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Adem machte einen Abstecher nach Plovdiv

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Adem machte regelmäßig einen Abstecher nach Plovdiv, um Ware einzukaufen. Nicht sehr oft, weil sein Umsatz nicht weiß Gott wie groß war, aber er fuhr gerne nach Filibe, so nennt man Plovdiv auf Türkisch, um selbst auszusuchen, was er brauchte. Er verließ sich nicht einzig auf die reisenden Händler, die ihn mit Hirse für das Hirsebier versorgten, mit Hefe, Kichererbsen, getrockneten Früchten, Zucker und anderen Kleinigkeiten. Einmal alle drei oder mehr Monate brachten ihn Pomaken mit dem Pferdewagen oder auf dem Pferd über den Gebirgssattel Jundola. Seltener – im Winter – mit dem Schlitten, das Zischen seiner Kufen blieb ihm lang im Gedächtnis. Sie fuhren ihn gegen eine bescheidene Summe, und auf der Rückfahrt bezahlte er sie meistens mit Waren. Das war eine Freude für ihre Kinder, von denen einige, schon große Jungen, ihre Väter begleiteten, um den Brotberuf zu erlernen. So gelangte er zur Eisenbahn in Saranbej. Die parallelen Stahlstränge durchquerten die Thrakische Ebene und gelangten zum großen Handelszentrum, das sich zu beiden Seiten des Flusses Marica ausbreitete.

Er mochte das Warten am Bahnsteig. Der ganze Lärm und das Donnern, das Zischen des Dampfs, wie die Lokomotive ihn in Stößen aus ihrem Bauch entließ, während sie rückwärts fuhr, das Eintauchen in seinen warmen Nebel weckte in ihm die Sehnsucht nach unbekannten Ländern. Die aus den Waggons aussteigenden Reisenden stellten eine seltsame Mischung von Herren dar – sie kamen aus dem Herzen Europas, waren fein, wichtig, strahlten Hochmut aus und hatten sich auf den Weg gemacht, Bulgarien mit dem Zug zu durchqueren. Sie mischten sich unfreiwillig mit der lokalen Bevölkerung, die zwischen Pirot und Adrianopel zustieg, mit dem sinnlosen Aufputz der Frauen, die die westliche Mode kopierten und eher Vogelscheuchen auf dem Melonenfeld glichen als aufgetakelten europäischen Damen. Bauern, die zum ersten Mal einen Zug bestiegen hatten, voll Angst, nicht während des kurzen Aufenthalts übrig zu bleiben, getrieben von der Pfeife des diensthabenden Schaffners, drängten sich an der Tür mit Bündeln, Körben und Vögeln, die kopfüber aufgehängt lautstark mit ihren Flügel schlugen, höchstwahrscheinlich zum Verkauf bestimmt. Koffer, Abholende, Reisende, ihre Ware anpreisende Bahnhofsverkäufer von Obst und frischen Fladenbroten, diese ganze menschliche Geschäftigkeit beschleunigte den Puls seines Herzens.

Die Lokomotive rief die Erinnerung an das Pferd seines Großvaters wach. Aufgeregt wegen des Geröllhangs, der sich im Gebirge in den Weg stellte, Dampf aus seinen Nüstern ausströmend, den ganz mit einer prächtigen Mähne bedeckten Hals gespannt, ein herrlicher, unnachahmlicher fliegender Drache. Dieses Bild ließ das Herz des Albaners schneller schlagen.

Eingeschlossen in einer fremden Stadt, durch einige Berge von seinem heimatlichen Nest getrennt, konnte Adem nur in seinen Wunschträumen reisen. Was würde wohl passieren, wenn er in einen Waggon in Richtung Wien oder Bosporus spränge und nie wieder in den Schönen Talkessel zurückkehrte, in dessen Herz, das kleine Städtchen, sein treues Versteck?

