Читать книгу Leider geil, fett & faul - Christian Zippel - Страница 18
Cave canem – Vorsicht vor dem Hund
ОглавлениеSie haben einen Hund. Wie würde sich Ihr Verhältnis zueinander entwickeln, wenn Sie ihn kein bisschen erziehen würden? Wenn Sie sein Verhalten ignorieren würden? Wenn Sie einfach nur mit ihm leben würden, ohne ihn näher kennen zu lernen, ihn zu fordern, zu belohnen oder zu bestrafen? Wenn Sie ihn den ganzen Tag über an einen Stuhl binden und dazu zwingen würden, auf einen Bildschirm zu glotzen, wenn Sie ihn mit Fast Food und Süßigkeiten vollstopfen, ihm zu wenig zu trinken geben und ihn dauerhaft stressen würden, wie lange würde das gut gehen? Wie produktiv und angenehm wäre das?
Sicher wissen Sie, dass das nicht lange gut gehen würde. Es wäre das totale Chaos, der Hund würde durchdrehen, durchgehend kläffen und Ihnen auf der Nase herumtanzen – zu Recht. Wenn Sie selbst diese Warnhinweise ignorieren, wird er nach und nach krank und deprimiert, störrisch starr, bissig aggressiv, unausstehlich und schlussendlich ausbrennen. Kaum ein Mensch könnte das mit ansehen.
Jeder wäre irgendwann eingeschritten und hätte die Situation entschärft, wäre auf den Hund eingegangen und hätte ihn angemessen versorgt. Die meisten hätten ihn von Anfang an erzogen, richtig gefüttert und ihm ein Umfeld geboten, das seinen natürlichen Bedürfnissen entspricht und seine Fähigkeiten fördert.
Heutzutage ist es verpönt, sich einen Hund zuzulegen und ihn verwahrlosen zu lassen. Gerade in den ersten Monaten steht die Erziehung an erster Stelle. Das ist selbstverständlich. Jeder weiß, dass ein gut erzogener Welpe der Beginn einer tollen Partnerschaft ist, in der Hund und Herrchen sich wunderbar ergänzen und gemeinsam eine Lebensqualität erreichen, zu der sie alleine nicht fähig wären.
In vielen Fällen erweitert der Hund die Fähigkeiten seines Herrchens – wie bei einem Blinden–, Rettungs–, Wach– oder Polizeihund. Nun hat man zusätzlich zwei weitere Augen, eine starke Nase, flinke Beine, absolute Treue und freudige Erwartung. Ein mit dem Schwanz wedelnder Freudenspender, der einem die Zeitung bringt, das Gefühl von Sicherheit verleiht, einen zur Bewegung an der frischen Luft drängt, das Spielerische lehrt, Verantwortung empfinden lässt und hoffentlich schleunigst lernt, nicht mehr auf den Teppich zu pinkeln. Wie sagte Heinz Rühmann:
„Man kann ohne Hunde leben, aber es lohnt sich nicht.“
Es steht außer Frage, dass ein wohlerzogener und gesunder Hund eine Bereicherung für das eigene Leben ist. Wer einen solchen hat, lebt länger und ist glücklicher – allein die zusätzliche Bewegung und das Gefühl geliebt und gebraucht zu werden sind erfrischend.
Natürlich kostet es viel Mühe das Tier zu erziehen. Rückschläge gibt es viele. Das Sofa wird zerfetzt und so mancher Haufen gesetzt, wo er nicht hingehört, aber wer die Herausforderung spielerisch angeht, wird dem treuen Vierbeiner ohne Gewalt seine unbeherrschten Triebe austreiben und ihn gesellschaftsfähig machen. Ist dies geschafft und wird es konsequent gelebt, so ist es ein Leichtes, gemeinsam zu leben und vorwärts zu streben.
Wer es versäumt, landet mitten im eingangs beschriebenen Chaos. Dann gibt es täglich Machtkämpfe untereinander, die zu nichts anderem führen, als dass beide sich gegenseitig auf die Nerven gehen und kaum noch lebensfähig sind – geschweige denn zu spielerischem Streben.
