Читать книгу In jeder Beziehung - Birgit Schmid - Страница 6

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WIE ALLES

BEGANN


Viele Kinder, die heute geboren werden, dürften später die immer selben Geschichten hören, wenn sie ihre Eltern fragen, wo die sich kennengelernt haben.

Im Internet.

Im Internet.

Im Internet.

Vielleicht überspringen die Eltern den ersten Kontakt via Dating-App und sagen:

In der Bar.

In der Bar.

In der Bar.

Doch auch wenn dem so wäre – kein Algorithmus nimmt einem das Kennenlernen ab. Es geschah bei einem Spaziergang, an einer Party, beim Schwimmen im See, kann man auf die beliebte Frage von Kindern immer noch sagen, ohne zu lügen. Wobei man sich für die Partnersuche mit klar berechnetem Profil ja längst nicht mehr schämt. Das Gegenteil scheint bald fahrlässig. »Sie haben etwas so Wichtiges dem Zufall überlassen?«, hat ein Bekannter, ein Soziologe, gesagt, als ich ihm vom ersten Blick an der Tramhaltestelle erzählte, der zwanzig Jahre nach sich zog.

Die Geschichten, die heute über Tinder und andere Datingportale beginnen, mögen sich gleichen – doch wir hängen weiter an den Anfängen und wollen sie erzählt bekommen. Den Anfang einer Liebesbeziehung umgibt etwas Gutes, da werden selbst Zyniker still. Wir romantisieren sogar die Erzählungen unserer Großeltern, denen die Ehefrau empfohlen wurde oder der Gatte zugeteilt; die nicht frei wählen konnten. Und doch entstand nicht selten eine Liebe daraus.

Am erstaunlichsten bleiben dennoch die Erzählungen, bei denen der Zufall spielte. Deshalb sammeln auch Medien und soziale Netzwerke die Geschichten vom Anfang so gern, als müssten sie der eintönigen Internetliebe etwas entgegensetzen. Auf Instagram ist der Account »The Way We Met« äußerst beliebt. Und als die »New York Times« zehn Paare die »unerwartete« Geschichte ihres Kennenlernens erzählen ließ, machten es ihnen Hunderte auf Facebook nach. Sie fanden einander im Kindergarten, bei »World of Warcraft«, während eines Mordprozesses, dank Airbnb.

Doch auch diese Geschichten tönen oftmals ähnlich, weil sie alle in einem Ton erzählt werden, der staunend und überwältigt ist: Man war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ist das nicht unglaublich? Wie leicht hätte man sich verpassen können! Ein Zug, der sich verspätet. Ein früherer Abendkurs. Kleine Entscheide stellen die Weichen, die dem Leben eine Richtung geben.

Nicht die Geschichten sind also das Besondere, sondern die Art, wie Paare sie erzählen. Sie streichen das Ereignishafte hervor. Sie betonen das Unerhörte. Erst dadurch werden die Geschichten bedeutsam. Eine positive Erinnerung an den gemeinsamen Anfang ist ein Merkmal guter Beziehungen, so sagen Psychologen. Man konstruiert einen Liebesmythos. Diesen erzählt man sich immer wieder, erzählt ihn seinen Kindern und Enkelkindern. Das verbindet.

Die romantische Variante tönt dann so:

Wir blickten uns in der Menge fünf Minuten wortlos an.

Ich folgte ihr durch die ganze Stadt.

Die unromantische tönt so:

Er war das sechste Blind Date in vier Tagen.

Bevor ich meinen Account löschte, gab ich noch einer letzten Person eine Chance – und das war sie.

Es kommt nicht darauf an, wie und wo man jemanden getroffen hat. Sondern, daraus eine gute Story zu machen, egal, ob sie die Wahrheit trifft oder diese verklärt.

In jeder Beziehung

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