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Individuum – Einheit von Körper und Geist

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In esoterischen Kreisen und östlichen Heilslehren gibt es die verbreitete, totgeredete und vom Denken zerfranste Vision von Einklang, Harmonie und Ganzheitlichkeit. Selten wird vermittelt, wie simpel sie sich erreichen lässt (was nicht bedeutet, dass es einfach ist) und vor allem wird so gut wie nie gezeigt, wie es funktioniert. Meist wird nur der Geist betrachtet und von Meditation, innerer Wesensschau, Versenkung, Reflektion, Gelassenheit und Achtsamkeit palavert.

Da ist viel dran; schade, dass der westliche Mensch nicht viel damit anfangen kann. Seine Kultur ist bereits zu verkopft. Er betrachtet diese Konzepte rein geistig, vernünftig, logisch, abstrakt. Verständlich, dass er kaum davon profitiert und die Geduld verliert. Der Geist kann sich so viel im Kreise drehen, wie er will – solange er nicht abtaucht in die Tiefen des Körpers, wird er nichts erreichen, sondern nur ins Leere greifen. Das akademische Problem.

Sehe ich die Menschen unserer Gesellschaft, sehe ich meist entnervte Geister in vernachlässigten und triebgesteuerten Körpern – eher Dividuen, denn Individuen. Zweigeteilte Menschen, bei denen Körper und Geist nicht gleichberechtigt ausgebildet sind und den Bezug zueinander verloren haben. Von Harmonie keine Spur, geschweige denn von Wirksamkeit.

Als Personal Trainer habe ich Klienten betreut, die besser über Diäten Bescheid wussten als ich. Hochintelligente, studierte Menschen, die die Nährwerte der meisten Lebensmittel auswendig herunter beten konnten und trotzdem zu viel futterten und meist nur Mist – wider allen Wissens, trotz allen Denkens. Einige, die ich vor allem mental trainiert habe, waren bereits bei Psychologen und Therapeuten oder noch schlimmer: selber welche.

Das symbolisiert das Problem unserer verkopften Gesellschaft: Psychologen mit Einser-Diplom, die ihr eigenes Leben nicht im Griff haben. Das Denken fährt Achterbahn und überfrisst sich an Gedankenballast, während der Körper keine Ahnung davon hat und schlicht das genetische Notfallprogramm für unbeherrschte Körper ausführt und alle Pläne durchkreuzt: „Meeeeep!“ Ist die Firewall zu stark, ist der Gedanke zu schwach.

„Das Programm wird auf die ursprünglichen Einstellungen zurückgesetzt und folgt weiterhin Mutter Naturs tierischem Willen. Vielen Dank für Ihre Kontaktaufnahme. Probieren Sie es doch später noch einmal, wenn Sie einen entsprechenden Zugang zum Körper installiert haben.“

Da kann einem der Körper ganz schön auf den Geist gehen. Der heutige Mensch sitzt in seinem Körper wie die fürsorgliche Marge Simpson vor einem Computer und denkt, sich zu googlen sei Schweinskram. Sie drückt ein paar Tasten und schwupps hat sie zwei Spülmaschinen und eine Mikrowelle bestellt. Klar, dass sie nach dieser Watschen der virtuellen Wirklichkeit die Finger davon lässt – wie der moderne Mensch von seinem Körper. Aus der potenziellen Symbiose wird eine kommunikationslose Koexistenz – wobei der Geist schier verzweifelt, weil er nichts zu bewegen vermag, und der Körper macht, was er will, weil vom Denken des Geistes nichts durchdringt.

Das ist ein Schutzprogramm des Körpers. Er ist reifer als der Computer von Marge Simpson, der nicht die Unbeholfenheit ihrer wackeligen Annäherungsversuche an das Internet erkennt und sie einfach machen lässt. Hätte Sie nicht selbst die Bremse gezogen, wäre sie ruck zuck verschuldet und ihre Existenz zerstört. Doch wer ist schon so gewissenhaft wie Marge Simpson?

Dem menschlichen Körper würde das nicht passieren. Er ist es, der die Bremse zieht, damit der Geist nicht mit ihm durchdreht und beide ins Verderben zieht. Er lässt nichts durchgehen, was ihm zu labil und verkopft erscheint. Deswegen springt er auf Autopilot und lässt das Programm laufen, was sich in Jahrmillionen der Evolution bewährt hat und in seiner Hardware, den Genen verankert ist. So entsteht der Schlamassel unserer Zivilisation: Geistig geben wir Vollgas, in einem Körper, der vollbremst.

Daraus entstehen Zivilisationskrankheiten, Burnouts, Entfremdung von der Natur, hässliche schwache Körper und damit einher gehend Minderwertigkeitskomplexe und ein verklemmtes Verhältnis zur Sexualität, die im Geheimen umso pervertierter den Druckausgleich sucht.

Es ist die Härte der Natur, dass sie den Geist zu nichts zwingt – die Gedanken sind frei. Aber solange wir es nicht schaffen, mit dieser Freiheit natürlich (also konstruktiv und im Einklang mit dem Körper) umzugehen, bleiben die Gedanken auch frei – also ohne Einfluss. Maximale Freiheit bedeutet keinerlei Bindung, weder zur Realität noch zum Körper. Dann enden wir beim komplett vergeistigten Subjekt, das sicher abstruse weltfremde Kunst zu schaffen vermag, aber kaum lebensfähig ist – wenn es nicht von einer wohlhabenden Gesellschaft als entrücktes Maskottchen durchgefüttert wird.

Das gipfelt beim Kurzschluss, wenn sich das System aufhängt und der Mensch gleich mit. Wenn es zu viel wird, strecken Körper und Geist die Waffen, dann haben Selbstzerstörung, Schlaganfall, Herzinfarkt, Krebs und Co freie Bahn. Das beginnt bei Jugendlichen, die sich die Arme zerschneiden, und endet mit dem Goldenen Schuss auf der Bahnhofstoilette.

Chaos und Kosmos, Zerstörung und Entwicklung kämpfen in uns Tag und Nacht gegeneinander an. Alles in uns stirbt und entsteht ständig neu. Zellen, Knochen, Neuronen, Hormone, Gedanken. Im Laufe unseres Lebens wird alles regelmäßig und komplett ausgetauscht – von Geist bis Fuß, ein Fluss der Energie. Wenn Chaos und Zerstörung überhand nehmen, geben Kosmos und Entwicklung irgendwann auf.

Mutter Natur investiert keineswegs in jedes einzelne Lebewesen. Sie hat kein Problem damit, Myriaden von Lebewesen zu opfern, wenn sie zu schwach und ineffizient sind oder die Umstände es erfordern. Hat uns der Lebenswille einmal verlassen, dann geht es rapide bergab – wie beim Frischrentner, dessen Abschiedsuhr zum Sargnagel wird.

Leider geil, fett & faul

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