Читать книгу Handbuch Wirtschaftsstrafrecht - Udo Wackernagel, Axel Nordemann, Jurgen Brauer - Страница 400

2. Das Geschäftsherrenmodell

Оглавление

14

Wie beim „Wettbewerbsmodell“ fällt auch beim „Geschäftsherrenmodell“ die Bestimmung der Schutzinteressen der einschlägigen Tatbestände nicht leicht. Die mit dem KorrBekG 2015 neu eingefügten Geschäftsherren-/Pflichtwidrigkeitsvarianten gem. § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB sind schon weit im Vorfeld der Gesetzgebungsaktivitäten in der 18. Legislaturperiode heftig kritisiert worden.[27] Der Gesetzgeber hielt sich allerdings aufgrund internationaler Rechtsakte (insbesondere des EU-Rb 2003/568/JI) für verpflichtet, bisher durch § 299 StGB a.F. nicht erfasste Pflichtverletzungen außerhalb von Wettbewerbslagen in den Tatbestand einzubeziehen.[28] Im Unterschied zu den klassischen Wettbewerbsvarianten – jetzt § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB – zielt die bei den Pflichtwidrigkeitsvarianten der Nummern 2 der Abs. 1 und 2 ebenfalls erforderliche Unrechtsvereinbarung nicht auf eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb, sondern auf die Vornahme einer Handlung oder Unterlassung, die sich gegenüber dem Unternehmen (d.h. dem Prinzipal) als pflichtwidrig erweist. Parallel zu den Wettbewerbsvarianten muss auch hier das tatbestandsmäßige Verhalten im „geschäftlichen Verkehr“ und „bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen“ erfolgen. Ein Blick in die Materialien zeigt, dass der Gesetzgeber mit den neuen Tatvarianten die „Interessen des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten und Beauftragten im Bereich des Austausches von Waren und Dienstleistungen“ schützen will.[29] Die Ausdeutung dieses schmalen legislativen Hinweises zwecks Bestimmung des tatbestandlich zu schützenden Rechtsguts vor dem Hintergrund des umzusetzenden EU-Rahmenbeschlusses hat sich schnell zum zentralen Diskussionspunkt der neuen Geschäftsherrenvarianten entwickelt. Das Interpretationsfeld ist dabei weit gesteckt und reicht von abstrakt verhaltensbezogenen „Loyalitätsinteressen“ des Prinzipals bis hin zu nuancenreichen Versuchen, den Pflichtwidrigkeitsvarianten letztlich doch einen überindividuellen Schutzzweck (zumeist den Wettbewerb) abzuringen (bzw. einzupflanzen)[30] – und hierbei zu betonen, diese Auslegung sei mit dem Unionsrecht vereinbar[31] oder von diesem gar erzwungen.[32]

15

Diese Rechtsanwendungsschwierigkeiten waren nach der seit 2006 breit vorgetragenen Kritik absehbar; es gilt nun, nachdem „das Kind in den Brunnen gefallen (oder gestoßen worden) ist“, das Beste aus der misslichen Gesetzeslage zu machen um zu verhindern, dass jegliche Pflichtverletzung im Innenverhältnis Agent-Prinzipal strafbarkeitsbegründend wirkt. Verfassungsrechtlich abgesicherte Garantien wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG) fordern bei derart unbestimmter Tatbestandsformulierung, wie sie der nicht weiter eingeschränkte Pflichtenverstoß gegenüber dem Geschäftsherrn gem. § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB darstellt, eine restriktive Auslegung des Tatbestandes.[33] Loyalität ist kein Selbstzweck; sie eignet sich nicht zum die Norminterpretation anleitenden Rechtsgut. (Loyalitäts-)Interessen müssen, um sie für die Rechtsanwendung greifbar zu machen, auf etwas (zweckhaft) bezogen sein.[34] Gleichzeitig lässt sich den Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses und auch dem deutschen Gesetzestext nebst Begründung entnehmen, dass die Strafbarkeit nach den Pflichtwidrigkeitsvarianten keine unlautere Bevorzugung im Rahmen einer konkreten Wettbewerbslage verlangt; eine tatsächliche oder nur mögliche Wettbewerbsverzerrung als Konsequenz des Tatverhaltens wird nicht vorausgesetzt.[35] Damit können auch die zahlreich unternommenen (Einschränkungs-)Versuche, Pflichtverletzungen nur dann als tatbestandsmäßig einzustufen, wenn sie geeignet erscheinen, den Wettbewerb zu beeinträchtigen,[36] nicht überzeugen. Denn eine unbefangene Gesamtschau auf das anzuwendende Recht zeigt, dass schon nach Auslegung des EU-Rahmenbeschlusses mehr für einen primär individualrechtsschützenden Charakter der Pflichtwidrigkeitsvarianten spricht und sich auch der deutsche Gesetzgeber in diesem Sinne positioniert hat.[37]

16

Den damit angedeuteten Mittelweg hat Rogall skizziert.[38] Er verläuft zwischen einem untreuespezifischen Geschäftsherrenmodell auf der einen und einem wettbewerbsspezifischen Geschäftsherrenmodell auf der anderen Seite. In der Sache sind die schon tatbestandlich angelegten Schranken in verfassungsrechtlich gebotener (einschränkender) Manier auszubauen und bei der Auslegung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals eine dem Tatbestand des § 299 StGB angemessene faktisch-wirtschaftliche Position einzunehmen. Dies berücksichtigend ist zunächst festzustellen, dass zwar die vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfohlenen und vom Deutschen Bundestag akzeptierten Tatbestandsergänzungen („ohne Einwilligung des Unternehmens“; Vornahme einer Handlung oder Unterlassung) kaum Einschränkungspotenzial enthalten.[39] Einen gewissen Wettbewerbsbezug erzwingen die Pflichtwidrigkeitsvarianten aber insoweit, als sie ein Täterverhalten „im geschäftlichen Verkehr“ verlangen, das mit „dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen“ verknüpft ist.[40] Ohne dass im Hintergrund Wettbewerb stattfindet, sind diese Voraussetzungen in modernen Marktwirtschaften kaum einzuhalten. Auch wird das Interesse des Vorteilsgebers an der Pflichtverletzung des Agenten regelmäßig ein wirtschaftliches sein, das ihn oder einen Dritten fördert. Bei dieser tatbestandlichen Einbettung ist Rogall zu unterstützen, wenn er zum Rechtsgut präzisierend und in Harmonie mit der geltenden Rechtslage ausführt, „dass es bei dem sog. Geschäftsherrenmodell um den Schutz des Geschäftsherrn vor unlauteren Geschäftspraktiken geht, die seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen.“[41] Weiter konkretisierend geht es faktisch zumeist um wirtschaftliche Interessen des Geschäftsherrn, die sich in einem wettbewerblichen Umfeld ergeben[42] – und eben nicht nur (eher) um diffuse Loyalitätsinteressen (mit welchem Inhalt auch immer).[43] Damit lässt sich hinsichtlich der Schutzinteressen der Pflichtwidrigkeitsvarianten resümierend feststellen: Primär sind diese auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Prinzipals ausgelegt, (abstrakt) mittelbar bezwecken sie aber auch Wettbewerbsschutz (wenngleich weit im Vorfeld konkreter Wettbewerbslagen und tatsächlicher Wettbewerbsverzerrungen).[44] Da für die Tatbestandsverwirklichung auch Vermögensschädigungen (real oder in Form konkreter Vermögensgefährdungen) nicht eingetreten sein müssen, handelt es sich bei den Pflichtwidrigkeitsvarianten ebenfalls um abstrakte Gefährdungsdelikte.[45]

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

Подняться наверх