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Prifanica und die kleinen Schlangen auf dem Zaun

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Als Prifan starb, der Nachbar, dessen Frau mit niemandem Kontakt pflegte und die auch ihn selbst von seiner großen Sippschaft getrennt hatte, beschloss Rabiye, es zu versuchen. Der alte Prifan war schon lange bettlägerig, und dass etwas mit ihm passiert war, merkte sie daran, dass Prifanica heute nicht mit den Frauen zum Dorffest ging. In dieses Haus, das niemals niemandem – weder im Guten noch im Bösen – zu betreten gelungen war, hatte bis jetzt auch Rabiye nie einen Blick geworfen. Ein Haus mit einer Klingel. Mein Gott, was für ein lästiges Hindernis! Du musst klingeln, jemand muss dir aufmachen, aber vorher fragt er sich, wer das wohl sein mag. Und darüber ärgerte sie sich sehr. Ist das denn ein Haus, in das man nicht sofort eintreten kann. Du öffnest das Tor oder die Tür, rufst den Hausherrn langgezogen und ausreichend laut beim Namen, damit es auch die Toten hören, und während man dir von drinnen antwortet, kannst du in aller Ruhe den Hof begutachten und dich an ihm orientieren, was drinnen geschieht.

Also, Prifanica zeigte sich heute weder am Fenster noch an der Tür. Sie hatten kein Tor mit weiten Flügeln aus Holz wie alle anderen, weil es auch nichts gab, was sie durch es hindurchschaffen konnten. Prifan war Finanzbeamter, er hatte Finanzwesen in Istanbul studiert. Sohn eines wohlhabenden, oder wie die Leute ihn nannten – eines »wohl alles habenden« Mannes. Sie hatten recht, denn hast du Geld, dann kannst du dir wohl alles leisten. Sein Haus war städtisch. Mit einem Eisenzaun, mit einer Eingangstür aus geschmiedetem Eisen in Form von kleinen Schlangen. Die Leute gingen an ihnen vorbei und erkannten zwischen dem Metallgeflecht die aufgespannten bösartigen Köpfchen mit herausgestreckten gespaltenen Zünglein überhaupt nicht. Nur Rabiye mit ihrem messerscharfen Blick eines Greifvogels hatte in ihnen das Gesicht von Prifanica entdeckt. Ansonsten war die Idee des Meisters, der das Eisengitter erdacht und mit einer Menge kleiner Schlangen bevölkert hatte, mit Sicherheit, dass es diesem Geschöpf, der uranfänglichen Verführerin, von Gott beschieden war, das Familienvermögen zu schützen. Ob es ein Haus ist oder ein Hof, ein Weinberg oder Wald, ist es eine Immobilie, muss man sie bewachen.

Und gab es bei Prifan etwa nichts zu bewachen? Sie hatte sich schon immer gedacht, dass es nicht möglich war, dass von den Steuern, die sie von den Armen für die Staatskasse eintrieben, nicht der eine oder andere Groschen in Richtung der Tasche von Prifanica abgezweigt wurde. Mein Gott, was für ein Geizhals diese Frau war! Dem Hund gab sie keinen Knochen.

Rabiye hatte einen verrückten Bruder, der älter war als sie. Ihre Mutter, eine tief gläubige und in der Religion gebildete Frau, taufte ihn auf den Namen Navin. Seinen Namen nahm sie aus einem alten Buch über den berühmten Heerführer Jesus Navin oder auch Josua, der nach dem Tod Mose auf Jahwes Wunsch hin die aus der ägyptischen Gefangenschaft zurückkehrenden jüdischen Stämme ins Lande Kanaan führte. Auch wenn er aus einem Buch stammte und von einem großen Mann getragen wurde und vom Namen das Schicksal abhing, Navin blieb kränklich. Irgendwann einmal, als er klein war, er war noch kein Jahr alt, ließ ihn seine Mutter, die jetzige Großmutter Nevena, damals eine junge Frau, im Wäldchen im Schatten liegen, damit er schlief, während sie den Mais auf ihrem nahen Feld bestäubte. Als sie die Reihe beendete und hinging, um nach ihm zu sehen: Hier kein Kind, dort kein Kind, er war verschwunden. Mein Gott! Was war passiert?! Sie fand ihn ins Bächlein hinuntergekullert. Dass er vor etwas erschrocken wäre, konnte nicht sein, weil er noch klein war und keine Angst kannte. Aber von diesem Tag an begann sein Kopf, stärker zu wachsen als der Körper. Sein Blick wurde nicht klüger. Er blieb wie der eines kleinen Kindes. Leer, dumm, irgendwie abwesend. Da war niemand in seinen Augen. Alte Frauen sagten, dass er vielleicht mit offenem Mündchen geschlafen hätte und eine Schlange hineingeschlüpft wäre. Wenn die Schlange klein ist, ein Schlängelchen, gerade geschlüpft, kann es sich in ihm niederlassen und dort bis zum Ende seines Lebens bleiben. Die junge Nevena hörte nicht auf, ihn dazu aufzufordern, ein großes Geschäft zu verrichten. Sie setze ihn auf den Misthaufen und sagte zu ihm: »Streng dich an, Sohnemann, streng dich an, mein Kind!« Das Kind riss die Augen auf, wirr, gehorsam, es ließ es über sich ergehen, hockte da mit seinem an den Hüften gerafften Kittelchen, und wenn es ihm zuviel wurde, dann flossen ein paar dicke Tränen und es schaute so ergeben, dass es einem das Herz zerriss.

