereits einige Anweisungen verstehen und befolgen kann. Am besten gelingt ihm dies, wenn Sie Ihre Forderungen mit den passenden Gesten untermalen: »Gib mir!« (Hand ausstrecken), »Komm her!« (herbeiwinken), »Leg dich hin!« (Kopf schief legen). Mit jeder Woche wird die Kommunikation leichter.

Babys in diesem Alter haben schon verstanden, dass ihre Mutter und ihr Vater auch dann noch da sind, wenn sie sie gerade nicht sehen. Trotzdem krabbeln sie ihren Eltern in den meisten Fällen hinterher, wenn sie den Raum verlassen.

REAKTION AUF DIE ELTERN

Das Baby reagiert mit unterschiedlichen Gefühlen auf das Verhalten seiner Eltern. Es hält inne, wird still oder weint sogar, wenn sie »schimpfen« und damit Grenzen setzen. Es strahlt aber auch, wenn die Mutter seine Bemühungen (zum Beispiel einen Ball zurückgeben) belohnt, indem sie lächelnd »Danke« sagt.

WINKEN

Etwa mit neun Monaten reagieren Babys auf die Aufforderung »Mach winke, winke« oder ahmen ihre Eltern beim Winken nach. Gegen Ende des ersten Lebensjahres winken sie dann spontan, wenn jemand den Raum verlässt – später heißt es »Auf Wiedersehen«. Auch Zärtlichkeiten werden jetzt aktiv erwidert: Wenn Sie ihm ein Küsschen geben, schmatzt es freudestrahlend zurück. Und das Gleiche geschieht beim Streicheln, Umarmen, Kitzeln …

INFO

Nehmen Sie Gefühle ernst

Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ihrem neun Monate alten Baby spazieren. Es sitzt im Kinderwagen und blickt interessiert umher. Sie begegnen einer Nachbarin und halten einen kurzen Plausch mit ihr. Ihre Nachbarin streichelt sanft den Kopf Ihres Kindes: »Du bist aber süß.« Dem Baby jedoch ist das Ganze offensichtlich unangenehm. Es dreht den Kopf zur Seite und senkt verlegen den Blick.

Nehmen Sie solche Gefühlsäußerungen ernst, und verharmlosen Sie sie nicht, indem Sie zum Beispiel sagen: »Aber Schatz, Frau Maier wollte dich doch nur begrüßen, sie mag dich und freut sich, wenn sie dich sieht.« Versuchen Sie stattdessen, die Gefühle Ihres Kindes richtig »widerzuspiegeln«: »Mein Kleines ist wirklich süß. Aber es mag es nicht, wenn man seinen Kopf streichelt.« Weil Ihr Baby immer genauer in Ihrem Gesicht »lesen« kann, merkt es dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit, dass Sie seine Gefühle ernst nehmen. Es fühlt sich sicher und geborgen.

SPIEGELBILD

Sieht sich Ihr Baby in einem großen Spiegel, begrüßt und betastet es freudig das »andere« Kind und lacht es an. Weil der vermeintliche Spielkamerad auch lacht, lacht es zurück. Es bietet ihm sogar Spielsachen an, sucht ihn hinter dem Spiegel und ist ganz erstaunt, wenn es feststellt, dass da niemand ist. Denn noch erkennt sich Ihr Kleines nicht selbst im Spiegel.

SOZIALE KONTAKTE ZU KINDERN

Soziale Kontakte zu Gleichaltrigen oder anderen Kindern (zum Beispiel Geschwistern) nehmen zu. Begegnen sich auf der Straße zufällig zwei Frauen, in deren Kinderwagen jeweils ein Kind sitzt, nehmen die beiden Kleinen sich schon von Weitem wahr: Sie rudern mit den Armen und lächeln, brabbeln oder juchzen. Wenn die Mütter dies bemerken und es in der Situation passt, verlangsamen die Mamas automatisch ihr Tempo oder halten sogar an. In der Krabbel- oder PEKiP-Gruppe schließt das Baby sogar schon richtige kleine Freundschaften. Wenn Sie aufpassen, werden Sie schnell feststellen, wer der oder die »Auserwählte« ist.

STREIT UNTER KINDERN

Jetzt können auch bisher unbekannte Situationen in der Beziehung zu Gleichaltrigen auftreten. Wenn das Baby zum Beispiel ein anderes Kind sieht, das einen interessanten Gegenstand in den Händen hält, will es diesen auch erkunden und nimmt ihn dem anderen einfach weg. Beim Gegenüber löst dieses ganz natürliche, von kindlicher Neugier getriebene Verhalten prompt negative Emotionen aus: Erst staunt es skeptisch, dann beginnt es zu weinen. Schalten Sie sich in solchen Situationen als »Streitschlichter« ein. Denn soziales Verhalten ist nicht angeboren ist, sondern muss erlernt werden (»Schau, Felix spielt doch gerade mit dem Eimer. Du kannst ihn nachher haben. Hier hast du so lange die Schaufel.«). Etwas anderes ist es, wenn sich die beiden allein »einigen« und sich das Kind, das den Gegenstand zuerst hatte, etwas anderes zum Spielen sucht. Eltern sollten sich in diesem Fall zurückhalten, denn noch gibt es keine echten Opfer und/oder Täter, sondern nur wissbegierige junge Forscher.

INFO

Entwicklungsängste

Im ersten Lebensjahr lassen sich mehrere entwicklungsbedingte Ängste beobachten. Sie sind völlig normal, und die Kinder entwachsen ihnen ebenso wie Kleidungsstücken oder Spielsachen:

• Drei-Monats-Angst (>)

• Acht-Monats-Angst (Fremdeln, >)

• Trennungsangst (ab 6. bis 8. Monat); sie zeigt sich immer dann, wenn die Bindungsperson den Raum verlässt, und hängt von der Qualität der Bindung ab.

• Angst vor lauten Geräuschen wie Staubsauger, Bohrmaschine, laut bellenden Hunden oder zerplatzenden Luftballons; sie ist die häufigste Form unter den Entwicklungsängsten und bleibt oft bis zum vierten Lebensjahr bestehen.

Die ersten 3 Jahre meines Kindes

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