Читать книгу In jeder Beziehung - Birgit Schmid - Страница 12
ОглавлениеLIEBES BRAUTPAAR,
HÖR MAL ZU
Als müsste man dem dunklen Jahresbeginn etwas Schönes entgegensetzen, liegen den Zeitungen bereits die ersten Hochzeitsspecials bei. Zwei Menschen sagen Ja zueinander, sie wollen das Bett teilen und den Tisch – und den Tisch um zwei Plätze erweitern oder drei, sich zugetan sein in guten wie in schlechten Zeiten, sich Geliebter, Freundin, Kumpel, Schwester sein. Wie alle glauben sie, bei ihnen halte es für immer.
An der Feier haben meist auch die befreundeten Paare eine Rolle, die bereits seit fünf oder fünfzehn Jahren verheiratet sind. Sie heben das Glas, lassen es klingen und setzen zum Lob auf die Ehe an. Sie sagen:
Das Schicksal hat euch zusammengebracht, es ist, als gehörtet ihr schon immer zusammen. Verheiratet sein bedeutet, sich noch verbundener zu fühlen.
Sie schließen mit dem Gedicht »Was es ist« von Erich Fried.
Die Worte kommen von Herzen, aber sie lassen vieles aus. Wenn Freunde an der Hochzeit von Freunden einen Toast aussprechen, unterschlagen sie, was auch zu sagen wäre. Hat man sich denn nicht zu Offenheit bekannt, damals an der Uni, als man zu Freunden wurde? War das Vertrauen nicht immer groß genug, selbst die Liebschaften der Freundin zu bewerten, wodurch manch eine Liebschaft endete?
Deshalb müsste die Rede anders klingen. Man müsste den Mut haben zu sagen:
Irgendwann in naher oder ferner Zukunft werdet ihr euch heftig streiten, eine verspätete Heimkehr, ein fremdes Lächeln, sodass euch zum ersten Mal der Gedanke kommt, es könnte nicht für immer sein. Du wirst den Mann anschauen, den du verehrtest, und denken, wie selbstgerecht er geworden ist. Du schaust ihn an und kochst vor Wut und sehnst dich zurück in die Zeit, als du allein und ungebunden warst.
Du schaust sie an, deine heutige Braut, vielleicht bald Mutter deiner Kinder, möchtest ins Auto steigen und losfahren ohne Blick zurück. Du erträgst ihr Unwissen nicht, und was einst reizvoll war an ihr und eigen, ärgert dich jetzt bloß.
Kann sein, dass du manchmal denkst, die Frau deines Lebens spricht mit der Katze zärtlicher als mit dir.
Kann sein, dass du dich fragst, warum dein Mann noch einmal mit dem Hund hinausgeht abends um halb elf. Er geht hinaus, weil er allein sein möchte, deine Fragen jetzt nicht hören und nicht reden mag.
Nach ein paar Jahren geht ihr öfters zu verschiedenen Zeiten zu Bett, was ihr euch heute noch nicht vorstellen könnt. Manchmal wird einer von euch so tun, als schlafe er bereits. Der andere merkt es und schweigt.
Ihr denkt: Was ist aus uns geworden.
Wo sind wir hingekommen, denkt ihr.
Wir sagen euch: Das ist noch nicht das Ende. Solche Tage gehören dazu, wenn man verheiratet ist. Seid unbesorgt, aber vorbereitet. Ihr werdet leiden, sogar hassen.
Ihr seid euch zu nah, um euch nicht immer wieder fremd zu werden. Erwartet viel heute, aber seid später großzügig und denkt an den Weg, den ihr bereits gegangen seid.
Es gibt auch die anderen Tage, so setzt man zum Schlusswort an: Ein Blick über den Tisch hinweg in einer Runde, und du weißt, du würdest dich wieder in sie verlieben. Seine Worte im richtigen Moment, die nur einer sagen kann, der dich kennt. Man hat Ja gesagt und wirft das nicht einfach fort. Wenn ihr die Ehe eines Tages mit all diesen Gesichtern erlebt und noch immer zusammen seid, dann habt ihr vieles gut gemacht.
Damit endet die ehrliche Hochzeitsrede. Es sei denn, man wurde vorher aus dem Bankettsaal geworfen.