Ob es wirklich eine Schlange verschluckt hatte? Wer konnte das schon sagen. Verstand hatte das Jüngelchen keinen. Es war möglich, dass die Schlange ihn den Verstand ausgesaugt hatte. Ach, an diese Geschichte erinnerte sich Rabiye oft, wenn sie an Prifans Zaun vorbeiging.

Aber diese Schlängelchen, die sich auf ihm wanden, waren von einer anderen Gattung. Sie lebten in einer Höhle, voll von unendlich viel Gold und kostbaren Steinen. Das wusste Rabiye auch wieder von ihrer Mutter, Großmutter Nevena. Diese Steine sind Schlangensteine. Einfach so, die Kriechtiere husten und die Steine rieseln aus ihren kleinen Mündern, erzählte sie. »Mein liebes Mütterchen, wie sollen aus Schlangenmündern Napoleone fallen und eine Perle kullern! Es scheint mir eher, dass in der Stellung Prifans die Napoleone klingeln. Ich Hohlkopf, wohin bin ich nur abgeschweift«, tadelte sich Rabiye wegen ihrer neidischen Gedanken und stieß ihre beiden Schwägerinnen Petrevica und Ilijovica weiter in Richtung des Hauses des Verstorbenen. Die drei nahmen je einen von der Decke hängenden Strauß Basilikum, den sie dort im Sommer für jeden Fall zum Trocknen aufgehängt hatten, und überquerten die kleine Brücke. Sie klopften mit der kleinen Kugel, die von einer Bronzehand gehalten wurde und dort zum Zweck des Einlasses hing. Sie warteten, bis man sich drinnen entschieden hatte, ob man ihnen aufmachen sollte. Die Tür quietschte verschwörerisch, es bildete sich ein kleiner Spalt, gerade groß genug für eine Nase.

»Was?«, fragte Prifanica in ihrer hochgestochenen Sprache.

Die drei waren überrascht. Was sollten sie denn jetzt sagen? Man sah es doch. Sie waren mit getrocknetem Basilikum aufgebrochen. Sie wollten den Abend zusammen mit der Familie des Verstorbenen verbringen, wie es sich gehörte. Und sie waren überhaupt nicht auf eine solche Frage vorbereitet.

Die beiden jüngeren Schwägerinnen stellten sich, gerade so als gingen sie in Deckung, hinter Rabiye, die nicht nur, weil sie die älteste von ihnen war, antworten musste. Aber diesmal war auch sie verblüfft. Sie war davon überzeugt gewesen, dass sie eine Pflicht erfüllte, so einfach und alt wie die Welt. Ein Mensch war gestorben, und bevor sie ihn aus dem Haus hinaustrugen, musste man ein letztes Mal bei seinem Kopf sitzen.

»Alsoooo …«, nur soviel konnte Rabiye muhen.

»Was wollt ihr?«, wiederholte Prifanica.

»Ein wenig beim Verstorbenen sitzen.«

»Warum?«

»Jetzt komm schon! Warum wohl? Ja weißt du denn nicht, warum? Auf einen Pfahl sollte man deinen auswärtigen Kopf aufspießen«, dachte sich Rabiye voller Zorn, die als älteste Schwägerin auch für die anderen beiden verantwortlich war.

»Damit er nicht allein bleibt, und damit ihr euch erholen könnt, denn morgen erwartet euch ein schwerer Tag«, sprach, auch für sich selbst unerwartet, die erste Schwägerin unsicher und streckte irgendwie scheu das Basilikum vor. »Damit nicht irgendeine Katze über ihn hinwegspringt und er zum Vampir wird, Frau Prifanica? Oder?«

»Das ist nicht nötig. Wir werden ihn einschließen und uns hinlegen. Katze haben wir keine.« Und ohne abzuwarten, dass sie das Gesagte in ihren einfachen Köpfen verdauten, sammelte Prifanica großmütig die Sträuße der drei Schwägerinnen ein und schloss fest die Tür. Der Schlüssel drehte sich kategorisch im Schloss.

»So ein Hohlkopf! Einschließen wird sie ihn. Und er wird doch zum Vampir werden, nur dass ihr es wisst!«, und Rabiye bekreuzigte sich, ohne daran zu zweifeln, dass ihre Vorhersage eintreffen würde. Ihre beiden jüngeren Schwägerinnen schwiegen. Die Situation war so vertrackt, dass sie über ihren Verstand ging.

Solche Geschichten eben.

Die unfruchtbare Witwe

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