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Der Missionar: Jimmy Hogan

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Helmut Schön dürfte der Vergleich aus einem ganz anderen Grund gefallen haben: Sindelar galt zu seiner Zeit als der populärste Repräsentant des »Donaufußballs«. Fußball-Historiker Dietrich Schulze-Marmeling nennt als Merkmale dieses Stils »präzises Flachpassspiel, gute Technik und geschicktes Stellungsspiel. Außerdem wurde – mehr als in England und Schottland – dem Individualismus Raum gelassen.«

Entwickelt hatte sich der »calcio danubiano« durch das Wirken britischer Trainer, die ab der Jahrhundertwende auf dem Festland Anstellungen suchten. Einige von ihnen propagierten das kraftvolle englische Kick-and-rush, andere die technisch anspruchsvollere schottische Spielweise, die mehr auf Kurzpass-Kombinationen angelegt war. Der bedeutendste von ihnen, laut dem Taktikexperten Jonathan Wilson sogar »der einflussreichste Trainer aller Zeiten«, war Jimmy Hogan. Der aus dem nordenglischen Burnley stammende Sohn irisch-katholischer Einwanderer spielte eine Weile für den FC Fulham, dessen damaliger Trainer das schottische Spiel bevorzugte. Hogan übernahm diese Philosophie, sah jedoch auf der Insel keine Möglichkeiten, seine Vorstellungen als Trainer zu verwirklichen, da die englischen Vereine sich zu dieser Zeit wenig für eine systematische Schulung ihrer Profis interessierten. So wurde er zum Entwicklungshelfer auf dem Kontinent.

Ab 1910 half er in Wien mehrfach Hugo Meisl dabei, dessen österreichische Nationalelf auf wichtige Spiele vorzubereiten. Diese Zusammenarbeit sehen die Meisl-Biografen Andreas und Wolfgang Hafer als »die Geburtsstunde jener Spielweise, die man später als ›Scheiberln‹ bezeichnete und die als besonderes Merkmal der Wiener Spielweise in den 1920er und 1930er Jahren gilt. Tatsächlich handelte es sich dabei im Wesentlichen um eine Variante des schottischen Kurzpassspiels, allerdings um eine kunstvolle, denn beim ›Scheiberln‹ ging es darum, den Ball möglichst ›einen halben Zentimeter unter der Grasnarbe‹ zu halten. Ein extremes, schnelles Flachpassspiel also, das den Gegner verwirren musste.«

Im Ersten Weltkrieg als »feindlicher Ausländer« vorübergehend interniert, kam Hogan schließlich nach Budapest und übernahm die Betreuung des Hauptstadtvereins MTK. Binnen Kurzem gelang es ihm, MTK, in dessen Reihen viele Juden mitspielten, zur führenden Mannschaft auf dem Kontinent zu machen. MTK-Gastspiele waren ungemein begehrt; der FC Bayern beispielsweise ließ sich im Juli 1919 klaglos mit 1:7 abbügeln. 12.000 Münchner schauten zu, für damalige Verhältnisse eine sensationelle Zahl. Die MTK-Elf verkörperte als erste Mannschaft den sich herausbildenden »Donaufußball«, der nicht nur erfolgreich war, sondern für Zuschauer deutlich attraktiver als Kick-and-rush.

Nach einigen weiteren Trainerstationen sowie einer erfolgreichen Rückkehr nach Budapest nahm Hogan 1927 das Angebot des Verbandes Mitteldeutscher Ballspielvereine an, im gesamten Verbandsgebiet Schulungskurse durchzuführen. Eindrucksvoll berichtet Jonathan Wilson darüber, wie Jimmy Hogan, der nur schlecht Deutsch sprach, die Verbandsoberen von seiner Kompetenz überzeugte: Als sein holpriger Vortrag zunächst Irritationen auslöste, zog der Referent kurzerhand seine Spielkleidung an und demonstrierte barfuß auf der Bühne sein technisches Können sowie seine Schusskraft. Die hölzerne Täfelung der Seitenwand musste dran glauben, die Verbandsherren waren tief beeindruckt und engagierten ihn auf der Stelle.

Ab 1928 übernahm Hogan gleichzeitig auch das Training beim Dresdner SC und blieb dort vier Jahre. Weil ihm die politische Situation in Deutschland Sorge bereitete, ging er 1932 nach Frankreich. Wenig später landete er dann doch wieder in Wien und war nun wesentlich beteiligt, als Hugo Meisls Nationalmannschaft, die inzwischen als »Wunderteam« Triumphe feierte, gegen England mit Bravour bestand. Zwar verloren die Österreicher in London mit 3:4, beeindruckten jedoch durch eine technisch brillante Vorstellung, mit Sindelar an der Spitze. Auch als die Engländer 1936 zum Gegenbesuch nach Wien kamen, betreute Hogan die Österreicher. Seine Schützlinge besiegten die Gäste aus dem »Mutterland« des Fußballs sensationell mit 2:1; beide österreichischen Treffer wurden von Sindelar vorbereitet. An solche Spiele dachte Helmut Schön, als er noch 1978 bekannte: »Ich war immer ein Liebhaber des guten österreichischen Fußballs der dreißiger und vierziger Jahre gewesen.« Zwar wurde diese Epoche vor allem mit der Person von Österreichs »Verbandskapitän« Hugo Meisl verbunden, doch auch dessen Enkel betonen in ihrer großen Meisl-Biografie die inspirierende Rolle des Engländers.

