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Der „Tiger“ mit dem Trainer-Stäbchen

Rentner mit Krückstöcken, rote und blaue Fürze, lustige Unterhosen – Hermann Gerland ist Kult. Erinnerung an einen legendären Abend mit dem wunderbaren Co-Trainer des FC Bayern München.

Man sollte vorsichtig sein mit dem Wort „legendär“, doch vor genau acht Jahren habe ich in Bochum einen Abend erlebt, den man nicht anders bezeichnen kann als genau so. Im November 2008 hatte ich den damaligen Trainer der FC-Bayern-München-Amateure, Hermann Gerland, und seinen guten Freund, den VfL-Bochum-Rekordspieler Ata Lameck, zu Gast bei einer Veranstaltung. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Echte Freunde, die zusammen gerne so manchen Schabernack treiben. So auch an diesem denkwürdigen Abend in einer Bochumer Diskothek. Das ganze Spektakel begann damals schon vor der eigentlichen Veranstaltung, im gut beheizten Backstage-Bereich.

Denn ohne Vorwarnung stand Hermann Gerland an diesem Abend plötzlich von der Eckcouch auf, riss sich die Hose herunter und lächelte die begeisterte Runde an. Mit dem Zeigefinger zeigte er auf seine Unterhose: „Guckt mal, was hier steht. Hab ich zum Geburtstag bekommen!“ Ata Lameck beugte sich augenblicklich zum Schritt seines ehemaligen Mannschaftskameraden hinunter und las zur Begeisterung der Leute vor, was auf den Boxershorts stand: „Trainer-Stab“. Ohne nachzudenken, legte der Rekordspieler nach und meinte trocken mit einem Grinsen im Gesicht zu seinem Freund: „Hermann, aber bei dir doch höchstens ,Trainer-Stäbchen‘!“

Der Ata darf das. Hermann Gerland, den seine Mitspieler beim VfL Bochum früher „Eiche“ nannten und den heute alle nur noch „Tiger“ rufen, würde seinem Freund so etwas nie krummnehmen – auch wenn Michael Lameck nicht, wie Hermann, in Bochum zur Welt gekommen ist. In jungen Jahren hat Gerland einmal gesagt: „In Bochum bin ich geboren, hier will ich auch sterben. Mehr als 30 Kilometer gehe ich von da nicht weg!“ Am Ende ist es anders gekommen.

An diesem unvergesslichen Abend im Jahr 2008 wurde es deshalb für einen Moment ganz still im Raum, als der „Tiger“ über seine Heimatstadt sprach – bis hintenheraus alle lauthals loslachten: „Wenn einer meint, ich hätte mit Bochum nichts mehr zu tun: Ich bin hier groß geworden. Ich habe hier in der Bundesliga gespielt. Es war für mich ein wunderschöner Abschnitt in meinem Leben. Meine Frau kommt hierher. Meine beiden ältesten Töchter sind in Bochum geboren. Und ich wollte, als meine dritte Tochter in Nürnberg geboren wurde, dass meine Frau nach Bochum fährt, um hier zu entbinden.“

Hermann Gerland ist ein Besessener. Er liebt und arbeitet den Fußball. An diesem Abend in der Bochumer Diskothek wurde klar, dass das schon immer so war: „Wenn ich mal im Training umspielt wurde, habe ich die ganze Woche gedacht: Hermann, wie kannst du so einen Zweikampf verlieren? Das gibt es doch überhaupt gar nicht!“ Der „Tiger“ redet gerne und viel über früher. Und die erste Zeit seiner Karriere in Bochum hat in seinem Herzen einen festen Platz. Es waren besondere, vollkommen andere Zeiten als heute: „Wenn ein Spieler bei uns vor dem Training in die Kabine kam, dann war es selbstverständlich, dass er die anderen mit Handschlag begrüßt und nicht nur irgendwelche Worte in die Runde geschleudert hat.“ Auch nach einer Niederlage, so erinnert sich Gerland, konnten sich alle in die Augen sehen, weil jeder wusste, „der andere hat alles gegeben“. Und nach jedem Sieg wurde im Bus oder in der Kabine das Bochumer Jungenlied gesungen. Hatte die Mannschaft verloren, dann spielte sich häufig folgende Szene ab: „Da kam unser Präsident Ottokar Wüst in die Kabine und hat gesagt: ,Männer, ich habe viel Gutes gesehen.‘ Darauf habe ich erwidert: ,Da müssen Sie blind sein!‘“

