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ОглавлениеAls es bei Paul Breitner ganz flüssig lief |
Die einen haben die Hosen voll, Thomas Müller verwandelt im Stil von Harald Nickel, Mönchengladbach schießt den Vogel ab – und Toni Schumacher erhält im „Tatort“ den entscheidenden Tipp. Die kuriose Geschichte des Elfmeters in der Bundesliga.
Gefühlt ist es die Saison der Elfmeter. Vor allem für die Mönchengladbacher Borussia. Vor dem Wochenende hatte sie neun Strafstöße in zehn Pflichtspielen verschuldet und damit den Grundstein für den holprigen Start in die Saison gelegt. Patrick Hermann hatte vollkommen zu Recht geschlussfolgert: „Es ist schwer, Spiele zu gewinnen, wenn wir in jedem Spiel einen Elfmeter verursachen.“
Und die allermeisten Schiedsrichter-Pfiffe gegen Gladbach waren wohl auch noch berechtigt. Dabei bieten Strafstöße ansonsten gerne einmal Anlass zu hitzigen Diskussionen. Außer man hat Franz Beckenbauer als Sitzplatznachbarn neben sich, wie einst Olaf Thon, der anschließend meinte: „Der Herr, der neben mir sitzt, hat gesagt: ,Das war kein Elfmeter.‘ Und wenn er das sagt, dann stimmt das. Denn dieser Herr hat immer Recht.“
Elfmeter treffsicher zu verwandeln, ist eine Sache für sich. Oder wie es Paul Breitner nach dem legendären Halbfinale gegen Frankreich bei der WM 1982 in Spanien ausdrückte: „Da kam dann das Elfmeterschießen. Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief’s ganz flüssig.“
Ganz wichtig ist die Psychologie des Schützen. Gegen Manchester City scheiterte Gladbachs Raffael beim Stand von 0:0 die Tage an Englands Nationalkeeper Joe Hart ziemlich kläglich. Warum? Weil er in allerletzter Sekunde die Schussrichtung geändert hatte, wie Raffael hinterher reumütig zugab. Ein typischer Fehler – und eine reine Kopfsache. Man glaubt nicht, was sich bei den Protagonisten da oben im Hirn so alles abspielt vor einem Strafstoß. In der Saison 1986/87 ballerte Bochums Ata Lameck etwa einen Elfmeter links am Tor vorbei und sagte danach: „Normalerweise schieße ich in die andere Ecke. Aber ich habe überlegt: Hat der Vollborn vielleicht beim letzten Mal Fernsehen geschaut, als ich einen Elfmeter geschossen habe? Das war ein Fehler. Man soll sich immer treu bleiben.“ Genau.
Noch aberwitziger hat es einmal Fortuna-Torwart Wolfgang Kleff 1983 nach dem Spiel seiner Düsseldorfer gegen Hertha ausgedrückt: „Ich wusste, dass der Remark immer in die rechte Ecke schießt. Nur: Weiß der Remark, dass ich weiß, welches seine Ecke ist? Und wenn er weiß, dass ich es weiß, schießt er dennoch in seine Ecke? Aber als er sich den Ball hingelegt hatte und zurückging, um anzulaufen, schaute er ganz kurz in die rechte Ecke. Da wusste ich Bescheid!“
Der ehemalige Bayern-Torjäger Roy Makaay hat das ganze Phänomen einmal sehr anschaulich auf den Punkt gebracht: „Wenn ich denke, dass der Torwart denkt, und der Torwart denkt, dass ich denke – dann kann ich auch einfach schießen. Es macht keinen Unterschied.“
Bis heute hält der Stuttgarter Michael Nushöhr einen Bundesligarekord. Am 8. Februar 1986 verwandelte er drei Strafstöße in einer Partie – was sich leichter anhört, als es sich in Wahrheit darstellte: „Beim dritten Elfmeter war ich verdammt nervös – ich wusste nicht mehr, wohin ich schießen sollte.“
Die beste Quote unter den Bundesligakeepern hat immer noch Rudi Kargus inne: 70-mal trat ein gegnerischer Spieler zum Mann-gegen-Mann-Duell gegen ihn an, und 24-mal behielt Kargus die Oberhand. Er begründete dies einmal so: „Hat man erst einen Ruf als Elfmetertöter, dann ist das psychologisch ein großer Vorteil. Der Schütze wird unsicher. Aber Herzog, Hoeneß, Höttges und Gersdorff haben mir den Ball doch schon ins Netz gesetzt. Nicht immer genügen meine Kenntnisse und Reaktionen.“
Auffällig ist die Schusstechnik des Bayern-Stürmers Thomas Müller in dieser Saison. Doch völlig neu ist auch diese in der Bundesliga-Historie nicht. Harald Nickel entwickelte damals diese einzigartige Variante: Er schoss, wie heute Müller, quasi aus dem Stand. Sein Erfolgsgeheimnis erläuterte der Braunschweiger selbst so: „Ich muss dem Torwart möglichst wenig Zeit geben, sich auf meinen Schuss einzustellen. Das kann ich aber nur, wenn er nicht weiß, wann ich wirklich abziehe. Und das wiederum ist nur bei einem Schuss aus dem Stand möglich.“
Eine der kuriosesten Storys rund um einen Elfmeter ereignete sich in der langen Bundesliga-Geschichte am 32. Spieltag der Saison 1978/79. Beim Spiel des 1. FC Kaiserslautern gegen Borussia Mönchengladbach kam es in der ersten Halbzeit zum Duell Seppl Pirrung gegen Keeper Wolfgang Kneib. Der Torhüter erzählte später: „Ich habe beim Schuss von Pirrung seinen Anlauf beobachtet und mich danach in die linke Ecke geworfen.“ Erfolgreich gehalten! In der Halbzeit traf Kneib den etatmäßigen Lauterer Elfmeterschützen Reinhard Meier, der ihm sagte, dass er den Ball in die andere Ecke geschossen hätte. Zweite Halbzeit, erneuter Elfmeter für Lautern – diesmal trat Meier an. Und Kneib präsentierte ein Lehrstück in Psychologie. Hinterher dachte er laut nach: „Nachdem er mir das gesagt hat, schießt er jetzt wohl in die andere Ecke!“ Und genau so kam es: Links unten, Kneib hielt und war der Held des Spiels.
