Читать книгу In jeder Beziehung - Birgit Schmid - Страница 11

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AUF DEN

ZWEITEN BLICK


Später kann man nicht mehr sagen, wann es genau passiert ist. Wie das Licht auf ihr schlafendes Gesicht fällt, das er betrachtet. Wie er sie hochnimmt, und plötzlich fühlt sie sich erkannt. Wann also der Moment ist, in dem man sich verliebt. Und der Leberfleck und die verschiedenförmigen Augen fügen sich zu Einmaligkeit. Der verliebte Blick verschönert den andern.

Sein schlenkernder Gang kommt zu seinem Lachen kommt zu seiner Kenntnis der Astronautik: Er ist es! Ihre Rede kommt zu ihrer Wildheit kommt zu ihrem Blick: Sie ist es! Und jede Abweichung von dem, was man als attraktiv einstuft, verliert an Kraft.

Das hat etwas Weiteres zur Folge: Weil man die ganze Schönheit von jemandem erst im Lauf einer Bekanntschaft sieht, finden sich immer wieder ungleich attraktive Paare. Eine 8, auf einer Skala von 10, tut sich mit einer 5 zusammen. Eine 6 wählt eine 2.

Was Nicht-Eingeweihte denken, wenn sie solche Paare sehen, ähnelt sich hingegen immer. Sie denken aus Neid oder Ignoranz:

Ich bin doch eine 8, und immer noch Single – was fischt die 5 in meinem Teich? Oder: Was sieht die 6 in dieser 2? Die 2 ist sicher gut im Bett. Oder sie verfügt über Geld, Jugend oder andere Eigenschaften, bei denen es nicht um wahre Liebe gehen kann.

Dabei wirkt hier oftmals nur die Zeit. Die Zeit kehrt die Gesetze der Anziehung um. So erging es Jane Austens Mr. Darcy in »Pride and Prejudice«, der zu Beginn für Elizabeth Bennets Erscheinung wenig übrighat. Sie sei »tolerable, but not handsome enough to tempt me«. Sie sehe zwar leidlich aus, aber zu wenig gut, um ihn zu reizen, sagt er und bemängelt: »more than one failure of perfect symmetry in her form«.

Psychologen an der University of Texas haben in einer Studie aufgezeigt, warum es schon Anfang 19. Jahrhundert anders kam: Warum sich Mr. Darcy dann doch in Elizabeths Charme verliebte, in ihren unabhängigen Geist. Studierende mussten den »romantischen Appeal« ihrer Mitstudierenden einschätzen. Frauen von Männern und umgekehrt. Fanden die meisten zu Semesteranfang dieselben Personen begehrenswert, gingen die Meinungen nach drei Monaten weit auseinander darüber, wer begehrenswert ist. Je mehr Zeit man also miteinander verbringt, desto unterschiedlicher wird Schönheit eingeschätzt.

Nicht untersucht wurde der Cyrano-de-Bergerac-Effekt. Ob nämlich weniger schöne Menschen auf einem Gebiet ein besonderes Talent entwickeln; sie verführen durch Sprache, die richtigen Lieder und ihren erotischen Stil. Mit ihrer Fertigkeit lassen sie jede 9 oder 10, die sich oft allein auf ihr gutes Aussehen verlassen, hinter sich zurück. Und das reicht auf Zeit nicht aus.

Dass Liebe auf den ersten Blick überschätzt wird und innere Schönheit ebenso zählt, belegt auch eine Forschung an der Northwestern University in Illinois, USA. Gingen Paare eine Liebesbeziehung ein, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, waren sie ähnlich attraktiv. Kannten sich die Paare schon lange und waren vielleicht Freunde, bevor sie zu Liebenden wurden, dann sah einer der beiden oft viel besser aus als der andere. Schönheit liegt im liebenden Blick.

Was heißt das nun? Um genau den oder die zu finden, die in derselben Hübschheits-Liga spielen, gibt es natürlich das Online-Dating. Hier ist das Äußere entscheidend. Das schließt dann wohl den Menschen aus, den man viel eher an der Uni, im Büro oder Sportclub kennenlernt. Wo man jemanden von sich einnehmen kann und plötzlich sieht: sein Wissen, seine Wachheit. Er ist es! Ihre Klugheit, ihr Witz. Sie ist es!

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