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… zum Dresdner SC
ОглавлениеIm gleichen Jahr, 1930, wechselte Schön zum größeren und erfolgreicheren Dresdner SC. Seine Mitschüler am St.-Benno-Gymnasium hätten ihn dazu gedrängt, erzählte er oft, denn die seien allesamt Mitglieder oder Anhänger des DSC gewesen. Auch dass Dresdensia ihr altes Spielgelände habe verlassen müssen und die Jugendmannschaft deshalb auseinandergefallen sei, führte Schön als Grund an.
In einem nachgelassenen Manuskript von 1950 erzählte er allerdings noch eine spannendere Episode, die ihn zum Vereinswechsel bewogen habe: Mit seiner Dresdensia-Jugendmannschaft spielte Schön eines Tages gegen die DSC-Jugend, in deren Stadion am Ostragehege. Die Gäste gewannen hoch. Beeindruckter Zeuge der Begegnung war DSC-Trainer Jimmy Hogan. »Er gab mir nach dem Spiel anerkennende Worte und fragte mich, ob ich richtig trainieren würde. Da ich verneinen musste, sagte er nur: ›Schade!‹ Mehr nicht, aber dieses eine Wort genügte, um mir einen großen Ansporn zu geben und eventuell den Weg zu ihm und seinem vielgepriesenen Training zu finden.« Der Engländer Hogan besaß ein gewaltiges Renommee. Er hatte bereits die berühmte österreichische Nationalelf und anschließend mit MTK Budapest eine der stärksten Vereinsmannschaften des Kontinents trainiert und dabei große Erfolge erzielt.
Durch seinen Beitritt zum Dresdner SC konnte der junge Schön noch zwei Jahre lang beim großen Hogan in die Lehre gehen, bevor der Weltenbummler 1932 Dresden wieder verließ und in die neue französische Profiliga wechselte. Der englische Trainer mit der schottischen Fußballphilosophie bevorzugte gute Techniker. »Vielleicht war der Umstand, dass ich als sogenannter Straßen-Fußballer keine Schwierigkeiten mit der Ballbehandlung hatte, ein Grund dafür, dass er mich offensichtlich ins Herz schloss«, schrieb Schön 1970 in seinem Buch »Immer am Ball«. Hogan arbeitete eng mit dem jungen Leichtathletik-Trainer des DSC zusammen, Woldemar Gerschler, der für die körperliche Fitness der Kicker sorgen sollte. Gerschler war ein ebenso moderner wie wissenschaftlich arbeitender Trainer und einer der Ersten, der das Intervalltraining praktizierte. Aus seiner Schule stammte der Weltklasseläufer Rudolf Harbig, der später über 400 und 800 Meter mehrere Weltrekorde aufstellte. Dem erst 26-jährigen Gerschler legte Hogan den jungen Schön besonders ans Herz: »Das wird ein Spieler für die erste Mannschaft. Zeige ihm, wie man richtig läuft!«
Jimmy Hogan selbst konzentrierte sich darauf, Balltechnik und taktische Kniffe zu vermitteln. Die richtige Schusstechnik wurde ebenso geübt wie sauberes Tackling. Hogan war mittlerweile 50 Jahre alt, doch noch immer spielend dazu in der Lage, seine Schützlinge mit eigenen Ballkünsten zu beeindrucken. Schön: »Seine hervorragende Ballkontrolle veranlasste uns, immer wieder zu üben, um den Ball genauso zu beherrschen wie er.« Auch in anderer Hinsicht nahm der junge Kicker den Trainer zum Vorbild. Rauchen war für Hogan tabu, Alkohol nicht immer: »Ich habe nichts dagegen, wenn du am Abend vor dem Spieltag ein großes Glas dunkles Bier trinkst, dann schläfst du gut, und es schadet dir nicht!« An diese Empfehlung, so Schön, habe er sich immer gehalten. Und noch als Bundestrainer seinen Spielern den gleichen Rat gegeben.