»Wo immer er sich gerade aufhielt, propagierte Hogan einen technisch versierten Fußball und trug so dazu bei, dass der englische Fußball vom europäischen Festland bald überholt wurde«, erläutert Jonathan Wilson. Hogans Lehren wirkten befruchtend für ganze Generationen von Kickern in Österreich, Ungarn, der Tschechoslowakei und Deutschland. Vor allem ehemalige MTK-Spieler wie Alfred Schaffer, Jenö und Kalman Konrad, Richard Dombi oder Dori Kürschner sorgten als Trainer für die Verbreitung des »Donaustils«. Stark beeinflusst davon wurden eine Reihe Wiener Teams sowie der FC Bayern, bei dem gleich vier ehemalige MTKler als Trainer wirkten. Auch der berühmte »Schalker Kreisel« der dreißiger Jahre könnte auf Hogans Schule zurückzuführen sein. Als der Engländer 1974 starb, erklärte der damalige DFB-Generalsekretär Hans Paßlack, Hogan sei der Begründer des »modernen Fußballs« in Deutschland gewesen.

Den DSC führte Hogan in seiner Dresdner Zeit dreimal zur mitteldeutschen Meisterschaft, 1930 ins Halbfinale um die »Deutsche«. Doch nicht diese Erfolge machten seine Wirkung aus, und auch nicht ausschließlich der von ihm bevorzugte Spielstil. Vor allem predigte er die generelle Notwendigkeit eines systematischen und durchdachten Trainings, was in der damaligen Zeit noch nicht selbstverständlich war. Er übte Schusstechniken ein, die beispielsweise auch dem dünnbeinigen Schön zu einem ordentlichen »Bums« verhalfen, er lehrte Körpertäuschungen und Abspieltricks (»nach rechts schauen, nach links abspielen«) und brachte seinen Spielern bei, in Zweikämpfen Fouls zu vermeiden.

Wie erwähnt, bezog er auch Leichtathletiktrainer Woldemar Gerschler mit ein, um die Laufleistungen seiner Kicker zu verbessern. Der damals noch junge Gerschler stieg später zum Reichstrainer sowie nach dem Krieg zum Dozenten am Institut für Leibesübungen in Freiburg auf. Helmut Schön über die Zusammenarbeit von Fußball-und Leichtathletiktrainer beim Dresdner SC (in einem Manuskript von 1950): »Gerschler führte damals das Konditionstraining für die Senioren durch, während Jimmy Hogan sich fast ausschließlich um die fußballtechnischen Belange widmete. […] Sein pädagogisches Geschick brachte es fertig, uns mit allen Geheimnissen der Fußballtechnik so vertraut zu machen, daß wir kaum noch Schwierigkeiten mit dem Ball kannten.« Zudem legte er viel Wert auf einen geschickten Masseur, den er im Mechaniker (!) Kurt »Lille« Kühn fand.

Eines Tages erschien Hogan mit Enrico Rastelli zum Training am Ostragehege. Rastelli galt als größter Balljongleur seiner Zeit und zeigte den staunenden DSC-Jungs, was man mit einem Fußball alles anstellen kann: zum Beispiel ihn hoch in die Luft köpfen und mit der Ferse aufnehmen – zwischendurch aber noch einen Salto vollführen. Als der Ballartist dann ein Trainingsspielchen mitmachte, zeigte sich allerdings rasch die Grenze seiner Kunst: Von Gegnern bedrängt und von Mitspielern gefordert, nutzten ihm seine schönen Tricks nicht viel. Hogans Lernziel war erreicht: Er hatte demonstrieren wollen, dass es nicht reicht, am Ball alles zu können.

Als Hogan vom Dresdner SC wegging, hatte er »diesen Club erst zur wirklichen Klasse geformt«, wie Schön in seinen Erinnerungen schrieb. Zwei Jahre nur währte die gemeinsame Zeit der beiden beim DSC, aber noch als arrivierter Bundestrainer dachte Schön »voller Dankbarkeit« an Hogan, und »sein markanter Kopf mit dem grauen Haar ist mir auch jetzt vor Augen, wenn ich über ihn schreibe«. Die Erinnerung an ihn dürfte Schön in seinem Faible für einen technisch anspruchsvollen Fußball bestärkt haben. 1938 trafen sich Schön und Hogan noch einmal in Berlin, am Rande eines Länderspiels Deutschland gegen England. Der Engländer freute sich über die Erfolge seines einstigen Schützlings, worüber Schön »sehr stolz« war. Danach verloren sie sich aus den Augen, doch, so Schön, »geblieben ist meine Verehrung für ihn«.

Helmut Schön

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