Unter die Kategorie „Dumm gelaufen“ fällt wohl folgende Geschichte. Werner Weist wollte sich einst einen Spaß erlauben und rief Düsseldorfs Torhüter Büns flapsig zu: „Pass auf, gleich haue ich ihn dir ins rechte Eck!“ Werder hatte gerade einen Elfmeter zugesprochen bekommen, und der Mittelstürmer ging davon aus, dass wie immer sein Mannschaftskamerad Höttges ausführen würde. Doch der lag verletzt am Spielfeldrand. Trainer Burdenski entschied: Weist solle schießen. Der schluckte, zog dann aber kurz entschlossen ab: „Ich habe mir gesagt, jetzt bleibst du bei deinem Wort, und prompt rannte Büns in die falsche Ecke.“ Der gehörnte Düsseldorfer Torwart kratzte sich noch nach Spielschluss verwirrt am Hinterkopf: „Ich habe doch nicht geglaubt, dass er das ernst meinte!“
Bei einer anderen Partie schoss dann aber wieder Horst-Dieter Höttges höchstpersönlich. Nach der Begegnung zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV (1:3) des 15. Spieltags der Saison 1975/76 schaute der Werderaner gemeinsam mit seinen Mannschaftskameraden die Zusammenfassung des Spiels im Fernsehen an. Als Höttges im TV zu seinem verschossenen Elfmeter antrat, starrten seine Kollegen wie gebannt auf den Bildschirm. Der Abwehrspieler schnauzte sauer in die Runde: „Warum guckt ihr da hin, meint ihr, ich kriege ihn jetzt rein?“
Über den ehemaligen Nationaltorwart Oliver Kahn erzählt man sich die schöne Geschichte, dass er beim Thema Strafstöße kein Erbarmen kannte. Bei einem Benefiz-Elfmeterschießen in Karlsruhe sollten einmal Kinder gegen ihn antreten. Für jeden Ball, den sie dem Keeper ins Netz legten, floss Geld für einen guten Zweck. Doch der Nationaltorwart trieb die kleinen Dötze in die Verzweiflung. Kahn, so heißt es, habe keinen einzigen Ball durchgelassen.
Die großartigste Begründung für einen gehaltenen Elfmeter lieferte übrigens einmal ein anderer Nationaltorhüter. Am 33. Spieltag der Saison 1983/84 parierte FC-Torwart Toni Schumacher beim 4:6 seiner Kölner in Uerdingen einen Elfmeter von Friedhelm Funkel. Hinterher lautete seine kuriose Begründung: „Wie der Funkel Elfmeter schießt, hatte ich bei einem Tatort-Krimi im Fernsehen gesehen.“ Häh? Tatsächlich hatte es kurz vorher in der Folge „So ein Tag …“ einen kleinen Ausschnitt der Partie Frankfurt gegen Kaiserslautern zu sehen gegeben. Und in einer Szene: der damalige Lauterer Friedhelm Funkel beim Elfmeterschießen. Unglaublich!
Man sieht: Das Thema Strafstöße ist endlos und facettenreich. Und vor allem ganz und gar nicht so, wie der erfolgreichste Schütze unter den Keepern, Hans Jörg Butt, es nüchtern formulierte: „Elfmeterschießen ist wie Zähneputzen, da denkt man nicht nach.“ Da sind wir doch gedanklich eher bei Bastian Schweinsteiger. Der meinte einmal nach einem erfolgreichen Versuch: „Ich hab zum Spaß gesagt: Ich hab kurz vor meinem Elfmeter meine Eier vergessen oder verloren, aber sie dann rechtzeitig wiedergefunden. Im Elfmeterschießen gehört Glück dazu, meistens haben es wir Deutsche.“