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Adem

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Mittelgroßer Kopf. Dunkeläugig. Kantiges Gesicht. Hände mit langen Fingern wie bei einem Dudelsackspieler und festem Griff. Mit einer weißen Wollmütze auf dem Scheitel, die man in seiner Muttersprache Kelesh nennt. Die Augen – scharfe Dolche. Man kann nichts darin lesen. So sehr man auch hineinspäht. Nach draußen hin schneiden sie, nach drinnen, in ihn hinein, lassen sie niemanden vor. Seine ganze Gestalt wie aus Marmor gehauen und danach jahrzehntelang vom Regen ausgewaschen und poliert. Erstarrt. Ohne Bewegung auf den Jochbeinen. Hinter seinem eingemeißelten, breit eingefassten dunklen Mund blitzten kräftige weiße Zähne auf. Das passierte beim Aussprechen bestimmter Wörter. Ein Lächeln zeigte sich nie auf seinem Gesicht. Wenn es ein Lachen gab, dann verschwand es irgendwohin. Unter der Haut ergoss es sich über die Mundwinkel, wonach es sich irgendwo in der Tiefe verbarg. Zorn streifte ebenfalls nicht offen umher. Auch andere Gemütsregungen ließen sich nicht an der Oberfläche blicken. Im Leben dieses Mannes war die Zeit stehen geblieben, ihn umgab eine rätselhafte Ruhe, die ihn von den anderen trennte und ihn gleichsam mit einer unsichtbaren Rüstung bedeckte. Fremde Augen konnten nicht sehen, was dahinter geschah.

Immer ein und dieselben Bewegungen. Er dreht am Hahn des Fasses mit Hirsebier, wartet, dass sich einige Gläser füllen, die er mit einer Hand nacheinander unter den Strahl hält. Er reicht sie den Kunden. Er räumt das Geld vom Tresen in die Schublade, die er mit der Hüfte wieder zumacht. Er wischt das heruntergetropfte Wasser auf. Er geht zwischen den Tischen hindurch, wenn neue Besucher hereingekommen sind. Und wieder dasselbe. Es wiederholt sich jede Stunde und jeden Tag. Ein und dasselbe. Ein und dasselbe von morgens bis abends. Wie die Tropfen aus einem nicht richtig zugedrehten Wasserhahn. Wie viele Jahre schon? Niemand konnte sich mehr erinnern, wann Adem in der Stadt aufgetaucht war. Sie begannen, mit ihm und seinem Hirsebierladen zu leben wie mit etwas in einem längst vergessenen Frühling aus dem Erdboden Erwachsenen. Die Kinder überquerten in der großen Pause die Straße, die die Schule und seine Konditorei voneinander trennte, und gaben ihr Kleingeld bei ihm aus. Gegen ein Ei, noch warm aus dem Nest stibitzt, gab der Albaner eine Schachtel Zigaretten an die Rauchanfänger. Die nächste Generation Schüler – dasselbe. Es änderten sich die Zigarettenmarken, Adem blieb an derselben Stelle.

Bis spät am Nachmittag hielten sich seine Kunden. Manchmal wurden sie von der Dunkelheit überrascht. Er trank nicht, aber es kam vor, dass er den länger Gebliebenen einen Schnaps einschenkte. Danach brach jeder nach Hause auf. Der Arnaute blieb allein zurück. Niemand verschwendete auch nur einen Gedanken an ihn. So als sei er dazu geboren worden, um sie in ihre Häuser zu verabschieden, wo ihre Frauen, Kinder und die Armut auf sie warteten. Und er? Die Freundschaft zu den dreien – Tschibuk Tonka, Aydın Dinka und Adžisale – reichte bis hier, bis zur Tür seines Hirsebierladens. Bis zu den Gesprächen über den Krieg, der auf verschiedene Art und Weise für sie schicksalhaft geworden war. Sie liehen sich oft Geld von ihm, und er gab ihnen immer. Das war’s.

Adem konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn je jemand in sein Haus eingeladen hätte.

Die Tage kullerten dahin, die Jahre wickelten sich auf wie um den Mittelpfahl des Dreschbodens. Über sein Vaterland hörte man nichts.

Das Leben floss wie auch zuvor dahin. Der Umsatz im Hirsebierladen – ebenfalls. Bescheiden, immer ein wenig, er sprudelte nicht, aber er tropfte. Für Brot reichte es.

Die unfruchtbare Witwe

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