Lieber Leser, in Ihrem Körper lebt ein Hund… ein Schweinehund. Ich kenne Sie nicht, aber ich weiß: Sie haben ihn kaum erzogen. Niemand macht das in unseren Kreisen. In meinem ganzen Leben habe ich gerade einmal zwei, vielleicht drei Menschen getroffen, denen ich eine fast vollkommene Körperbeherrschung und menschliche Reife, also Weisheit, zusprechen würde – und nur einer davon heißt Chuck Norris. Allesamt verkörperte Persönlichkeiten mit starkem Charakter und einer spielerischen, aber konsequenten Herangehensweise an das Leben.
Dem entgegengesetzt kenne ich viele Menschen mit wohlerzogenen Hunden. Vom Prinzip her ist das Thema Erziehung also kein Mysterium. Nur wendet es kaum jemand auf sich selbst an. Der Körper wird meist akzeptiert wie er ist. Wenn man es schafft, dass er nachts nicht mehr ins Bettchen macht, ist das für die meisten schon Beherrschung genug. Dabei ist so viel möglich. Es gibt nichts, was die Lebensqualität derart steigert, wie ein wohlerzogener Körper – er bestimmt, was wir sind.
Was bringt uns das schnellste Auto, wenn wir selbst eine lahme Krücke sind? Was bringt die größte Villa, wenn wir in einem verkümmerten Körper wohnen? Was bringt die stärkste Waffe, wenn wir auf uns allein gestellt wehrlos sind wie eine Pusteblume im Wind? Was bringt uns Macht, wenn wir nicht einmal unseren Körper im Griff haben? Was bringt uns Reichtum, wenn wir weder Selbstbewusstsein noch Weisheit kaufen können? Was bringt uns die neueste Kommunikationstechnologie, wenn unser Portfolio an Gestik, Mimik und Rhetorik kärglich arm erscheint? Was bringt uns der feinste Zwirn, wenn darin ein Körper ohne Haltung steckt? Was bringt die noble Abstammung, wenn sie nicht durch inneren Adel bestätigt wird?
Alles in unserem Leben kommt und geht – Menschen, Berufe und vor allem Besitz, nur eines bleibt uns von der Geburt bis zum Tod: unser Körper.
Wenn Sie nicht genau jetzt damit anfangen, ihn mit Geist zu erfüllen und den Hund darin zu erziehen, werden die beiden Ihnen tierisch auf den Geist gehen und nicht nur sich selbst dabei quälen, sondern langfristig den ganzen Menschen zerstören.
Es gibt Beziehungen im Leben, die dafür geschaffen sind, sich gegenseitig zu ergänzen – wie Mann und Frau, Chaos und Kosmos, Hund und Herrchen, so auch und vor allem Körper und Geist! Im „Team Mensch“ sollten Sie Herrscher über den Körper und Herrchen für den Hund sein. Ob das Nietzsche wohl mit der Herrenmoral meinte, jenseits von Gut und Böse?
„Die vornehme Art Mensch fühlt sich als wertbestimmend, sie hat nicht nötig, sich gutheißen zu lassen, sie urteilt ‚was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich‘, sie weiß sich als das, was überhaupt erst Ehre den Dingen verleiht, sie ist werteschaffend. Alles, was sie an sich kennt, ehrt sie: eine solche Moral ist Selbstverherrlichung. Im Vordergrunde steht das Gefühl der Fülle, der Macht, die überströmen will, das Glück der hohen Spannung, das Bewusstsein eines Reichtums, der schenken und abgeben möchte – auch der vornehme Mensch hilft dem Unglücklichen, aber nicht oder fast nicht aus Mitleid, sondern mehr aus einem Drang, den der Überfluss von Macht erzeugt. Der vornehme Mensch ehrt in sich den Mächtigen, auch den, welcher Macht über sich selbst hat, der zu reden und zu schweigen versteht, der mit Lust Strenge und Härte gegen sich übt und Ehrerbietung vor allem Strengen und Harten hat.“
Für den schnauzbärtigen Friedrich sieht der Herrenmensch die Welt hierarchisch, von oben. Er verkörpert den Willen zur Macht, bejaht die natürliche Kraft – die sich dem offenbart, der sie sich nimmt und Werte schafft.
