Читать книгу In jeder Beziehung - Birgit Schmid - Страница 15
ОглавлениеDIE REISE
VOR DER ABREISE
Wohin geht die Reise dieses Jahr?
Das Kontingent mit den Ferientagen ist noch voll in diesen ersten Wochen, die Reiselust wächst schon im Februar wieder an. Als Planungsgrundlage schickt man dem andern die Berichte mit den »20 places to be in 2019«, die so zuverlässig kommen wie der Frühling, der Sommer, der Herbst – die Zeit also, wenn man die Koffer packt.
Da es zwei Arbeitsleben aufeinander abzustimmen gilt, setzt man sich an einem Abend hin. Wo war man noch nie, wie weit darf es sein, was lohnt sich erneut? Danach ist man zwar manchmal so erschöpft wie nach einem Bergaufstieg. Aber würde man das Ritual nicht mehr einhalten, zusammen vorauszuschauen auf das Schöne – dann fehlte etwas. Es heißt immer, erst wer es gut habe beim Reisen, passe zusammen. Aber eigentlich ist der Testfall die Planung.
Diese widersetzt sich der Unverbindlichkeit, mit der man heute in den Tag hinein lebt. Wenn ich morgen nicht mehr ins Restaurant will, lasse ich die Reservation halt verfallen. Es gibt eine Unlust, sich festzulegen, ganz schnell ist man nicht mehr »in Stimmung«. Bei der frühen Ferienplanung hingegen rechnet man miteinander. Der Saver-Flug in acht Monaten lässt sich nicht umbuchen. Er ist wie eine gegenseitige Versicherung.
Also bricht man auf. Die Teller vom Nachtessen sind abgeräumt, die Gläser nachgefüllt, ein paar herausgerissene Reiseberichte ausgelegt, die dann doch keiner liest. Sobald ein Land fällt oder eine Stadt, wischen die Finger über das Tablet. Er zoomt die Weltkarte heran, rechnet bei nahen Zielen die Fahrzeit aus. Sie besucht Hotels und verwirft alle Zimmer, in denen man in den Spalt zwischen den Matratzen rutscht.
Noch vorher wählt man aber die freien Wochen in den Kalendern aus. Der eine möchte alle fünf Ferienwochen auf einmal nehmen, der andere sie haushälterisch übers Jahr verteilen. Dann muss auch das Bedürfnis nach Erholung synchronisiert werden. Eispickel oder Hängematte? Weiter berät man über das Budget. Meist fällt irgendwann der Satz: Steh nicht so auf der Bremse, sonst können wir gleich zu Hause bleiben. Und bevor man sich auf die Osterinsel einigt, sollte man vielleicht noch Folgendes entscheiden: Flugzeug, Auto, Velo oder Zug?
Damit zum zweitwichtigsten Punkt. Wenn man jetzt Ferien plant, dann sitzt Greta immer mit auf dem Sofa, das 16-jährige Mädchen mit den Zöpfen aus Schweden, das auf unsere Klimaverbrechen hinweist. Wer weiß, was für ein Sommer uns erwartet. Jetzt mag man sich an der Vorstellung wärmen, aber im Juli lässt sich eine Reise nach Hawaii nicht mehr vertreten. Palmen und Korallenriffe muss man langsam aus dem romantischen Programm streichen. Liebe ist, darüber nicht in Streit zu geraten.
Nur etwas könnte noch entzweiender sein. Nämlich die Frage, ob man an Orte reisen soll, an denen der eine schon einmal mit einem früheren Geliebten war. Entweder man sagt sich als Paar: Wir nehmen die Allerweltsstädte Paris, London, New York neu ein und überschreiben die Spuren dort mit unserer Geschichte.
Oder man hat Angst vor dem Vergleich und fürchtet an jeder Ecke den Geist der Ex-Liebhaber des andern anzutreffen, mit denen es gewiss schöner war. So wie der retrospektiv eifersüchtige Ehemann in Julian Barnes’ Roman »Before She Met Me«, der an keine Orte reisen will, wo seine Frau mit anderen Männern vorbeikam. Kreuz und quer hätten die ihre Fußspuren auf dem Globus hinterlassen, »wie Kamelfährten in einer Wüste, wo niemals der Wind weht«.
Gerade wenn man diese Orte nicht wählt: Die abwesenden Anwesenden wählen mit.