Читать книгу Zwischen Puff und Barcelona - Ben Redelings - Страница 13
ОглавлениеDie irre Geschichte des verschollenen WM-Pokals |
Der erste Pokal für den Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft hat eine fast schon filmreife Geschichte mit vielen herausragenden Darstellern hinter sich. Und: Es gibt ihn nicht mehr! Das Rätsel um sein Verschwinden ist bis heute nicht gelöst. Doch das ist nur eine Story von vielen.
Es fing alles schon nicht gut an. Als Fifa-Präsident Jules Rimet nach dem spektakulären Endspiel der WM 1930 in Montevideo zwischen dem Gastgeber Uruguay und dem Herausforderer Argentinien die etwa 35 Zentimeter hohe, goldene Statue, die er kurz zuvor vom Bildhauer Abel Lafleur in Paris hatte erstellen lassen, übergeben wollte, fand sich zuerst niemand, der den Pokal entgegennehmen wollte.
Die Uruguayer waren ob des Sieges im ersten Fußball-Weltmeisterschafts-Finale der Geschichte außer Rand und Band – was interessierte da noch diese geradezu bescheidene, ja, ungewöhnlich kleine Trophäe, die Rimet dort unten auf dem Rasen im Tumult in seinen Händen hielt? Und da Uruguays Spielführer José Nasazzi weit und breit nicht aufzufinden war, überreichte der Fifa-Vorsitzende die Statue schließlich in den Katakomben recht formlos an den Verbandspräsidenten Raúl Jude. Auf einem Schnappschuss dieses historischen Moments ist zu erkennen, wie Jude äußerst lässig den Pokal mit der rechten Hand in Empfang nimmt, während seine linke in der Hosentasche steckt. Aber wenigstens war die Siegestrophäe so schon einmal übergeben.
Und eigentlich ging es für den „Coupe du Monde“, wie er damals noch hieß, auch erst einmal gar nicht so schlecht weiter. Denn nachdem die Italiener zweimal hintereinander den Weltpokal für sich gewinnen konnten, war die mittlerweile begehrte Trophäe zu Beginn des Zweiten Weltkrieges dementsprechend im Besitz der Südeuropäer – und sollte es auch bis nach Ende des Krieges im Mai 1945 bleiben. Denn der pfiffige Fifa-Offizielle Ottorino Barassi hatte irgendwann die fixe Idee nicht mehr aus dem Kopf bekommen, den Pokal aus dem Bankschließfach, wo er nach seiner Auffassung nur vermeintlich sicher aufbewahrt wurde, zu holen und bei sich zu Hause zu verstecken. Genauer: Er packte den „Coupe du Monde“ in einem einfachen Schuhkarton unter sein Bett. Da machte es sich zum ersten Mal bewährt, dass die Trophäe so vergleichsweise mickrig war.
Und tatsächlich: Der Weltpokal überlebte die dunkle Zeit und erstrahlte 1950 wieder in seiner vollen goldenen Pracht bei der ersten WM nach zwölf Jahren Pause in Brasilien. Und dort nahm das Drama so langsam seinen Lauf. Mittlerweile hatte man die Trophäe zu Ehren des langjährigen Fifa-Präsidenten in „Coupe Jules Rimet“ umgetauft. Doch der Pokal sollte dem Gastgeber kein Glück bringen. Im letzten, entscheidenden Spiel unterlagen die Brasilianer den Uruguayern äußerst unglücklich und mussten mitansehen, wie die Statue das Land wieder verließ.
Acht Jahre später war es dann aber endlich so weit. Die Brasilianer, mit ihrem neuen Superstar Pelé, holten in Schweden den Jules-Rimet-Pokal. Und nachdem sie auch in Chile vier Jahre danach die WM für sich entscheiden konnten, sollte es 1966 in England zu einem historischen Moment für die Brasilianer kommen. Das hatten sie sich wenigstens fest vorgenommen. Sie wollten die Trophäe ein drittes Mal in Folge holen. Doch zuvor ereignete sich noch etwas äußerst Spektakuläres.
Das Gastgeberland England hatte sich den Pokal schon einige Monate im Vorfeld der Weltmeisterschaft von den Brasilianern ausgeliehen, um ordentlich die Werbetrommel für das große Turnier rühren zu können. Und das funktionierte gut. So präsentierte eine Firma die Trophäe stolz als Glanzstück ihrer Ausstellung „Sport und Briefmarken“ in der Londoner Westminster Central Hall. Die Menschen strömten begeistert herbei und entwickelten Vorfreude. Schließlich galt ihr Team als Geheimfavorit. Manch einer stellte sich schon lebhaft vor, wie es sein würde, wenn in ein paar Monaten Kapitän Bobby Moore für das siegreiche England die Statue in die Höhe reckte.
