Читать книгу Die unfruchtbare Witwe - Boika Asiowa - Страница 12
Rabiye war der beste Mund
ОглавлениеRabiye war der beste Mund in der Stadt. Ihr entging nichts. Bei ihr fand alles, was passierte, eine sprachliche Widerspiegelung. Nicht nur waren es der Worte viele, sie spielte auch so mit ihnen, dass ein und dasselbe Wort, das aus ihrem Mund kam, einmal gutmütig, ein andermal giftig war. Ihre Ohren hörten auch das, wofür die ganze Stadt taub war. Sie hatte irgendein inneres Ohr, welches sie gleichsam auf die Erde legte, und aus ihrem Schoß zog sie Sturzbäche oder dünne Rinnsale von Stöhnen, Beichten, Klagen und Flüstern.
Rabiye verhängte Zauber und löste Zauber. Und besonders gern erzählte sie davon. Sie ermutigte Leute in ihren Leidenschaften, es kam auch vor, dass sie einen Streit anfachte, aber selten. Das Versöhnen lag ihr mehr am Herzen. Für ihr Leben gern richtete sie einen Mann für eine Frau her. Geduldig brütete sie jede ihr anvertraute Beziehung aus. Wie eine Glucke stand sie nicht vom Gelege auf, ehe die Sache nicht sicher war und man durch die Schale des Eis spürte, wie von innen angeklopft wurde und das befruchtete Schicksal bereit war, sich aus ihr zu befreien. Sie konnte untereinander Zerstrittene aussöhnen. Genauso wie sie es verstand, einen kaputten Kettfaden im Webstuhl zu reparieren. Denn etwas Neues anzuzetteln, das konnte bereits jedes herangewachsene Mädchen, das sich daran machte, eine Matte für ihre Aussteuer zu weben, aber etwas Durcheinandergebrachtes zu richten, das war eine Meisterschaft nur für Eingeweihte.
Als Kennerin von Wollen und Garnen, als anerkannte Weberin, wurde sie zur Vermittlerin des Walachen von Karnobat. Sie machte große Geschäfte mit ihm. Eine Menge Aussteuer webte sie dadurch für Kinder und Enkelkinder. Jeden Markttag führte sie ihm Käufer zu. Wenn es ihm nicht gelang, das für den Verkauf Herangekarrte zu verkaufen, dann ließ er den Rest bei ihr zurück, damit sie darauf aufpasste. Sie enthielt ihrem Freund auch bei delikateren Angelegenheiten den Gewinn nicht vor. Rabiye war keine Unterstützerin vollkommener Keuschheit und hielt es nicht für eine Sünde, wenn beide Seiten der Leidenschaft befriedigt wurden. Einerseits verbrachte der Walache aus Karnobat seinen nicht leichten Aufenthalt in der fremden Stadt fröhlicher, andererseits lächelte das Glück einer jungen Frau, deren Mann sie nicht ausreichend zu schätzen wusste. Rabiye trat als die dritte zufriedene Partei auf. Nach einem guten Aufenthalt, schnürte der Wollhändler die Säcke mit Ware für seine Vermittlerin auf. Und wenn sie einmal das Gewissen quälen sollte, dann hinderte sie ja nichts daran, zur Kirche zu rennen und zu beichten. Alles tat sie für Gesundheit und gute Fruchtbarkeit.
Rabiye lebte zwei Häuser weiter von Adems Hirsebierladen. Wenn es schon Männer auf dieser Welt gab, dann war es gerade ihrer Meinung nach nicht möglich, dass sich die Frauen nicht um sie drehten. Der Mann ist ein halber Mensch, und die Frau ist ein halber Mensch. Wenn ein Mann eine Frau heiratet, dann wird er ein ganzer Mensch, resümierte Rabiye. Nun, er muss nicht heiraten, aber die eine Hälfte sitzt nicht ruhig da, war ihr kategorischer Schluss. Sei sie nun weiblich oder männlich, sie sucht ihre andere. Wenn sie aber Ruhe gibt, dann ist das nicht Gottes, sondern Teufelswerk, sagte die Allwissende scharf. Rabiye hatte die Verpflichtung, die ihr von höherer Stelle auferlegt worden war, beim Zusammenfinden der beiden Hälften zu helfen. Die Jungen brauchten keine Brautwerber wie sie. Aber waren da eine Witwe und ein Witwer, eine Ausgestoßene oder eine nicht mehr taufrische Jungfrau, ein alter Junggeselle, sie wusste, dass es nicht ohne fremde Einmischung abgehen würde, und von Herzen tat sie alles, was nötig war, für die Paarbildung. Das aber war eine große Meisterschaft, ein Können, das nicht jedem gegeben war.
Deshalb wollte sie abends, wenn alle Tore zugeworfen wurden, für ihr Leben gern wissen, was da drinnen vor sich ging hinter den rauchgeschwärzten kleinen Vorhängen von Adems Hirsebierladen. Ihn direkt anzusprechen, wagte sie nicht. Sie schämte sich nicht, aber es war auch nicht ihre Art. Und außerdem gehörte der Albaner zu diesen Menschen aus Stein, an die man nicht leicht herankam.