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Von Dresdensia …

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Vater Schön hegte große Vorbehalte gegen die fußballerische Leidenschaft seiner Söhne. Dabei besaß der Fußball in Dresden eine vergleichsweise lange bürgerliche Tradition. Bereits 1873 hatten Engländer den Dresden English FC gegründet, der anfangs vermutlich Rugby und später Fußball »ohne Aufnehmen des Balles mit der Hand« praktizierte und damit einiges Aufsehen erregte. Die »Leipziger Illustrierte Zeitung« wunderte sich seinerzeit über das seltsame Spiel, »bei dem Bälle mit dem Fuße fortgeschleudert werden«, und über die Spieler, die »in einem Costüm« auftraten, »und zwar zur Unterscheidung in verschiedenen Farben«.

Junge Männer aus gutbürgerlichem Haus waren die ersten Deutschen, die den Engländern nacheiferten. Zum Arbeitersport wurde der Fußball erst nach dem Ersten Weltkrieg, weshalb Vater Schöns Vorurteil gegenüber dem »Proletensport« nicht ganz zutraf. Offensichtlich hielt er aber ohnehin nicht viel von sportlicher Betätigung, gleich in welcher Disziplin.

Wenn er seinen jüngsten Sohn mal wieder beim Fußballspielen erwischte, pfiff Anton Schön laut auf vier Fingern und lotste ihn umgehend nach Hause. Mehr Verständnis fand der Junge bei der Mutter, die sich allerdings um das allzu oft ruinierte Schuhwerk sorgte.

Bei schlechtem Wetter kickte Helmut gemeinsam mit Bruder Walter zu Hause in der großen Küche, bei großer Hitze badete er manchmal in der Elbe, ansonsten schlich er sich fast täglich hinaus zum »Bäbbeln«, wie man in Sachsen das Fußballspielen nannte und noch nennt. Stundenlang übte er zu dribbeln oder angeschnittene Flanken zu schlagen. Jeder Ball faszinierte ihn, er kickte mit Kugeln aus Stoff oder Gummi genauso herum wie mit filzenen Tennisbällen. Selbst mit den kleinen Tischtenniskugeln spielte er gerne, die bearbeitete er allerdings nicht mit dem Fuß, sondern fachgerecht mit dem Schläger – in dieser Disziplin brachte er es »nebenbei« noch zu lokalen Meisterehren.

Wenn er doch mal am Schreibtisch saß und die Schularbeiten erledigt waren, tauchten seine Gedanken ein in eine eigene Fußballwelt, von der er später in seiner Autobiografie erzählte. In jenem »Sundland« gründete er Fantasievereine, die er Fantasiemeisterschaften austragen und um Fantasiepokale konkurrieren ließ. Sogar eine »Stammtischrunde des FC Wacker« gab es in dem erträumten »Sundland«, in dem ein mächtiger »Sport-Diktator« über den Spielbetrieb wachte. Reportagen über das fiktive Geschehen schrieb der damals 13-jährige Helmut in einer Kladde nieder, als Autor vermerkte er einen gewissen »B. C. Fine«. »B« stand für »bright«, »C« für »courage« – übersetzt also »hell« und »Mut«. Zum verschlüsselten Vornamen passte der Nachname: »fine«, ins Deutsche übertragen: »schön«.

Natürlich sammelte er auch die Bildchen, die den Zigarettenpackungen beilagen und berühmte Fußballer zeigten. Manchmal stand Helmut mit anderen Jungs vor einer der Dresdner Zigarettenfabriken, und sie schrien im Chor: »Bilder! Bilder!« So lange, bis dann tatsächlich eine Handvoll Sammelbildchen aus dem Fenster geworfen wurde. Richard Hofmann war natürlich begehrt, ebenso der Hamburger Adolf Jäger. Oder Matthias Sindelar, der »Papierene« aus Wien: »So wie er wollte ich immer sein, technisch, elegant.« Anschließend wurde so lange getauscht, bis eine ordentliche Mannschaft beisammen war; die legte Helmut abends in richtiger Aufstellung auf den Tisch und dachte darüber nach, auf welcher Position er die Elf noch verstärken könnte.

