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1. Konflikt
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Das EU-Recht kann auch mit dem Grundgesetz und mit den dort garantierten Grundrechten in Konflikt geraten. Auch dann gilt als Ausgangspunkt der Vorrang des EU-Rechts.[54] Meist sind die Grundrechte geschützt, weil auch der EuGH eine Grundrechtskontrolle durchführt. Diese nimmt er allerdings nicht anhand der mitgliedstaatlichen, sondern allein anhand europäischer Grundrechte vor (dazu näher sogleich Rn. 41).[55]
Die komplexen verfassungsrechtlichen Fragen, die sich stellen, wenn die europäischen Rechte hinter dem deutschen Grundgesetz zurückbleiben, müssen hier weitgehend ausgeklammert bleiben. Das deutsche Grundgesetz würde Eingriffe in die wesentlichen Grundsätze der demokratischen Ordnung nicht erlauben. Durch den schon im Jahr 1992 neu gefassten Art. 23 Abs. 1 GG wird – plakativ dargestellt – festgeschrieben, dass Voraussetzung der Mitwirkung in der EU ist, dass auch die EU „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen“ verpflichtet ist.[56]
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Das BVerfG hat wiederholt die verfassungsrechtlichen Grenzen betont, die sich für den europäischen Integrationsprozess aus dem Demokratieprinzip und aus der Souveränität Deutschlands ergeben. Grundlegend war insofern das Lissabon-Urteil. Insbesondere gelte es, den von den Grundrechten geschützten „privaten Raum der Eigenverantwortung und der persönlichen und sozialen Sicherheit“ zu erhalten. Der Vorrang des Rechts der EU ist dadurch jedoch nicht unmittelbar beeinträchtigt. Veranschaulichend kann man eher von einem „Notfall-Kontrollmaßstab“ sprechen, der vom BVerfG entwickelt wurde und überwacht wird.[57] Dabei kann man drei Stränge unterscheiden, die alle äußerst eng verstanden werden müssen und nicht konfrontativ, sondern letztlich möglichst kooperativ gewahrt werden sollen. Die Identitätskontrolle betrifft die Sicherung des Kerngehalts der grundgesetzlichen Verfassungsidentität. Was genau dazu gehört, steht trotz der Beispiele, die das BVerfG gibt, nicht vollkommen fest. Aus dem Bereich der Grundrechte ist Art. 1 Abs. 1 GG auf jeden Fall Teil der deutschen Verfassungsidentität. Privatrechtliche Fragen gehören typischerweise nicht in diesen Kernbereich.[58] Die Ultra-Vires-Kontrolle betrifft die Kompetenz der EU. Wenn die Organe der EU in erheblichem Maße ihre Kompetenz überschreiten, will das BVerfG ebenfalls einschreiten. Auch hierbei geht es aber wie bereits dargestellt nur um schwerwiegende Kompetenzüberschreitungen.[59]
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Aus alledem ergibt sich, dass es auch im Kontext des EU-Rechts eine beim BVerfG verbleibende Grundrechtskontrolle gibt. Diese ist jedoch stark eingeschränkt.
Da die Verletzung von Grundrechten auch im Kontext des Privatrechts von hohem Interesse ist, sei dem noch näher nachgegangen. Grundrechtsbeeinträchtigungen durch EU-Rechtsakte sind durchaus vorstellbar. Canaris hat beispielsweise in der Klausel-RL eine Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit gesehen.[60] Wichtiger ist heute der Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechtsverletzungen, der vor allem bei Veröffentlichungen im Internet häufig auftritt. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG könnte entscheidenden Einfluss auf die Auslegung und Anwendbarkeit von EU-Recht haben. Indem die Richtlinien oftmals isoliert nur grenzüberschreitende Vorgänge regeln, kann es zur Inländerdiskriminierung kommen (dazu auch noch Rn. 58). Daher sei noch ein konkreter Blick auf diesen Konflikt zwischen Richtlinienrecht und Grundrechten geworfen.