Читать книгу In jeder Beziehung - Birgit Schmid - Страница 14
ОглавлениеWAS IN DIESEM ZIMMER
ALLES PASSIERT IST
Wenn zwei ein Hotelzimmer betreten, betreten sie einen Raum ohne Geschichte. Der Raum wirkt unberührt, es riecht nach nichts, obwohl hier immer andere Leute wohnen. Einsame Geschäftsmänner standen am Fenster und starrten in die Nacht, früher wählten sie den »Adult«-Channel, zu dem sie in Hotels berechtigter schienen, da es nicht unter Aufsicht geschah: des Ehepartners, des Über-Ichs, des Haustiers. Es muss hier Liebesnächte gegeben haben, heimliche und altvertraute. Es wurde Treue geschworen, ein Name geflüstert und das Ende beschlossen, es wurden Schwüre gebrochen und Pillen geschluckt, um es bis zum andern Morgen auszuhalten.
Zum Glück wissen die Neuankömmlinge nichts davon. Sie sind unbelastet. Fühlen sich selber fremd und ohne Bezüge, und ob man nicht auf der Stelle von Heimweh befallen wird, hängt davon ab, wer neben einem den Koffer zieht.
Verstörend ist ja bereits die Ankunft im Hotel, umso mehr in großen, gutklassigen Hotels. Als eine Passage von einem Ort an einen Nicht-Ort hat der amerikanische Autor Geoff Dyer in seinem Essay »Sex and Hotels« diesen Moment beschrieben. Die dienende Zurückhaltung des Portiers, der einem das Gepäck abnimmt. Der höfliche Gleichmut des Desk Managers, der um den Ausweis bittet. Dann das Durchschreiten der Lobby, als hätte man diplomatische Immunität erhalten. Man lässt seine Herkunft zurück, die niemanden interessiert. Alles wird bedeutungslos, ob man zusammengehört oder Namen hat, die nicht zusammengehören.
Nur eine Zimmernummer ist jetzt mit dem eigenen Namen verbunden. Man ruft den Lift, fährt hinauf. In der Spiegelkabine wird man spätabends nach dem letzten Drink die Anwesenheit als Paar mit einem Foto bezeugen, das man anderntags wieder löscht. Den langen Gang entlang, vorbei an Türen mit der Bitte, nicht zu stören, vorbei an halb leeren Tellern und silbernen Hauben. Man entsperrt das Schloss, stemmt sich gegen die Tür. Sie fällt mit Zugkraft hinter beiden zu. Man ist drin.
Je teurer ein Hotel ist, desto erregender, schreibt Dyer. Luxushotels haftet etwas Unmoralisches an, nicht bloß der käuflichen Frauen wegen unten in der Bar. In der Verwöhnung ist die Welt ausgeschlossen. Man bewohnt einen Planeten als die zwei einzigen Wesen, Raum und Zeit sind aufgehoben, ob man sich gerade in Tokio, New York oder Basel befindet. Möbel, Kunst, Aussicht auf Türme – der Luxus gleicht sich überall. Nur die Suite eignet sich nicht für Verliebte, denn die wollen sich nicht aus den Augen verlieren.
Für diejenigen aber, die sich nichts mehr zu sagen haben, ist auch im Luxushotel alles zu klein und zu eng. Sie sind Gefangene, die sich nicht ausweichen können. Eine Liebe, die endet, ist traurig, aber sie ist trostlos, wenn sie vor einer verschwenderischen Kulisse zur Erinnerung wird.
Noch aber ist alles Gegenwart. Man tritt ein, stellt die Tasche hin, schaut sich um. Die Schalldämpfung nimmt den Worten den Klang, die Füße sinken im Teppich ein. Das weiße Bett, das gespannte Tuch, die gestapelten Kissen. Es wird einem vorgetäuscht, man dürfe die ersten Spuren hinterlassen. Als hätten sie auf die erste Nutzung gewartet: die weichen Bademäntel, die Hausschuhe mit Emblem. Nie ist das Frottee von der Wäsche rau oder grau, nie zeigt das Tuch Flecken. Man entfernt im Bad den Deckel vom Glas, die Schleife von der Schüssel, bricht das Siegel der Seife auf. Klack.
Ein Hotelzimmer wird genommen.