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Natura non facit saltus – Die Natur macht keine Sprünge

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Zumindest keine großen. Vielleicht gibt es hier mal eine Mutation und dort mal ein Känguru, aber sonst ist die Natur eher konservativ. Sie lässt sich Zeit – ganz im Gegensatz zur rasenden Kultur. Die überschlägt sich fast mit Ihrer Entwicklung; bevor etwas in ist, ist es schon wieder out. Die Technologie revolutioniert sich täglich, die Daten potenzieren sich stündlich und die Meinungen ändern sich mit dem Wind. Noch vor knapp 150 Jahren gab es nicht einmal elektrischen Strom, da mussten die Menschen noch aus dem Fenster fernsehen. Heute hat jeder seinen Flachbildschirm mit Heckspoiler, W-Lan-Kabel und Online-Onanie.

Womit wir beim Thema wären. Alles ist so leicht geworden, so anspruchslos, so downloadbar. Eine Gesellschaft von Fahrstuhlfahrern und Rolltreppenzombies. Tag für Tag parken wir unseren Körper wie eine vollgemüllte Aldi-Tüte auf dem Bürostuhl, stopfen ihn mit Fast Food voll und glotzen auf den Bildschirm, bis die Augen kieselklein sind und der Bauch den Gürtel sprengt. Abends landen wir in der Sitzkuhle des heimischen Sofas, den Kompromiss im Arm, die Fertigpizza auf dem Schoß: Gehirn ab- und RTL II anschalten. Wir sind genau da, wo der innere Schweinehund uns haben will – was belegt, wie schlecht es um unsere Körperbeherrschung bestellt ist.

Ficken, Fressen, Faulenzen – das wollen unsere tierischen Triebe. Sie sind das genetische Notfallprogramm, das uns Energie sparen sowie die Art- und Selbsterhaltung fördern soll. In einem führungslosen Körper kommt es voll zur Geltung. Eigentlich eine feine Sache, nur etwas veraltet. Das liegt an unseren Genen, die sich nur schleppend entwickeln – weil sich die natürlichen Lebensbedingungen normalerweise auch kaum verändern.

Als die Menschheit den Sprung von der Natur zur Kultur wagte, verließ sie rein natürliches Terrain und tauschte es gegen Klimaanlagen, Youtube und McDonald‘s. Wir sind verdammt modern. Nur schade, dass unser Körper noch in der Steinzeit lebt. Die Gene wollen von dem Zivilisationshype nichts wissen. Seit knapp 10.000 Jahren haben sie sich so gut wie nicht verändert. Das ist normal und auch gut so. Wenn die Gene nicht so stabil wären, hätten sich im Laufe der Jahrmillionen niemals derart komplexe und stabile Lebewesen entwickeln können.

Die paar Epochen sind evolutionär betrachtet auch nichts weiter als ein Wimpernschlag im Augenblick der Zeit. Zudem kann alles so schnell sein Ende finden, wie es auch begonnen hat. Wenn uns der Saft ausgeht, die Homo-Party ein plötzliches Ende findet und wir uns in der Wildnis wieder ums nackte Überleben prügeln, dann werden wir froh sein, dass unser Körper bestens darauf ausgelegt ist. So richtig offline blüht er auf.

Dann macht alles wieder einen Sinn, dann wird der Schweinehund zum Superhund. In einer Welt, in der das Gemüse nicht mehr im Supermarkt wächst und Sardinen in Dosen leben, ist es schwierig, ausreichend Nahrung zu finden. Da überlebt nur, wer alles frisst, was ihm nicht entwischt – am besten schnell verfügbare und hochkonzentrierte Energie in Form von süßen Früchten und tierischem Fett. Die liefern viele wichtige Nährstoffe gleich mit.

Salz wäre auch nicht verkehrt. Schließlich stammt alles Leben aus dem Meer und selbst heute noch ist die Salzkonzentration in unserem Blut mit der in der damaligen Ursuppe vergleichbar. Deswegen haben wir einen starken Trieb nach allem Salzigen – weil es überlebenswichtig ist. Früher waren die weißen Körner kostbar wie Gold, jedes einzelne wurde geschätzt. Heute portionieren wir Salz mit dem Suppenlöffel – was millionenfach zu Bluthochdruck führt, dem Hauptrisiko-Faktor für Herz-Kreislauferkrankungen, die wiederum der Top-Killer in unserer Gesellschaft sind.

Eigentlich reicht es, alles halbwegs Verdaubare mit ordentlich Salz oder Zucker zu vermischen, es bunt zu verpacken und die Menschen werden es kaufen und fressen. Das ist bereits Realität. Die Realität, in der der Schweinehund Sie einkaufen führt und Sie das greifen lässt, was ihm sein Steinzeit-Instinkt als lebenswichtig aufdrängt – aber heute nur noch eine Mogelpackung ist.

