Читать книгу In jeder Beziehung - Birgit Schmid - Страница 7
ОглавлениеALLE MEINE
STOFFE
Jetzt, da die Sonne bereits beim Aufstehen ins Zimmer fällt, droht bald schon die Wärme. Also muss ich meine Kleider umgruppieren, ruft der Kleiderschrank nach einer neuen Ordnung. Ich stehe vor den offenen Flügeltüren und fange an: Wollsachen auf die oberen Regale, das Feinstoffliche nach vorn.
Den Winter hindurch wurde mein Schrank zum Bau. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich ein Tier hineinverkrochen hätte. Manchmal leuchten tatsächlich Augen im Dunkeln heraus: die Katze, die die Höhle liebt. Neue Kleider kamen nicht viele hinzu. Sondern das Durcheinander wuchs mit dem nachlässigen Verstauen an.
Wenn ich mich nun an mein Kasting mache, das Lichten der vollen Regale, wird mir klar: Beim Aufräumen begegnen mir Menschen, die mit diesen Kleidern verwoben sind, und damit Erinnerungen an mich selber. Dafür muss ich nicht von Marie Kondo an die Hand genommen werden, der ordnungsversessenen Japanerin, nach deren Philosophie nun alle leben. Diese findet: Nach dem Aufräumen sei man auch innerlich aufgeräumt. Ich glaube ihr kein Wort.
Was stimmt: Beim Umschichten wechselt man seine Identität ein wenig. Als wären einem nicht nur die Kleider verleidet, sondern man sich selber. Also streife ich mit dem Rollkragenpullover auch mein Winter-Ich ab. Wobei ich nicht unbedingt zu jenen gehöre, die euphorisch werden, sobald die Temperaturen steigen. Den Körper einzuhüllen, bot auch einen Schutz. Etwa vor der Nötigung zu guter Laune.
Während man den Schrank aufräumt, fällt einem zu jedem Kleidungsstück ein Erlebnis ein. Der Kaschmirpullover wärmte wie die Umarmung an jenem Abend. Die übergroße Hose trug ich auf dem Schneespaziergang, der in einen Streit ausartete. Die Mütze: ein Geschenk. Übersommert gut, ihr alle!
Auf einem Zwischenregal lagert Stoff für die Zeit dazwischen. Dazu gehört das Shirt von der letzten Städtereise. Die Verkäuferin fragte mit dem Tablet in der Hand nach meiner E-Mail-Adresse – »to establish a relationship«. Doch eine Beziehung will ich nur zu meinen Kleidern haben. Während ich den Isländer streichle, denke ich: Man könnte Kleider ja nach den Ländern ordnen, aus denen man sie »mit nach Hause« brachte. Aber dann müsste man auch Bangladesh und China Platz einräumen. Und zwar viel.
Wenn ich in meinen Kleiderschrank blicke, zeigt sich weiter meine Treue, die keinesfalls ein Horten ist. Gerade weil Kleider an Biografien mitweben, kann ich mich schwer von ihnen trennen. Karl Lagerfeld, um den wir trauern, war da anders. Er sagte: »Mein Stil ist eher: ein neuer Frühling, eine neue Liebe.« Aber auch wenn die Liebe wechselt: Die textile Erinnerung hat einen Wert. Ich hänge an diesen alten Stücken, auch wenn sich ihre Geschichte selbst mit mehrmals Waschen nicht auslöschen lässt – und ich sie also nie mehr tragen werde. Der Kleiderschrank, mein Museum.
Bald stoße ich zu Gegenständen vor, die den Schrank auch als Versteck ausweisen. Es lässt sich allerhand unter die Stapel schieben, um Unbefugten die Suche zu erschweren. Deshalb bin ich für getrennte Kleiderschränke. Während ich mein Höhlensystem bevorzuge, gefällt mir die frei schwebende Männergarderobe an Kleiderständern.
Dann halte ich das blaue Kleid in den Händen, das ich das letzte Mal vor fünfzehn Jahren trug. Wie jedes Mal muss ich innehalten. Behalten oder entsorgen? Ich behalte.
Am Schluss liegt alles schön gefaltet. Die Kleider hängen an den Bügeln, die Schuhe stehen aufgereiht. Nur ich bin durcheinander.