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Blind, arrogant und immer musikalisch

Was wäre der Fußball ohne Schiedsrichter? An niemandem reiben sich Spieler, Trainer und Fans lieber als am Unparteiischen. Und sind wir mal ehrlich: „Nicht alle Schiedsrichter sind schlecht, aber manche haben ihren Blindenhund zu Hause gelassen.“

Als Fan des 1. FC Köln hätte ich mir am Wochenende auch die Kehle aus dem Hals geschrien. Zum einen, weil das Tor von Leon „Handreasen“ so offensichtlich nicht regulär war, dass der alte, schöne Spruch von Klaus Allofs mir sofort im Kopf rumspukte: „Es gibt drei Leute im Stadion, die das nicht gesehen haben. Und die, die am Bierstand waren.“ Und zum anderen, weil man als Fan wie auch als Spieler oder Trainer so hilflos dem Treiben des Schiedsrichtergespanns ausgeliefert ist. Vor allem dann, wenn das gemeine Schlitzohr seine illegale Tat auf dem Platz nicht selbst anzeigt.

Aber – und dies sei all denen gesagt, die wieder einmal reflexartig nach dem Videobeweis schreien: So ist und war Fußball schon immer, und bei allem Frust und aller Enttäuschung bin ich sogar ganz froh drum. Denn wenn das Spiel auf dem Platz auch noch komplett klinisch rein wird, gehen uns langsam die Geschichten aus. Und dann wird irgendwann der Tag kommen, an dem wir uns nichts mehr zu erzählen haben. Das wäre doch schade.

Ein ähnliches Ding wie am Samstag hat es auch in der Saison 1984/85 gegeben. Damals siegte Borussia Dortmund 4:1 gegen Schalke. Das zweite Tor des BVB war irregulär, was der Schütze Wolfgang Schüler hinterher auch, ohne mit der Wimper zu zucken, zugab: „Stimmt, ich habe den Ball mit der Hand gespielt. Aber als ich merkte, dass der Schiedsrichter weiterlaufen ließ, hab ich ihn sicherheitshalber erst einmal ins Tor geschossen. Für die Schalker war es dumm, aber wir konnten uns dieses Geschenk doch nicht entgehen lassen. An dem Gerücht, dass ich in Kürze Handball-Nationalspieler unter Simon Schobel werde, ist allerdings nichts dran.“

Den Humor, den Schüler angesichts des deutlichen Siegs zeigte, hatten die Bochumer in der Spielzeit 1973/74 nicht. Der VfL hatte 0:1 im heimischen Ruhrstadion gegen den FC Bayern München verloren. In der 67. Minute hatte Schiri Redelfs ein klares Handspiel von Schwarzenbeck übersehen. VfL-Stürmer Hannes Walitza schimpfte: „Ein offensichtlicheres Handspiel kann es doch gar nicht geben. Schwarzenbeck ist doch wie ein Volleyballspieler mit der Hand zum Ball gegangen.“ Bochums Trainer Heinz Höher meinte diplomatisch: „Ich sage grundsätzlich nichts gegen Schiedsrichter. Ich finde aber, alle drei Torhüter auf dem Platz waren ausgezeichnet.“ Als jedoch Schiedsrichter Redelfs uneinsichtig sagte: „Ich habe die Situation klar übersehen. Das war kein absichtliches Handspiel. Schwarzenbeck hat sein Gleichgewicht verloren“, eskalierte die Situation nach Spielende doch noch. Half aber natürlich alles nichts.

