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Sublimare – Erheben

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Denken allein ist schwach. Es sind die Triebe, die uns die Kraft geben, die notwendig ist, um in einer vielleicht absurden Welt Sinn und Freude zu schaffen. Es sind die Triebe, die uns die Kraft geben, Herausforderungen anzunehmen, sie zu bewältigen und daran zu wachsen. Es sind die Triebe, die uns tanzen, werben und sterben lassen.

Sterben, weil sie gerne auch mal zu weit gehen. So groß ist ihre Kraft, dass sie uns zum Äußersten und darüber hinaus bringen können. Die Bereitschaft zu sterben, zeugt aber auch von großer Lebendigkeit. Wenn man nichts hat, wofür es sich lohnt zu sterben, hat man dann überhaupt etwas, wofür es sich lohnt zu leben?

Wer weiß, was er will, der kann es auch erreichen. Das ist weniger das Problem. Das Problem ist eher, dass die Leute nicht wissen, was sie wollen. Dann wird es haarig, dann geraten die inneren Wesen in Unruhe wie bei einem führungslosen Unternehmen die Angestellten. Das ist das Problem unserer verkopften Gesellschaft. Viele haben Träume: abnehmen, erfinden, beherrschen, umwerben, reich werden, sich von Sucht befreien und unabhängig sein, aber kaum jemand schafft es.

Viele wollen nicht wirklich. Etwas zu wollen haben sie sich aberziehen lassen. Sie denken nur noch darüber nach und hören auf ihre Eltern: „Das heißt nicht ‚Ich will‘, sondern ‚Ich möchte‘“, und so wurden wir zu einer Möchte-Gern-Gesellschaft. Zu einer mausgrauen Möchtegern-Massengesellschaft, in der alle Ecken abgerundet werden, damit sich niemand verletzt, und sich alle in den Armen liegen, um sich gegenseitig in die Taschen zu greifen und zu verhindern, dass jemand aus der Reihe tanzt.

Die Triebe werden abgetötet bzw. verdrängt, anstatt ihre Kraft zu nutzen und sie zu sublimieren, zu veredeln. So erwächst eine schwache Gesellschaft, die gerne möchte, aber nicht wirklich will und deswegen fast nichts schafft. Wie Schafe auf der Weide blöken sie von Freiheit, aber lassen sich von jedem dahergelaufenen Hund lenken. Das Problem betrifft viele Gesellschaften, was eine Szene aus der Amerika-Doku South Park belegt, als George W. Bush sagt:

„People? You mean Sheeple.“

Dabei liegt in der rohen Triebkraft unseres Wesens so viel Macht. Welch Unterschied liegt doch zwischen dem einfältigen kastrierten Ochsen und dem rasenden Stier im Vollbesitz seiner Potenz? Wer wagt es, daran zu zweifeln, dass seine Stärke, sein größter Wille in den Cojones liegt? Darin liegt auch die größte Kraft eines jeden Menschen. Im Geschlecht eines Menschen liegt sein größtes Potenzial, seine Macht, die darauf wartet, entfesselt und mit dem anderen Geschlecht vereinigt zu werden – um Vollständigkeit zu erlangen.

Auch ich fand mit 13 Jahren meine Anfangsmotivation zu täglichem Training im heimischen Keller durch den Trieb zu einem wunderschönen, reiferen Mädchen. Ihr Bild vor Augen schaffte es, mich dazu zu bewegen, meinen Körper auszubilden und mich charakterlich weiterzuentwickeln. Nach einigen Jahren war ihr Bild verblasst, da ich lernte zu sehen, doch die Liebe zu Training, Widerstand und Entwicklung blieb. Die wunderschönen und mich reifer machenden Momente mit Hanteln, Büchern, Diskussionen und anderen Herausforderungen in Natur, Gesellschaft und Einsamkeit, die ich immer intensiver suchte, formten mich immer stärker und vielschichtiger aus.

Ich kämpfte für ein Mädchen, dass ich liebte und verliebte mich in den Kampf – da er mir mehr gab, als dieses Mädchen mir je hätte geben können: mich selbst; meine Entwicklung und das Bewusstsein, dass man viel sein kann, wenn man es nur verwirklicht; dass man Großes schaffen kann, wenn man nur dafür kämpft; dass nichts unmöglich ist, wenn es nur denkbar ist und in unserem Potenzial liegt – diesem Meer an Möglichkeiten, aus dem wir nur mit dem Teelöffel schöpfen.

Wenn wir es schaffen, die wilde Energie für unsere eigenen Ziele zu nutzen, indem wir sie sublimieren, dann werden wir deutlich mächtiger und erfolgreicher in allem, was wir wollen und machen. Alle großen Forscher und Gestalter der Welt schöpfen und schöpften ihre Macht aus den Trieben; selbst die christlichsten – wie Martin Luther, der uns schreibt, was ihn treibt:

„Ich arbeite nie besser als durch Zorn inspiriert. Wenn ich zornig bin, kann ich besser schreiben, beten, predigen, da mein Geist schneller arbeitet, mein Verstand geschärft ist und alle weltlichen Sorgen und Versuchungen dahingefahren sind.“

Wer hätte das gedacht? Es war der große Zorn gegen die damaligen Ungerechtigkeiten der katholischen Kirche, die Luther angetrieben haben. Dieser Trieb gab einem einzelnen Mönch die Kraft, um sich vom althergebrachten Glauben abzuwenden, die wohl mächtigste Institution seiner Zeit zu spalten und die Pforte der Schlosskirche zu Wittenberg zu nageln.