Einer, so enthüllte viele, viele Jahre später die britische Tageszeitung „Daily Mirror“, war offenbar so von dieser Szene beseelt, dass er es nicht mehr aushalten konnte, bis sie Wirklichkeit würde. Der Kleinkriminelle Sidney Cugullere soll in einem unbeobachteten Moment den schlecht gesicherten Pokal aus dem Ausstellungsraum entwendet und aus dem Museum geschafft haben. Dass aber doch eher weniger die Gefühle eines Fußball-Romantikers bei der Tat ausschlaggebend waren als die knallharten Interessen eines Gangsters, zeigte sich schon kurz darauf, als beim englischen Verband eine Lösegeld-Forderung in Höhe von 15.000 Pfund einging.
Doch die Geldübergabe scheiterte. Und alsbald stellte sich heraus, dass der Mann, den man dabei gefasst hatte und der so hartnäckig schwieg, nur ein Mittelsmann war. Sidney Cugullere blieb unbehelligt. Und so sollte auch die Tat für Scotland Yard – bis zu den Enthüllungen des „Daily Mirror“ viele Jahre später – schlicht ein Rätsel bleiben. Vor allem, weil nur wenige Tage später etwas vollkommen Überraschendes geschah: Die Trophäe tauchte wieder auf.
Ein Hund, der mittlerweile legendäre „Pickles“, hatte den Pokal in einem Gebüsch entdeckt. Wie er dort hingekommen war und vor allem warum, ist bis heute nie ganz aufgeklärt worden. Wie dem auch sei: England atmete auf, und der Vierbeiner wurde zum beliebten TV-Star, der sogar zur Belohnung die Teller nach dem Festbankett zur Eröffnung der Weltmeisterschaft leer essen durfte. Doch auch Pickles‘ Schicksal nahm eine seltsame Wendung. Nur ein Jahr später erdrosselte sich der Hund, als er sich auf der Jagd nach einer Katze selbst in seiner Leine verhedderte. Nun stellte sich langsam die Frage: Lag womöglich ein Fluch auf diesem „Coupe Jules Rimet“?
Was in England nicht gelang, glückte der brasilianischen Nationalmannschaft vier Jahre später in Mexiko. Sie verließ die WM 1970 als siegreiches Team und durfte, weil man die Trophäe nun dreimal gewonnen hatte, den Jules-Rimet-Pokal behalten. Die Freude kannte im fußballverrückten Brasilien keine Grenzen. Und genau deshalb schockierte die Bevölkerung vierzehn Jahre später eine Nachricht umso mehr.
Zwei Monate hatten die Offiziellen des Verbandes im Februar 1984 noch versucht gehabt, die schockierende Tat zu verheimlichen, doch nun berichteten alle Medien von morgens bis abends über nichts anderes mehr: Am 19. Dezember 1983 war es dreisten Dieben gelungen, den Weltpokal aus einer Vitrine in einem Gebäude des brasilianischen Verbandes zu entwenden. Die Nation stand kopf.
Doch kein Appell, kein Flehen half. Die legendäre Statue ist bis heute verschwunden – auch wenn man zehn Jahre nach dem Verbrechen, kurz vor dem Start der WM 1994 in den USA, die Täter fasste. Sie schwiegen eisern. Und so bleibt es nur bei der Vermutung, dass der Pokal damals eingeschmolzen worden sein soll.
Übrigens: Ausgerechnet das Land, das 1974 als erstes die Nachfolgeauszeichnung gewann, konnte dabei helfen, dass wenigstens eine Kopie der Statue wieder in die Hände der Brasilianer kam. Eine Firma aus Hanau hatte bereits nach dem Sieg Deutschlands bei der WM 1954 eine Kopie für den DFB erstellt gehabt – und aus dieser Zeit gab es noch eine Sandgussform. Im Juni 1984 feierten die Brasilianer mit einem großen Freundschaftsspiel im Stadion Maracanã die Rückkehr des Pokals in die Metropole Rio de Janeiro. Der Gegner war damals ausgerechnet England, die zweite Nation, der die Staue einmal entwendet worden war. Und damit schloss sich der Kreis dieser irren Geschichte um den verschollenen WM-Pokal.