Das Spielen in der Struvestraße verlagerte sich bald auf die nahegelegene Parkanlage namens »Bürgerwiese«, wo bei gutem Wetter Dresdens Bürger flanierten. Dort trafen sich die Jungs der umliegenden Viertel, allesamt in kurzen Hosen, die ärmeren barfuß, die besser gestellten in Kniestrümpfen und Schuhen. Wenn Helmut Schön dazustieß, hieß es nicht selten: »D’r Meester kommt!« Wie er selber mutmaßte, galt die Anerkennung nicht nur seinen Spielkünsten, sondern vor allem der Tatsache, dass er mittlerweile stolzer Besitzer eines Lederballs war. Dieses Privileg sorgte für einige Anerkennung bei den Gleichaltrigen.

Allerdings war das gute Stück gefährdet. Ältere Jungs schnappten sich gerne solch einen wertvollen Lederball und rückten ihn manches Mal nicht mehr heraus. Zuweilen tauchte auch ein Schutzmann auf und konfiszierte das Spielgerät. Ihr Spielfeld nannten die Jungs daher auch »Polizeiwiese«.

Mit zehn Jahren trat Helmut Schön dem Verein seines Stadtteils bei, dem SV Dresdensia, bei dem vor allem Leichtathletik betrieben wurde. Dessen erste Fußballmannschaft spielte überregional keine Rolle, doch neben Schön ging ein weiterer bekannter Fußballer aus seinen Reihen hervor: Simon Leiserowitsch, der zwischen 1913 und 1928 als Leistungsträger von Tennis Borussia Berlin für Furore sorgte und zum Vorbild des großen Hertha-Stars »Hanne« Sobeck wurde. Leiserowitsch, der als Sohn einer jüdischen Familie in der Dresdner Altstadt geboren worden war, kehrte nach seinen aktiven Berliner Jahren für einige Zeit als Funktionär zur Dresdensia zurück.

Ein anderes Vereinsmitglied, das später Prominenz erlangte, war mit Helmut Schön gleichaltrig und ihm bereits damals als »Kommunist« vorgestellt worden: Horst Sindermann, der spätere DDR-Ministerpräsident. Schön und Sindermann spielten des Öfteren in einer Mannschaft, so auch im Mai 1930 beim 5:0-Sieg der »1. Knaben« gegen Zittau. Über das Spiel hieß es in den Vereinsmitteilungen der Dresdensia: »Schön erzielt mit prächtigem Kopfball, für den Torwächter unhaltbar, den 2. Treffer.«

Da Vater Anton der Kickerei weiterhin skeptisch gegenüberstand, musste sich der kleine Helmut mit Hilfe seiner Mutter heimlich auf den Weg zum Training oder zu Wettspielen machen. »Harmlos pfeifend«, so berichtete er in seinen Erinnerungen, sei er die Treppe heruntermarschiert; seine Mutter habe dann aus dem Fenster die Tasche mit den Sportsachen in den Hof fallen lassen. Später wurde auch der Vater eingeweiht und überredet, sich ein Spiel seines Sohnes anzuschauen. Der junge Helmut spielte nicht gut, da seine eigenen Schuhe völlig zerschlissen waren und er in fremden Tretern auflaufen musste. Vater Schön, der vom Fußball keine Ahnung hatte, fand das Spiel dennoch gelungen.

Auch Bruder Walter kickte zunächst bei Dresdensia, später als Student beim VfB Leipzig, bis eine schwere Knieverletzung seine Laufbahn beendete – ein Leiden, mit dem Helmut Schön ebenfalls noch zu tun haben sollte. Walter betreute fortan die erste Mannschaft der Dresdensia und sorgte dort auch für den ersten Einsatz seines jüngeren Bruders. Weil Helmut durch starke Leistungen in der Jugendmannschaft aufgefallen war, durfte er mit nur 15 Jahren bei einem Freundschaftsspiel der »Ersten« mitwirken. Bei der Partie in Bautzen schoss der Debütant sogar das einzige Tor, doch den vollen Spesensatz erhielt er trotzdem nicht: Drei Mark gab es statt der fünf, die die anderen Spieler einsteckten. »Mehr gibt’s nicht. Dafür bist du noch viel zu klein«, beschied ihm der große Bruder.

Helmut Schön

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