Nach eigenem Bekenntnis führte ihn eine Erleuchtung zu der Erkenntnis, dass der christliche Gott ein gnädiger Gott sei. Fortan wolle er sich am Neuen Testament orientieren und an Jesus Christus, dem „fleischgewordenen Wort Gottes“. Wahre Göttlichkeit liege in der Inkarnation – wir Menschen sollten uns eine Scheibe davon abschneiden.

Was Luthers Zorn entfachte, war das Spiel mit der Angst, das die Lenker der katholischen Kirche beherrschten – als hätten sie es vom Leibhaftigen gelernt. Wie lässt sich übrigens das kirchliche Verständnis vom Körper besser verdeutlichen, als durch ihre eigene Wortwahl – die dem Teufel das Leib-haftige zuspricht?

Kein Wunder, dass unsere himmelshungrige Gesellschaft alle Bande zum Leib kappte – und sich so die Hölle auf Erden schuf. Da wird der Gang zum Fitnessstudio zur Glaubensfrage. In Satanisten-Kreisen könnte man damit werben: „Huldigt Luzifer, macht Liegestütze!“

Zu Luthers Zeit war die Angst vor dem Fegefeuer nicht nur allgegenwärtig, sie wurde gar geschürt. So hatte die Kirche starke Fäden in der Hand. Über sog. Ablassbriefe konnte man sich von seinen Sünden freikaufen. Das Marketing war grandios: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.“ Heute ist Geiz gerade mal geil. Früher war er die Hölle.

Zorn und Angst sind unfassbar starke Kräfte in uns. Das gilt auch für viele weitere Triebe und ihre Stufen der Sublimierung – wie Liebe, Familie, Freundschaft und Zusammenhalt; Hass, Fehde, Feindschaft und Verachtung oder das Verlangen nach Reichtum, Erfolg und Macht, um nur einige zu nennen.

In Wirklichkeit sind sie alle Lakaien des größten Triebes, dem es einzig und allein und trotz vieler Umwege um die Erhaltung und Weiterentwicklung des Lebens an sich geht – munterer Chromosomenfasching, bei dem sich alle möglichst potent zeigen wollen, damit ihre Gene auch in der nächsten Generation mit im Zug des Lebens sitzen.

Jeder von uns weiß, wie wir Menschen von den Trieben hin- und hergerissen werden können und gerne auch mal jegliche Vernunft dafür fahren lassen. Wir können diese Kraft nutzen und sogar provozieren, wenn wir sie gezielt anstacheln, uns aber davor bewahren, von ihr überrollt zu werden wie eine Südseeinsel von der Flutwelle.

Wir sollten lernen, die Kraft zu kanalisieren, indem wir uns zwar erregen, aber zugleich auch darüber erheben. Dafür ist es notwendig, ein höheres Ziel vor Augen zu haben, für das wir die Energie nutzen wollen. Dies ist der Moment, in dem das Denken des Geistes gefragt ist, dessen Mühlen durch die hereinströmende Kraft nun richtig in Bewegung gesetzt werden.

Ein fantastischer Rausch, den jeder ergriffene Geist kennt; bei dem das Denken von alleine geschieht, ohne Mühe, ohne Aufwand, einfach mitreißt und sogar noch Kraft verschafft – wie gute, laute Musik, die den Geist nicht ablenkt, sondern beschleunigt und vertieft.

Denken ohne diese tiefe, innere Kraft ist so mühsam, wie das Antreiben eines Mühlrads ohne Wasser. Deswegen fällt uns das Denken oft schwer, denn das Mühlrad dreht leer und muss nun mühsam von Hand angetrieben werden. So kostet uns das Energie, was eigentlich Kraft verschaffen und das Denken beflügeln sollte – weil wir uns vom Fluss des Lebens entfernt haben.

Das betrifft alle Arbeit, die wir eigentlich gar nicht ausführen wollen, weil wir keinen Bezug dazu finden – und allenfalls extrinsisch, von außen motiviert sind. Wer es nicht schafft, den Saft des Lebens anzuzapfen und für sich zu nutzen, der fällt schnell trocken und wird schlussendlich ausbrennen.

So leben viele ein mühsames Möchtegern-Leben, bis sie überfordert und ausgemergelt sterben. Vielleicht staut sich der Trieb auch dermaßen stark an, bis er sich wie ein Tsunami des ganzen Körpers bemächtigt und es in einen unkontrollierten Gefühlsausbruch mündet, bei dem die Vernunft die Waffen streckt und es im schlimmsten Fall sogar zum Missbrauch des schwächsten Glieds in der Gemeinde kommt. Ob das Konzept der Nächstenliebe sich derart weit auslegen lässt, bleibt fraglich. Fest steht: Druck erzeugt Gegendruck – wenn man dem nicht entgegenwirkt, wird er sich irgendwann entladen, denn ganz dicht sind wir alle nicht.

Die Verteufelung des Körpers führt über kurz oder lang zur Verkörperung des Teufels. Darum nutze ein jeder die Kraft, die überall um uns herum und auch in uns ist, anstatt sie zu ignorieren oder sich gar davon zerstören zu lassen. Triebe sind gut – wenn wir sie dazu machen.

Leider geil, fett & faul

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