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Als Bayern Bayer zu „Vizekusen“ degradiert

Der Fußball schreibt immer wieder die wundersamsten Geschichten. Im Mai 2000 sieht die Mannschaft von Bayer Leverkusen vor dem 34. Spieltag schon wie der sichere Meister aus. Doch es kommt anders, und obwohl Bayer einen Titel verpasst, sichert sich der Klub einen anderen.

Heute vor 20 Jahren schlugen Millionen Menschen die Zeitung auf und sahen, wie die Mannschaft der Spielvereinigung Unterhaching mit entspannten Gesichtern über Glasscherben lief. Einen Tag vor dem alles entscheidenden finalen 34. Spieltag der Fußball-Bundesliga leisteten sich die Profis des damaligen Überraschungsteams aus dem Landkreis München so einen kleinen, aber feinen Scherz auf Kosten des Trainers des kommenden Gegners Bayer Leverkusen. Mutig und selbstbewusst zugleich. Denn den Mann, den sie da mit diesem geschickt platzierten Nadelstich treffen wollten, war niemand anderes als der Coach der Stunde: Christoph Daum.

Schon vor der Saison hatte Daum – nach zwei zweiten Plätzen und einem dritten von Bayer in den vergangenen drei Spielzeiten – gewohnt vollmundig verkündet: „Wenn wir am Ende Dritter werden, war es ein verlorenes Jahr.“ Daum hatte den Verein in den letzten Spielzeiten immer weiter nach vorne gebracht. Mit Vorliebe erzählte er die Geschichte von seinem Ausflug nach Hongkong. Mitten in einem kleinen Restaurant in einer Seitenstraße der asiatischen Metropole hätten ihm zwei Chinesen zaghaft auf die Schulter getippt und neugierig gefragt: „Sie sind Trainer von Bayer Leverkusen, ja?“ Daum bezeichnete dieses überraschende Treffen „als Quantensprung für den Klub“.

Und nun wollte er nach einer fantastischen Rückrunde diese Saison 1999/2000 endlich mit dem in Leverkusen schon so lange ersehnten Meistertitel krönen. Die Chancen standen nie besser, denn Bayer reichte in Unterhaching bereits ein Unentschieden, um die Schale ins Rheinland zu holen. Doch Christoph Daum wäre nicht dieser große Motivationsguru gewesen, hätte er nicht auch für diese spezielle Situation das passende Sprachbild gleich parat gehabt. Gewohnt eloquent brachte er den Sachverhalt auf den Punkt: „Für so ein Ding muss ein Rädchen ins nächste greifen. Alle müssen hoch konzentriert sein. Das ist wie bei der NASA. Die haben schon zig Raketen in den Himmel geschickt. Aber vor jedem Start arbeiten alle so konzentriert, als wäre es das erste Mal.“

In München, beim FC Bayern, hatte sich die Stimmung in dieser Woche vor dem alles entscheidenden Samstagnachmittag von Tag zu Tag immer weiter aufgehellt. Nach dem klaren Pokalerfolg eine Woche zuvor im Finale gegen Werder Bremen hatte besonders der deutliche 3:0-Sieg in Bielefeld noch einmal alle Sinne geschärft und die Hoffnung zurückgebracht. Schließlich hatten die Bayern ja auch bis zum 26. Spieltag lange Zeit unangefochten von der Tabellenspitze gegrüßt. Da war es durchaus verständlich, dass Manager Uli Hoeneß das Selbstbewusstsein seines Klubs offensiv nach außen trug: „Platz eins ist für uns reserviert!“ Und um die überraschend starken und beständigen Leverkusener und ihren Trainer direkt anzugreifen, meinte er noch: „Der Daum wird in 100 Jahren nicht vor uns Meister sein!“

Und während nur noch sechs Kapitäne der Bundesliga-Klubs vor dem letzten Spieltag auf die Bayern setzten, motivierten sich die Profis des Rekordmeisters auf ihre Weise für diesen letzten Samstagnachmittag einer langen Saison: Sie gingen gemeinsam einen trinken. Unterstützt von ihrem fest an den Titel glaubenden Coach Ottmar Hitzfeld und einem gewohnt angriffslustigen Uli Hoeneß („Ich habe den Daum wochenlang ziemlich cool gesehen. Aber jetzt finde ich ihn ziemlich nervös“) gingen sie schließlich am Samstag, dem 20. Mai 2000, um 15.30 Uhr äußerst engagiert in die Partie gegen Werder Bremen. Und so führten die Bayern nach einer knappen Viertelstunde vor 63.000 Zuschauern im ausverkauften Olympiastadion bereits mit 3:0.

Nur 25 Kilometer weiter hatten die Bayer-Akteure vor 11.300 Besuchern in Unterhaching gerade erst die bayerische Blaskapelle der Ohlstädter Gebirgsschützen verdaut, als das Unglück in der 20. Minute seinen Lauf nahm. Schon von Anfang an hatten die Profis der Spielvereinigung Unterhaching gemerkt, dass die Spieler von Bayer Leverkusen irgendwie nicht richtig auf dem Platz waren. Der 26-jährige Stürmer der Spielvereinigung André Breitenreiter drückte es so aus: „Die hatten voll den Zitteraal!“ Und tatsächlich: Sichtlich nervös schleppten sich die Leverkusener übers Feld – und dann passierte es nach genau zwanzig Spielminuten: Eine Flanke des Hachingers Danny Schwarz segelte in den Strafraum der Leverkusener, Michael Ballack versuchte zu klären, schoss den Ball jedoch mit dem linken Fuß ins eigene Tor. Noch waren siebzig Minuten Zeit, doch Bayer kam an diesem Nachmittag nicht mehr auf die Beine. Und als Markus Oberleitner in der 72. Spielminute zum 2:0-Endstand traf, jubelte ganz München.

Die Bayern gewannen am Ende locker-leicht mit 3:1 gegen Werder und waren wieder einmal Deutscher Meister geworden. Doch dieser alles entscheidende 34. Spieltag der Saison 1999/2000 hatte noch weitreichendere Folgen: Nach nunmehr drei zweiten Plätzen in den letzten vier Jahren verpassten die Münchener dem Klub aus dem Rheinland endgültig den Titel „Vizekusen“. Zehn Jahre später ließ sich schließlich das Mutterunternehmen der Werkself, die Bayer AG, den Begriff „Vizekusen“ beim Deutschen Patent- und Markenamt in München als Markennamen schützen. Den Grundstein für diese Entscheidung hatte der Klub an diesem dramatischen Samstagnachmittag vor 20 Jahren selbst gelegt.

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