Versunken in seine unmögliche Flucht wartete er manchmal auf den blauen Zug, auf dessen Waggons mit großen Goldbuchstaben »Belgrad-Istanbul« geschrieben stand. Wenn dieser wunderschöne Riesenvogel schnaufend in den Bahnhof einfuhr, schnaubte er einmal warnend, und die Vibrationen seines metallenen Körpers riefen eine leichte Erschütterung hervor, die durch den Schotter zwischen den Stahlschienen lief, über den Gehsteig kroch, in den Venen der Menschen widerhallte und im kaum wahrnehmbaren Schaukeln der Lampen über den Köpfen der Menschenmenge im Bahnhof verstummte. Reisende und Abholende zogen sich ehrfürchtig einen Schritt zurück, und er blieb langsam und feierlich stehen. Dann stiegen aus ihm die Reisenden aus. Damen und Herren, weiß und sauber und vor allem ganz offensichtlich mit ihrem Leben zufrieden. Sodann rannte meist ein Kind mit einem kleinen Wasserkrug los, um ein Becherchen mit Wasser anzubieten. Von diesem Wasser kaufte sich Adem immer einen Schluck. So begann sein Geschäftstag auf dem Weg nach Plovdiv.

Der Markt in der südlichen Stadt war ein kleines Abbild der lärmenden Handelsplätze im Osten. Reichlich laut, herrschte auf ihm eine seltsame Fröhlichkeit, die Adem in seinem Alltag nicht haben konnte, und das bereitete ihm besonderes Vergnügen. Von Natur aus ein schweigsamer Mensch, so wie albanische Männer eben sind, und sogar mürrisch, tauchte er mit für sich selbst unerwarteter Begeisterung in die vielsprachige Menge ein. Die Verkäufer priesen ihre Waren in verschiedenen Sprachen an. Abgesehen von der weichen Stadtaussprache der Plovdiver konnte man auch die schwer verständlichen Mundarten der Bauern aus den zentralen und östlichen Rhodopen hören, Türkisch, Zigeunerisch, Griechisch, Armenisch und Judenspanisch. Und all dieser Lärm mischte sich mit Vogelgekrächze. Zusammengebundene Hühner, Enten, Puten und sogar Tauben in Käfigen mischten ihre federbedeckte Wehklage unter die menschliche Vielsprachigkeit. Obwohl er nicht erwartete, ausgerechnet hier Landsleute zu treffen, sehnte er sich nach seiner Muttersprache, er spitze immer die Ohren, um ihren süßen Klang zu vernehmen, und oft kam es ihm so vor als hörte er bekannte Wörter. Es passierte, dass er stürmisch auf jemanden zurannte – ob Wasserverkäufer oder Gaukler –, um enttäuscht festzustellen, dass er sich doch geirrt hatte. Er konnte nicht glauben, dass er wirklich nicht soeben »Mirëdita!«, was »Guten Tag!« heißt, gehört hatte, dass dies Trugbilder waren, die ihn wohl immer öfter heimsuchen und auf kleiner Flamme braten würden, welche eine seltsame Mischung aus Hölle und Paradies darstellte.

Aber einmal geschah es wirklich, dass er einen Albaner traf. Adem freute sich so von Herzen darüber, dass er den Grund vergaß, weshalb er sich seit vielen Jahren im Schönen Talkessel versteckt hielt, und er begann, den Bergbewohner auszufragen, ob er nicht etwas über sein Dorf gehört habe. Er sagte ihm genau, wie es heißt, zählte die Namen seiner Familienmitglieder auf, von denen er seit Ewigkeiten nichts mehr gehört hatte und nur fieberhaft hoffte, dass sie gesund und munter waren. Gute Reise! Und sie trennten sich herzlich auf der Straße voneinander, auf der dieses kurze Gespräch in albanischer Sprache stattgefunden hatte.

Aber es verging nicht einmal ein Jahr nach diesem Vorfall auf dem Plovdiver Markt, und das Gerücht machte die Runde, dass Adems Sohn in die Stadt gekommen sei. Von irgendwelchen Bergen, wobei er einen Haufen stürmischer Flüsse durchquert und um viele klare Seen herumgegangen sei, er habe auch noch viele Wälder und Felsgrate durchwandert, bevor er ungerufen und unerwartet im Zentrum des Schönen Talkessels auftauchte. Niemand hatte sich bis dahin gefragt, ob denn der albanische Hirsebierverkäufer irgendwo irgend jemanden hatte, ob er »in der Sonne einen Kragen« hatte, was in der hiesigen Sprache eine Familie und ein Haus bedeutet. Er war sozusagen vom Himmel gefallen, ihm stand die Einsamkeit gut zu Gesicht, von der sie sich nie gefragt hatten, wie er sie überlebte. Ach, eigentlich war er geradezu niemand.

Die unfruchtbare Witwe

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