Читать книгу Leider geil, fett & faul - Christian Zippel - Страница 22
Exercitatio artem parat – Übung macht die Kunst
Оглавление„Herausragend zu sein ist eine Kunst, die man durch Übung und Angewöhnung erwirbt. Wir handeln nicht recht, weil wir Tugend besitzen oder herausragend sind, sondern wir sind so, weil wir recht gehandelt haben. Wir sind, was wir immer wieder tun. Herausragend zu sein ist also kein Akt, sondern eine Angewohnheit.“ Aristoteles
Zu Leben ist eine Kunst – dicht verflochten mit der Beherrschung unseres Körpers. Sie äußert sich darin, wie wir morgens aufstehen, unsere Zähne putzen und die Kaffeetasse zum Mund führen. Wie wir gehen, Auto fahren und tanzen. Wie wir Notizen schreiben und uns Kuchen einverleiben. All das können wir und doch liegen Welten dazwischen.
Auf das „wie“ kommt es an; darauf, ob wir es uns mit krummer Haltung, zitternden Händen und stumpfem Blick abringen oder mit Esprit, Eleganz und Stärke vollbringen – wodurch selbst kleinste Tätigkeiten erfüllend sein können, zudem eine Herausforderung, nicht nur schön anzusehen, sondern auch effizient und wirksam.
Die meisten Menschen überschätzen einmalige Handlungen und unterschätzen, wie mächtig eingeschliffene Verhaltensweisen unser Leben, unseren Körper sowie Geist prägen – und herunterziehen können. Einer meiner Bekannten – Hi George – ist von guter Veranlagung, doch sein Verhalten hatte sich dermaßen der Agilität einer Nacktschnecke genähert, dass auch sein Selbstbewusstsein, Aussehen und Vorgehen sich kaum noch davon unterschied. Die Beine waren Stümpfe, des Beugens kaum mächtig. Selbst wenn es schnell gehen sollte, waberte er gemächlich wie eine Lavalampe durch den Gelee der Raumzeit – mit scheinbar stoischer Gelassenheit, doch dahinter war nicht viel Selbstsicherheit. Er folgte eher der Maxime: Nur nicht auffallen, möglichst in Zeitlupe bewegen – so sehen mich die Raubtiere nicht.
Zudem war er furchtbar nett – selbst wenn es nicht angemessen war; manchmal bis zur Selbstverleugnung. Das hatte zur Folge, dass andere Menschen ihn so akzeptierten, da von ihm kein Widerstand kam und er immer brav machte, was man ihm auftrug. Das bestätigte sein Verhalten und das wurde zu seinem Verhängnis.
Im Laufe der Jahre wuchs er zusehends in die Breite und jede Nudistenschnecke wäre ihm davongekrochen. Während ich mich nach dem Training duschte und bereits wieder anzog – zog er noch an den Schnürsenkeln seiner Sportschuhe. Seine vermeintlichen Freunde und Kollegen hatten tatenlos zugesehen, wie es bergab ging.
Zu viel Akzeptanz ist eine Krankheit – stillschweigende Bestätigung, die selbst schlechte Entwicklungen fördert. Hat sich destruktives Verhalten derart verhärtet, helfen einfache Worte so viel, wie gegen einen Waldbrand anzupinkeln. Der Körper muss überzeugt werden – ein schweres Unterfangen, bei solch einer Schutzschicht. Heutzutage wärmt Körperfett nicht mehr, es schützt vor sozialer Kälte. Zudem ist es schwierig, einen Menschen wieder zu emotionalisieren, der derartige Kräfte nur noch aus dem Fernseher kennt. Mit Zuckerbrot kommt man da nicht weit. Doch die Peitsche hätte es noch verschlimmert.
Tatsächlich musste ich einfach nur ehrlich sein – denn das war schon seit Jahren niemand mehr zu ihm. Gnadenlos ehrlich. Nichts ist härter als das. Er selbst hatte seine Behäbigkeit und Fülle vollständig verdrängt – unter dem Schein der Gelassenheit und weiten Hemden. Erst als ich ihn über einen Monat hinweg, Tag für Tag immer wieder auf sich selbst und sein Verhalten aufmerksam machte, ihm im Restaurant das Brot und die Beilagen vom Teller nahm (und sie aufopferungsvoll vernichtete), ihm reines Wasser einschenkte und intensiv mit ihm trainierte, taute der Fettpanzer.
Vieles empfand er als Beleidigung – weil es seine Gewohnheit torpedierte, mit der er sich identifizierte. Doch nach einigen Tagen wurde ihm bewusst, dass eigentlich nicht ich ihn beleidigte, sondern dass die eigentliche Beleidigung die seiner Mitmenschen gewesen war, die ihm alles durchgehen ließen. Zu erzählen, dass alles in Ordnung ist, obwohl es bergab geht – das ist die eigentliche Lüge. Vor allem lernte er aber, dass er selbst dafür verantwortlich ist.
Von da an wurde es leicht. Er stellte sein Denken um, wurde kritischer, schlagfertiger, schlanker, agiler und verblüffte alle. Tatsächlich steckt ein Kämpfer in ihm, wie ich es selten erlebt habe. Eigentlich verständlich: Wer einen mächtigen Schweinehund hat, der kann auch mächtig stark werden, wenn er den Schweinehund erzieht. Wir hatten eine tolle Zeit und wurden Freunde.