Die Schiri-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder hat über den Spieler Hermann Gerland gesagt: ,,’nen Raubanz. Der hat gegen alles getreten, was sich bewegt. Der hat auch gegen Bahnschwellen getreten.“ Und tatsächlich: Niemand hat gerne gegen ihn gespielt. Willi „Ente“ Lippens klagt heute noch sein Leid: „Immer wenn ich Hermann gesehen habe, habe ich gesagt: ,Guck mal, da kommt Quasimodo!‘ Das war einer der wenigen, gegen den ich überhaupt nicht spielen konnte.“ Vielleicht sollte die „Ente“ mal mit dem ARD-Co-Kommentator Mehmet Scholl über seine Erfahrungen mit dem VfL-Verteidiger quatschen. Gerland selbst erzählte nämlich folgende Geschichte: „Mehmet Scholl sagte: ,Tiger, gegen dich hätte ich gerne gespielt.‘ ,Mehmet‘, hab ich gesagt, ,das kann ich mir nicht vorstellen.‘ Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass irgendeiner gerne gegen mich gespielt hat.“

Hermann Gerland hat sich mit dem modernen Fußball arrangiert, aber die vielen Kameras und das ganze „Brimborium“ drum herum konnte er an diesem Abend im November 2008 noch nicht akzeptieren. Übers Fernsehen meinte er: „Irgendwann schaffen die das noch: Wenn ein Spieler einen Furz lässt, kommt hinten Farbe raus. Bei Bayern Rot und bei Bochum Blau.“

Zu seiner Zeit als Profi ging es – ohne TV-Kameras – bei einigen Auswärtspartien noch ordentlich zur Sache, wie sich Gerland lebhaft erinnerte: „Als ich in Kaiserslautern gespielt habe, flogen dort Fledermäuse durchs Stadion. Fledermäuse. Und dann stand da ein Linienrichter. Einer von den Lauterern war drei Meter im Abseits, und der hat es gewagt, die Fahne zu heben. Aber nur ein Mal. Beim zweiten Mal stand einer sechs Meter abseits. Da hat der Opa mit der Krücke, der schon beim ersten Mal nicht einverstanden war, hinter ihm gesagt: ,Hebst du noch ein Mal die Fahne, Junge, ich hau dir mit der Krücke die Fahne runter!‘ Und das hat er nicht nur gesagt!“

Bei den Bayern hat sich Hermann Gerland nie verstellt, nie verstellen müssen. Ganz im Gegenteil. Dort schätzen sie seine ehrliche, direkte Art – wie in dieser kleinen, Gerland-typischen Geschichte über Bayern-Legende und Ex-Schreibwarenladen-Besitzer Georg „Katsche“ Schwarzenbeck: „Da kommt der Katsche mit seinem kleinen VW an die Säbener Straße und bringt seine Büroartikel mit. Und da sehe ich, wie ein Spieler achtlos an ihm vorbeiläuft. Ich pfeife und rufe: ,Halt. Stopp!‘ Guckt der mich an und fragt: ,Was ist los?‘ Da sage ich: ,Junge, du hast zu grüßen! Der ist Weltmeister und zigmal Deutscher Meister geworden.‘“

Jeden Tag aufs Neue hat Hermann Gerland noch heute große Lust auf die Arbeit beim FC Bayern: „Es macht mir sehr viel Freude, wenn ich zur Säbener Straße fahre. Ich bin auch oft an freien Tagen da, dann fragt Rummenigge: ,Kriegst du zu Hause nichts zu essen?‘ Und ich: ,Kalle, seh’ ich so aus?‘“

Hermann Gerland tut dem FC Bayern gut. Ein Mann aus dem Pott, ein Mann mitten aus dem Leben, der vergnügt sagt: „Bevor man untern Torf kommt, macht man einiges mit im Leben.“ Aber das sei auch gut so, wie er an diesem legendären Abend im November 2008 am Ende meinte: „Ruhe habe ich später, wenn ich tot bin, noch genug.“

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