Wo sind nicht Unmengen an Süße und salziger Würze zugesetzt? Sind die Regale nicht voll von künstlichen Erzeugnissen aus der Fabrik? Sehen Sie nicht die Menschen im Supermarkt, wie Sie Müll kaufen und sich dadurch erniedrigen lassen – während der Schweinehund dahinter steht, die Leine fest in der Hand: „Ach, hab ich nicht ein braves Menschlein?“

Einverleibte Energie sollte auch niemals unnötig verschwendet werden. Was heute für Rohstoffe gilt, galt damals für Körperfett – und wird es auch wieder, wenn der Zivilisation der Stecker gezogen wird. Dann ist das Faulenzen des Schweinehundes wie das Umweltbewusstsein des modernen Menschen – ressourcenschonend und im Ernstfall überlebenswichtig.

28 Tage später, wenn es kaum noch Artgenossen gibt und das Make up alle ist, werden romantische Chat-Abende bei LED-Schein, frivoles Floating-Vergnügen und das ekstatische Liebesspiel mit lactosefreier Schlagsahne nicht mehr zeitgemäß sein. Dann wird einfach nur gefickt – schnell, hart und ohne die Telefonnummern auszutauschen.

Früher war das angemessen und die einzige Möglichkeit, um dem ollen Neandertaler seine Grenzen aufzuzeigen, der u.a. ausgestorben ist, weil seine Triebe nicht so stark waren wie die unserer Vorfahren. Ohne Ficken, Fressen und Faulenzen wäre der Mensch nicht da; da, wo er jetzt sitzt – auf einem überbevölkerten Planeten mit einer gewaltigen Junk Food- und Süßigkeiten-Industrie, der körperschonenden Onlinewelt und kuscheligen Sesseln. Die Triebe haben sich das Leben wunderbar eingerichtet und die Erde zu ihrem Wohnzimmer, zu ihrer Komfort-Zone umgestaltet.

Doch viel Schlechtes entsteht, indem man Gutes übertreibt. Wissen Sie, was das Schlimmste für einen Trieb ist?

Wenn er sein Ziel erreicht und darüber hinausschießt. Wenn er eine Welt voll Zucker, Salz, Fett, Spaß und Komfort geschaffen hat – und dadurch das Leben zerstört, welches er in alle Ewigkeit erhalten und verbreiten will. Gesellschaften und Menschen sind immer dann am stärksten, wenn sie es schwer haben, wenn Sie in Mangel und Verzweiflung, aber Hoffnung und Sehnsucht leben, dann sind Triebe wichtig, denn sie machen stark und wollen die Schwäche überwinden, so wie es im Hagakure, dem Ehrenkodex der Samurai, hinter den Blättern geschrieben steht:

„Der Weg des Kriegers besteht in der Verzweiflung. Einen verzweifelten Mann können zehn oder mehr Männer nicht töten. Ein gewöhnlicher Geist wird nichts Außergewöhnliches erreichen. Werde wahnsinnig und verzweifle!“

Umdenken oder untergehen

Es ist kein gutes Zeichen für eine Zivilisation, wenn sie derart in Dekadenz versinkt und solche Luxusprobleme hat wie wir. Aber wie soll man auch entscheiden, mit welchem Wagen man die 500 Meter zur nächsten Fetty-Fort-Klink überwinden will, um sich den Body pimpen zu lassen? Den Porsche oder Benz… Ach doch lieber den Hummer, es könnte ja plötzlich ein Erdbeben geben, die polierten Straßen der Gartenstadt platzen auf… und wer dann nicht gewappnet ist, ist selbst schuld.

Auch die Menschen, die nicht mit dem goldenen Stock im Allerwertesten geboren wurden, haben ihre eigene Form der Dekadenz etabliert, die dem einfachen Schweinehund genehm ist: Junk Food, Billigbier und Rudelbums.

Wo man hinschaut, die gleichen Zeichen: Wir werden wir fett, faul, schwach, krank und geil. Das werden wir nicht, das sind wir bereits. Yippie Yah Yei Schweinebacke – good job, wieder einmal eine hochmütige Kultur in den Abgrund getrieben.

Zumindest wird das geschehen, wenn wir dem inneren Treiben nicht Einhalt gebieten und lernen, es zu kultivieren. Aus unserem Inneren wird diese Erkenntnis nicht kommen. Es liegt nicht in der Natur eines Triebes, Maß zu halten. Er will nur seinen Willen durchsetzen, um jeden Preis – das ist der Weg des Überlebens und deswegen stehen wir an der Spitze der Erde, weil wir die stärksten Triebe haben. Wir wollen alles erreichen, besitzen und beherrschen. Zu viel ist nicht genug.