Und das ist das größte Dilemma für die Anhänger und Offiziellen der betrogenen Mannschaft. Ihnen bleibt im Grunde nur der ironisch angehauchte Trotz. Wolfgang „Otto“ Kleff meinte einmal: „Nicht alle Schiedsrichter sind schlecht, aber manche haben doch ihren Blindenhund zu Hause gelassen. Der Herr Brückner ist halt musikalisch, deshalb hat er gepfiffen.“

Und der damalige Eintracht-Frankfurt-Trainer Gyula Lóránt urteilte sarkastisch brillant über Schiri Walz aus Waiblingen: „Es war durchaus sehenswert, mit wie viel Selbstbewusstsein der Schiedsrichter seine Fehlentscheidungen getroffen hat!“

Eine andere Methode, seinen Frust zu kanalisieren, fand in der Saison 1982/83 der Stadionverwalter von Borussia Dortmund, Gustav Sträter. Walter Eschweiler hatte sich bei der Partie des VfL Bochum in Dortmund nicht nur Freunde gemacht und einen sogar richtig verärgert: ebendiesen Sträter. Als der Schiedsrichter aus Bonn schließlich unter der Dusche stand, rächte sich der BVB-Fan auf seine Weise: Er stellte die Warmwasserzufuhr komplett aus. Eschweiler fluchte lautstark, Sträter freute sich, drehte wieder auf warm und hatte seinen Trainer begeistert. Karl-Heinz Feldkamp: „Wenn der Sträter das mit allen Schiedsrichtern so macht, die hier schlecht pfeifen, dann lasse ich mir das gefallen!“

Dass es übrigens auch anders geht, als es Leon Andreasen am Wochenende machte, zeigte in der Spielzeit 1987/88 ein „blonder Engel“. Jürgen Klinsmann rettete beim 3:0 seines VfB Stuttgart gegen die Bayern seinen Gegenspieler Norbert Nachtweih vor einer Roten Karte. Klinsmann krümmte sich nach einem Zweikampf mit Nachtweih vor Schmerzen auf dem Rasen des Neckarstadions. Als er jedoch sah, dass Schiedsrichter Pauly die Rote Karte zücken wollte, sprang er auf, rannte zum Schiri und flehte diesen an, den Bayern-Spieler nicht zu bestrafen. Mit Erfolg. Dass es zu diesem Zeitpunkt bereits 2:0 stand und Klinsmann selbst mit einem Fallrückzieher ein „Tor des Jahrzehnts“ geschossen hatte, mag den Stuttgarter ein wenig in seinem Handeln unterstützt haben. Egal. Der ebenfalls hellblonde Nachtweih freute sich so sehr, dass er versprach, Champagner zu schicken, „falls Klinsmann denn weiß, was das überhaupt ist“.

Doch wir sollten ohnehin lieber nicht zu sehr auf die deutschen Schiedsrichter schimpfen, denn es geht auch anders. In der Saison 1983/84 wurden Unparteiische aus unserem Nachbarland eingesetzt, und die Schweizer Schiedsrichter waren häufig in der Bundesliga überfordert. Das Austauschprogramm galt schnell als Fehler. So maulte nach der Partie des SV Waldhof gegen den Hamburger SV Jürgen Groh: „Ich habe das Gefühl, dass der DFB uns die Schweizer Schiedsrichter nur vorsetzt, damit wir wieder die Vorzüge unserer deutschen schätzen.“ Und auch Mannheims Trainer Klaus Schlappner war sauer. Nur hielt er bei seinen Aussagen eher nichts von diplomatischer Political Correctness: „Es gibt ja wohl noch andere Möglichkeiten der Entwicklungshilfe, zum Beispiel auf den Fidschi-Inseln.“

Nicht wenige Fußballfans fragen sich ohnehin gerne einmal, was einen jungen Menschen überhaupt dazu antreibt, die Rolle des Unparteiischen zu übernehmen. Der spätere Vorsitzende des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses Volker Roth, der sich vor den Spielen gerne mit Kamm und Haarspray auf die Partie vorbereitete („Das muss sein. Sonst nennen uns die Fans wieder ,Locke‘“), hat dies an seinem Beispiel einmal so erklärt: „Als Junge hörte ich einmal eine Fußballreportage im Rundfunk. Es wurde berichtet, wie ein Schiedsrichter vor aufgebrachten Fans flüchten musste. Da dachte ich mir, das muss doch eine interessante Sache sein. Und so wurde ich mit 16 Jahren Schiedsrichter.“ Aha!

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