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Schön wie Lothar, elegant wie Maradona

Heraushängende Zunge, keine Hose: „So ist nicht mal Matthäus in schlimmsten Zeiten rumgelaufen“, fluchte TV-Moderator Oliver Welke. 2006 sorgte Goleo für Aufregung. Wer der Nacktlöwe ist und warum er auch als „Crazy Frog“ gut aussieht: Hier kommt die Antwort!

Es war das bestgehütete Geheimnis eines Sommers. Vor der WM 2006 setzten die Medien alles daran, den Mann unter dem Goleo-Kostüm zu enttarnen. Die Neugierde war riesig. Man fragte sich, wer da dem flauschigen Löwen seine Stimme lieh. Und wer so fließend-fröhlich auf Englisch, Deutsch und Spanisch mit der versammelten Weltpresse parlieren und seinen Körper so betont schwungvoll in Szene setzen konnte. Doch egal wie tief man auch bohrte, die Presse bekam keine Antworten.

Aus Sicherheitsgründen sagte man damals die Teilnahme Goleos an Shows wie „TV total“ ab. Zu groß wäre das Risiko einer gezielten Attacke gewesen. Einmal das „wahre“ Gesicht des Maskottchens in der Öffentlichkeit – und der schöne Schein wäre dahin gewesen. Und so durfte Goleo selbst seinen Kopf nur in gut abgeschirmten Kabinen abnehmen. Und tatsächlich: Das Geheimnis, welcher vielseitig begabte Mann ein ganzes Sommermärchen lang unter dem Kostüm schwitzte, blieb bis zum heutigen Tage gewahrt. Nun ist der Zeitpunkt zur Enttarnung gekommen.

Im Sommerurlaub an der Nordseeküste hatte ich einen jungen Mann kennengelernt. Wir kamen ins Gespräch, weil ich ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Ohne Fußball ist alles nichts!“ trug. Bereits wieder zu Hause, schrieb er mir über Facebook: „Wusstest du eigentlich, dass ich bei der WM 2006 Goleo war?“ Ich war von einem Moment auf den nächsten wie elektrisiert. Hatte ich tatsächlich den Mann kennengelernt, der sich in seiner Rolle als Löwe der Nation selbst so vorstellte: „In meiner Person vereinen sich die Schönheit von Lothar Matthäus, die Eleganz von Maradona und das weltmännische Auftreten von Oliver Bierhoff“?

Marcel Batangtaris ist Schauspieler, Moderator und Synchronsprecher – und wird seit vielen Jahren für Spezial-Einsätze in Kostümen gebucht. Er stand damals gerade am Flughafen von Kopenhagen, als man ihm mitteilte: Du bist Goleo! In Dänemark hatte er soeben einen Festival-Auftritt als „Crazy Frog“ hinter sich gebracht. Bis zu 120.000 Zuschauer beglückte er auf der Bühne mit der Figur des Klingelton-Anbieters „Jamba“. Am 30. Mai 2005 schob sich ein Song des „Crazy Frog“ auf Platz 1 der britischen Charts. Viele sahen damals das Ende jeglichen guten Geschmacks gekommen, doch für den Wahl-Kölner Batangtaris lief es gut. Dass Goleo noch einmal eine ganz andere Hausnummer sein sollte, ahnte er damals bereits, als das Angebot kam – aber wie krass es tatsächlich werden würde, konnte er nicht annähernd wissen.

Seinen ersten Auftritt als sprechender Löwe hatte er direkt vor der WM. Zwei Millionen Fußballanhänger aus aller Welt empfingen ihn auf dem Fanfest in Berlin – live im deutschen Fernsehen. 200 Meter hinter ihm stand ein Kollege, der „Pille“, Goleos sprechenden Begleiter in Form eines Fußballs, steuerte und ihm seine Stimme über ein eingebautes Mikrofon verlieh. Batangtaris selbst konnte über Elektroden an den Händen den Mund des Löwen öffnen und schließen.

Der ausgebildete Schauspieler hatte sich Goleo als gemütlichen Gute-Laune-Kerl zurechtgelegt und zeigte in seiner Rolle vollen Einsatz. „Da muss der ganze Körper mitgehen, wenn man so eine Figur spielt“, erzählt Batangtaris und lässt die brummig-gutmütige Stimme des Löwen noch einmal erklingen. Er habe Goleos Stimme immer zwischen Samson und Snoop Dogg gesehen – zwischen klassisch und modern. Und das sei offensichtlich gut angekommen. Nicht nur die Kinder, auch ganz viele Erwachsene hätten sich damals an ihn gekuschelt und unbedingt ein Foto mit ihm machen wollen. Trotz der lautstarken Kritik im Vorhinein sei Goleo während der vier Wochen eine Art „Super-Hero“ gewesen. Das habe jede Menge Spaß gemacht. Auch wenn er bei jedem Auftritt „geschwitzt habe wie Bolle“ und drei Kilo abnahm.

Stets habe er sich bemüht, einen politisch korrekten Goleo zu geben. Fragen nach dem kommenden Weltmeister beantwortete er diplomatisch ausweichend mit einem Verweis auf das fabelhafte Wetter in Deutschland. Und stellte mal ein Reporter eine provozierende Frage, so rief Goleo mit seinem berühmten Löwen-Charme in die Runde: „Freut ihr euch auch so, hier zu sein?“ – und ging danach entspannt-locker zum nächsten Kind, das ein Foto mit ihm haben wollte.

Das alles klappte wunderbar bis zum Tage des WM-Viertelfinal-Spiels gegen Argentinien in Berlin. Eigentlich war nach dem Abspielen der Hymnen der Job für Goleo bereits erledigt. Doch an diesem legendären 30. Juni war alles anders. Deutschland lag gegen den mehrmaligen Weltmeister mit 0:1 hinten, und in der deutschen Kurve ging gar nichts mehr. Es herrschte Mucksmäuschenstille. Da kam jemand auf die Idee, Goleo hinauszuschicken. Er sollte ein „bisschen Gas geben“ und für Stimmung im deutschen Lager sorgen. Batangtaris schmiss sich augenblicklich in sein Kostüm, eilte hinaus und kam gerade rechtzeitig zum 1:1-Ausgleich. Und nun packte es ihn. Wer sich noch einmal genau die Szenen von damals anschaut, kann bei den Aufnahmen vom Elfmeterschießen links hinter Lehmann einen ausgelassen jubelnden Löwen sehen. Das sei nicht in Ordnung gewesen, sagt der Schauspieler neun Jahre später, aber „da sind die Gäule einfach mit mir durchgegangen“. Es sei ihm verziehen.

Die vier Wochen seien unvergesslich und wunderschön gewesen. Nur eine Frage habe er irgendwann nicht mehr hören können: „Warum hat Goleo eigentlich keine Hose an?“ Batangtaris ist sich sicher, dass er heute in einer Vermögensliga mit Bill Gates spielen würde, hätte er damals nur einen Euro pro Hosen-Frage bekommen. Er habe sich schließlich angewöhnt, einfach eine Gegenfrage zu stellen: „Hast du je Donald Duck mit einer Hose gesehen? Nein? Dann denk mal drüber nach!“

Zwischen Puff und Barcelona

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