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Die Befreiung des Städtchens

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Vranica war noch ein kleines Mädchen, als das Städtchen seine Freiheit erblickte.

Das Regiment rückte in Reih und Glied, mit Musik und Fahne voran, von Osten her ein und machte sich direkt durchs Zentrum auf den Weg zum Konak. Dahinter schleppten sich die polnische Artillerie und der Tross. Auch wenn sie vorgewarnt waren, verstanden die Leute trotzdem nicht so genau, was da geschah, und rannten ihnen entgegen, um sie zu begrüßen. Die Erregung erfasste alle, Groß und Klein. Sie riefen »Hurra!«, von den Erwachsenen mitgerissen schrien und pfiffen die Kinder auf zwei Fingern. Irgendwo inmitten des zerlumpten Schwarms von jungen Männern leuchteten die weit aufgerissenen Augen des Mädchens, welches nach dem letzten Aufstand mit dem Sturzbach von Flüchtlingen aus Ägäis-Makedonien in die Stadt geraten war. Einsam, mit einer Unmenge an Fragen in seinem noch kindlichen Köpfchen, getrieben vom unbewussten Instinkt jedes Lebewesens zur Freiheit, rannte es zusammen mit allen los, um die Befreier zu begrüßen.

Bevor die regulären Truppen in die Stadt kamen, attackierte am vorhergehenden Abend eine gemischte Schar von Freiheitskämpfern die Kaserne. Dann fiel einer der Anführer der Freischaren. Später begruben sie ihn im Hof der Friedhofskirche neben der Stelle, wo die Knochen der Priester lagen, und auf seinem Grab stellten sie später ein bescheidenes Kreuz auf. Er war aus einem anderen Dorf, aber die Ortsansässigen ließen aus Dankbarkeit für seine Teilnahme an der Befreiung ihres Heimatortes nicht zu, dass sein Name ausgelöscht wurde.

Anarchie und ein Rausch erfassten die Stadt und alle umliegenden Dörfer, die wie ein geschlossener Kragen rund um die niedrigen Abhänge der Berge aufgefädelt waren, noch in den ersten Tagen der Befreiung von fremder Herrschaft.

Es zeigte sich, dass die Freiheit die Kräfte vieler überstieg. Da sie die Freiheit selbst nicht wirklich kannten, konnten sie sie auch niemand anderem zugestehen. Als sie sie erhalten hatten, liefen sie Gefahr, sie in Tyrannei zu verwandeln. Bis gestern noch Sklaven – scheu, unterwürfig, ergeben – gaben sie plötzlich Instinkten und Neigungen freien Lauf, wilden Leidenschaften, Gier und Bosheit, von denen sie selbst nicht ahnten, dass sie sie in ihrer Brust trugen. Die finstere Begierde nach Rache, die zwar lange Jahre verborgen gewesen war, aber vergiftetes Blut aus den Herzen der Entrechteten gesaugt hatte, wuchs in nur einer einzigen Nacht an, rührte sich und erwachte.

Es kam zu einem schrecklichen Herumstöbern in den Häusern der Pomaken, von denen die meisten Hals über Kopf flüchteten, manchen gelang es nicht einmal, Frau und Kinder mitzunehmen. Sie selbst nannten es »Grube«. Plötzlich klaffte zu ihren Füßen ein freier Raum, in den sie ein- und ausgehen konnten, wann immer sie wollten. Ohne Ketten.

Sie entjungferten die Jungfrauen, sie entschleierten die verschleierten Ehefrauen. Ziemlich viele Frauen zerrissen sie in ihrem getrübten Bewusstsein und entfesselten Trieb. In jedem zweiten Hof hing unter den Vordächern ein Galgen, und an dem schaukelte ein Pomake mit heraushängender Zunge.

»Kommandaaaant, Kommandaaaant!«, riefen in der Nacht ein paar Türkinnen, die aufs Dach ihres Hauses gestiegen waren. Sie hielten sich an den Dachluken fest, schrien aus voller Kehle durcheinander. Sie riefen nach Hilfe, zu Tode erschrocken von den Räubern, die darauf drängten, in ihr Haus einzudringen.

Ein Mann, der eine Nähmaschine vor das fremde Tor hinausgeschleppt hatte, konnte sich einfach nicht entscheiden: Sollte er sie zuerst nach Hause schaffen und dann wieder zurückkommen, aber was, wenn er dann nichts mehr vorfand!? Der andere, der ein Fässchen mit Butter geschultert hatte, rannte die Straße hinunter. Ein mitten auf dem Weg liegengelassenes, mit Seilen verschnürtes Bündel mit Bettdecken zog die Aufmerksamkeit eines Dritten auf sich. Er rannte los, doch dann schienen ihm die hineingestopften, bunten Steppdecken zu schwer und letztlich unnötig, er wunderte sich, was er damit anfangen sollte, also versetzte er ihnen schließlich einen Tritt. Da hörte er plötzlich aus Richtung Hühnerstall Vogelgekrächze, ging zurück und schlachtete den erschrockenen Hahn. Weiter oben in einem anderen Hof sah er durch den Zaun Enten – die Mohammedaner aßen gern gebratene Enten und mästeten sie gut. Er warf den Hahn fort und stürzte sich auf die watschelnden Vögel. Am Ende trottete er mit einer Pferdedecke, zwei fetten Erpeln und einem Krummsäbel mit Knochengriff und breitem Stichblatt nach Hause. Erregt und zufrieden, dass er Beute gemacht hatte. Er beschloss, dass dieser Krummsäbel beim Massaker von Batak verwendet worden war, und das erhob ihn selbst in seinen eigenen Augen zu einem Mensch, der gerechte Rache geübt hatte.

Die unfruchtbare Witwe

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