Doch maßloses Wollen schafft ein Fass ohne Boden. In einem Lebensraum mit beschränkten Ressourcen der direkte Weg in die Verdammnis. Wollen wir aus diesem Schlund heraus, sollten wir lernen uns selbst zu erreichen, besitzen und beherrschen. Je mehr wir das mit uns selbst, mit unserem Körper schaffen, desto stärker, stabiler, erfüllter und freier werden wir leben und desto weniger werden wir den Trieb verspüren, mangelnde Selbstbeherrschung durch äußeres Besitz-, Erfolgs- und Machtstreben zu kompensieren. Es liegt an uns, an unserem Geist, nun Einhalt zu gebieten und menschliche Reife zu zeigen. Wir legen das vierte „F“ des Lebens oben drauf: Führen.

Wir wissen, dass wir bei weitem nicht mehr so viel Jagen, Laufen und Raufen müssen und das wir nicht kurz vor dem Verhungern, Nährstoffdefiziten oder einem harten Winter stehen. Wir haben den Sommer im Boiler und den Winter im Schrank und können jederzeit hinein greifen, um uns ein Wurstbrot oder Rührei mit Röstzwiebeln, Pilzen, Paprika, Speck und Emmentaler zuzubereiten. Im Wohnzimmer warten bereits die Süßigkeiten auf uns und im Büro harren die versalzenen Erdnüsse ihrer Bestimmung. Verhungern ist da unwahrscheinlich.

Das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen unserer Zeit sterben nicht, weil sie verhungern, sondern weil sie zu viel futtern. Der Schweinehund beißt sich in den Schwanz und frisst sich selbst zu Tode. Heute überlebt, wer Maß halten kann, indem er den Trieb des Fressens beherrscht und an seinen Energieverbrauch anpasst. Sich in etwas zu verbeißen erfordert Stärke – weit mehr noch benötigt man zum Loslassen und Verzichten.

Bei einem Überangebot an Nahrung ist es katastrophal, auch noch zu faulenzen, aber genau das ist unsere Leidenschaft – die nur Leiden schafft. Auch hier hält der Schweinehund noch die Leine in der Hand. Bewegt wird sich gerade mal beim Einkaufen, Schlafen und Anziehen. Den Rest machen Maschinen, gelebt wird online und Sport gibt’s nur noch von Ritter. Wir landen beim bereits genannten Problem. Dabei verfetten wir nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich – durch und durch.

Um unsere Organe sammelt sich das sog. Viszeralfett, das die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken steigert. Zudem verfettet unser Blut, was über kurz oder lang zu Verstopfung führt. Wer sich bereits mit darmüblicher Verstopfung auskennt, kann sich im Ansatz vorstellen, was passiert, wenn im Herz oder Hirn etwas verstopft. Neben Krebs, Infarkt, Schwabbelbauch und Schlaganfall führen Fressen und Faulenzen auch zu Diabetes, Karies, Bluthochdruck, Osteoporose und Stumpfsinn.

Eigentlich hängen alle Zivilisationskrankheiten mit unseren unkontrollierten Steinzeit-Trieben zusammen, die nun auf eine Welt treffen, die sie sich aus ihren Sehnsüchten erschaffen haben, aber gar nicht daran angepasst sind.

Die Natur ist so erfolgreich, dass sie übers Ziel hinausschießt. Wenn der Mensch lange genug durchhält, wird er sich auch daran anpassen und sich wunderbar mit dem körperlichem Nichtstun und einem Überangebot an Zucker, Butter und Getreide verstehen, aber wir sind momentan noch nicht so weit und leben jetzt. Also sollten wir auch jetzt eine Lösung für das Problem finden. Die Zeit mag eine tolle Lehrerin sein, aber sie tötet alle ihre Schüler. Damit uns das vorerst erspart bleibt, sollten wir lernen, mit dem Steinzeit-Körper sowie dem Schweinehund darin umzugehen und ihnen die Führung angedeihen zu lassen, derer sie bedürfen.

Bei so vielen und (zum Glück) einzigartigen Menschen ist es auch längst nicht mehr notwendig, sich überall, jederzeit und um jeden Preis fortzupflanzen. Auch diesen Trieb gilt es zu kultivieren. Darum geht es, wenn wir lernen wollen, den Körper zu beherrschen: natürliche Triebe kultivieren – durchdacht, zeitgemäß und spielerisch, indem wir die Dimension des Geistes hinzufügen.

Leider geil, fett & faul

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