Читать книгу Die unfruchtbare Witwe - Boika Asiowa - Страница 15
Radul
ОглавлениеRadul tanzte allein. Die Trommler in der rechten Ecke, sein bester Freund in der linken, den Ellenbogen auf den Wirtshaustresen aufgestützt, das nicht leergetrunkene Glas vergessen, beobachtete er den Tanz seines Altersgenossen. Rundherum an der Wand war es voll mit Kindern aus dem Viertel, die von der mitreißenden Musik angezogen wurden. Die Trommeln und Kegeloboen ließen die Fenster erzittern. Mit bis zum Platzen aufgeblasenen Backen, die Schweinsblasen ähnelten, und geschlossenen Augen holten die beiden Oboisten aus ihren Instrumenten eine den Atem stocken lassende Melodie heraus, stoisch unterstützt von einem Paar Trommeln. Radul war in den Tanz versunken und man sah, dass nichts anderes für ihn existierte. Die eine Hand hinten im Kreuz, die andere wie eine Fackel nach oben gereckt, den Kopf zur Seite geneigt, mit zu Boden gerichtetem Blick beschrieb der junge Mann Kreise in der Mitte des Ladens. Er ging in die Knie, rief laut, hielt kurz inne, warf irgend jemandem den einen oder anderen giftigen Scherz zu und fuhr fort. Die Augen seines Freundes und die aller Kinder leuchteten vor Begeisterung wegen der Leidenschaft, die von seinem jungen Körper ausgestrahlt wurde und die Kneipe mit heißem Atem erfüllte.
Tags darauf würde Radul an die Front fahren. Er hatte einen Einberufungsbefehl und sein Regiment zugewiesen bekommen. Es stand ihm bevor, seine junge Frau zu verlassen, und der Gedanke daran presste einen scharfen Schmerz aus seinem Herzen. Er wollte und konnte vor niemandem zugeben, dass er sich gar nicht so sehr vor dem Tod fürchtete. Im Übrigen, welcher junge Mensch fürchtet sich schon vor dem Sensenmann? Er ist so weit weg von ihm, so als existierte er überhaupt nicht. Obwohl, wenn ein Krieg ausbricht, dann ist niemand der Jugend so nah wie der Tod. Und es gibt keinen wahrscheinlicheren Besucher in den Schützengräben als ihn. Die Wahrheit war, dass Radul Angst hatte, seine Frau zu verlieren.
Eifersucht nagte an ihm und ließ ihn nicht in Frieden. Mit Vranica war er schon einige Jahre lang kinderlos verheiratet, und das säte eine gewisse Kühle zwischen ihnen. Die Lust war vergällt. Bei ihm wurde diese Kühle von seiner Mutter verstärkt, die sehr bald begann, leise, aber ausreichend deutlich zu wiederholen, dass er ohne Nachkommen bleiben würde. Und Radul gelang es irgendwie nicht, seine Frau gegen sie zu verteidigen. Das war nicht nur in ihrem Haus nicht üblich, nicht nur bei seiner Mutter, die gebieterisch war und keinen Widerspruch duldete, die Männer hatten einfach nicht gelernt, ihre Frauen zu bedauern. Sie wussten nicht, wie sie sie verteidigen sollten, sie fühlten sich peinlich berührt, hatten Angst, schwach und verzärtelt auszusehen. Was hätte es ihn gekostet zu sagen: »Hör mal, Mutter, das geht dich nichts an. Lass meine junge Frau in Frieden.« Oder etwas in der Art. Naja, damit diese Frau erkannte, dass ihr Mann hinter ihr steht und nicht zulässt, dass man sie an ihrer schwächsten Stelle angreift.
Gerade diese ihm bewusst gewordene und mit niemandem geteilte Sünde schlug Radul innerlich ans Kreuz, und die Zukunft schreckte ihn noch mehr.
An diesem Abend hatte er sich in den Tanz wie in ein reinigendes Feuer gestürzt, und er wollte nicht, dass es zu Ende ging. Die Kegeloboen zerrissen sein Herz, und die Trommeln fachten die Flammen in seiner Brust weiter an.
Radul fuhr an die Front. Für seine Mutter und seine Frau war er seit dem Tag, an dem sie beide ihn verabschiedeten, einfach im Krieg, sie waren halbtot vor Angst, der Postbote könnte auch an ihre Tür klopfen. Weil viele Frauen in dem Städtchen sich schnell schwarze Kopftücher umbanden. Vorzeitig verwaist versammelten sie sich am Friedhof. Ihr Schwarm wurde immer größer. Wie Krähen schlugen sie mit den Flügeln, beweinten ihre Männer über ihren nicht vorhandenen Gräbern, heulten und klagten. Sie holten Priester, damit diese für sie rund um die alten steinernen Familienkreuze Totengebete lasen.
Radul wurde getötet. Er fiel zu Kriegsende an der Front.