Hogans ausgezeichneter Ruf als Trainer trug wesentlich dazu bei, dass er im Sommer 1929 Richard Hofmann nach Dresden locken konnte. Hofmann hatte seine Laufbahn bei Meerane 07 begonnen, wo er auch zum Nationalspieler aufstieg. Auf dem Platz war er eine beeindruckende Erscheinung. Er fegte dynamisch durch die gegnerische Abwehr, gleichermaßen technisch versiert, durchsetzungsstark und gesegnet mit einer legendären Schusskraft. Jimmy Hogan sagte über ihn: »Er ist eigensinnig, er weiß, was er will. Wenn Richard einen Ball sieht, dann kann ihn nichts mehr aufhalten. Wenn er schießt, dann möchte ich nicht der Torwart sein, der den Ball halten muss.«
Es existieren diverse Anekdoten über Hofmann; sie handeln von zerrissenen Netzen und zerbrochenen Torpfosten. Helmut Schön erzählte eine Geschichte über Hofmanns Dickköpfigkeit: Wie er sich der Anweisung von Reichstrainer Otto Nerz widersetzte, sein völlig zerschlissenes Schuhwerk gegen ein neues auszutauschen. 1929 war das, vor dem Länderspiel gegen Schweden. Als Nerz auf seiner Anweisung beharrte, schnappte Hofmann ihn beim Schlips und drohte lautstark mit seiner Abreise, »wenn Se nicht aufheern«. Der Stürmer durfte seine alten Latschen anziehen, und er schoss damit sechs Tore, von denen drei allerdings nicht anerkannt wurden.
Dass der Dresdner SC einen renommierten Trainer wie Jimmy Hogan und einen begehrten Nationalstürmer wie Richard Hofmann für sich gewinnen konnte, bewies deutlich, dass der Verein große Ambitionen besaß. Hogan war nicht billig: Laut dem Dresdner Autor Peter Salzmann verdiente er beim DSC monatlich 1.500 Mark. Über die dafür notwendige finanzielle Ausstattung schien der Verein zu verfügen.
1898 war der DSC von elf Männern gegründet worden, die zwar noch jung, aber großenteils schon etabliert waren. Einige von ihnen entstammten dem Pionierklub Dresden English FC, fünf weitere dem Konkurrenten Neuer Dresdner FC. In der Vereinschronik zum hundertjährigen Bestehen heißt es über die DSC-Gründer: »Die würdigen Herren im Schnurrbart – in erster Linie Handwerker, Geschäftsleute, Militärs, Bankiers und Unternehmer aller Schattierungen – waren fußballversessen und hatten ein Ziel vor den Augen: Der DSC sollte schnell von sich reden machen.«
Lange Zeit bildete der Verein lediglich eine regionale Macht, er wurde bis zum Ersten Weltkrieg regelmäßig ostsächsischer Meister und hatte danach erst einmal Mühe, sich gegen lokale Konkurrenten wie Guts Muts Dresden zu behaupten. Allerdings blieb er mitgliederstark – in den dreißiger Jahren soll er an die 2.000 Mitglieder gezählt haben –, wurde modern geführt und erfreute sich der Unterstützung starker Mäzene, auch weil er neben dem Fußball noch andere Sportarten anbot. Unter anderen kam bedeutsame finanzielle Hilfe von der Radebeuler Arzneimittelfabrik Madaus, vom Dresdner Modehaus Esders sowie von weiteren mittelständischen Unternehmen.
Bereits 1919 wurde ein Stadion für 20.000 Zuschauer errichtet. Es lag am Ostragehege, benannt nach einem ehemaligen Tiergarten in der Nähe des früheren Dorfes Ostra, westlich der Dresdner Altstadt. Auch als Elbhochwasser die Anlage schwer schädigte und 1928 die alte Haupttribüne abbrannte, konnte der finanzkräftige Verein die Folgen schultern. Nun ging es auch sportlich wieder steil bergauf, insbesondere nach der Ankunft von Jimmy Hogan und »König Richard«.