Wie Sie auch dazu stehen; im „Team Mensch“ sollten Sie darauf bestehen, dass Ihr Wille geschehe, denn Sie, als forschender, fühlender, denkender und strebender Geist, stehen ganz oben und über den Dingen – oder auch mittendrin, fähig sie zu lenken. Ihr Körper ist ausführendes Organ. Sie sollten mit ihm arbeiten, niemals gegen ihn, aber vor allem sollten sie oben liegen, ihn dominieren, tief in ihn eindringen und ihn führen. Die Erotik der Körperbeherrschung. Schaffen Sie Ihre eigene Moral, eine Herrschermoral für den Körper und eine Herrchenmoral für den Hund. Suum cuique – jedem das Seine.
Die Ökonomie der Energie
Die Energie, die Sie benötigen, um den Hund zu erziehen, ist verschwindend gering im Vergleich zu der, die Sie verschwenden würden, um Konflikte mit ihm auszufechten, solange er unerzogen seinen tierischen Willen durchzusetzen versucht.
Der „innere Schweinehund“ ist ein Symbol für diesen inneren Krieg, der in vollem Gange ist. Die Lösung für Gewichtsprobleme, scheiternde Diäten und verkümmerte Muskeln liegt aber keineswegs darin, sich mit diesem abgestumpften, widerwilligen und eigenmächtigen Tier anzulegen und ihn mit allen Mitteln zu einem gesunden und fitten Lebensstil zu zwingen. Das wird nie klappen.
Evolutionär betrachtet ist der Mensch noch grün zwischen den Ohren. Das Tier in ihm ist stärker als sein Bewusstsein, alteingesessen und hat einen mächtigen Hebel. Jeder Versuch, den Körper zwanghaft zu verändern, ist deswegen zum Scheitern verurteilt – was Millionen von Menschen belegen, die mit ihrem Körper unglücklich sind, es aber nicht schaffen, seine Entwicklung zu steuern. 95% aller Diäten scheitern langfristig.
Doch das körperlich schwache Bewusstsein hat denselben Vorteil auf seiner Seite wie auch das Herrchen: Intelligenz, Kreativität und Konsequenz. Der Schwache kann den Starken nur beherrschen, wenn er mit ihm arbeitet und nicht gegen ihn. Wenn er ihm Sicherheit bietet, ihn abwechslungsreich fordert und angemessen versorgt, aber nicht verwöhnt, dann wird er sich gerne fügen. All das und auf diesem hohen Niveau könnte er alleine nie erreichen. Schließlich ist er von Natur aus geistig beschränkt – aber durchaus begeisterungsfähig.
Es ist in, Sigmund Freud für out zu halten. Ok, vielleicht hat er sich etwas zu sehr in Konzepte wie den analen Charakter, Penisneid und Mutterliebe vernarrt, vielleicht strebt nicht jeder Mann nach der Vagina, weil er in den Urmund zurückklettern will, und vielleicht fühlt er auch keine Angst bei ihrem Anblick, sein Geschlecht könne sich ebenfalls nach innen verziehen. Doch er verstand mehr vom Menschen, seinen Wesen und Strömen, als so mancher Seelenklempner heute:
„Wir mögen noch so oft betonen, der menschliche Intellekt sei kraftlos im Vergleich zum menschlichen Triebleben, und recht damit haben. Aber es ist doch etwas Besonderes um diese Schwäche, die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat.“
Wir arbeiten also nicht mit der Brech-, sondern mit der Zuckerstange, weniger mit Druck, eher mit Spiel, nicht mit Argwohn, sondern mit Vertrauen, kein Sturm aus Osten, sondern ein Wind aus Süden. Wir schlagen ihm unsere Dominanz nicht wie ein nasses Handtuch um die Ohren, sondern halten sie ihm hin wie einen wohlig wärmenden Mantel, der kaum belastet, aber viel gibt. Wer könnte da nein sagen, in einer trostlosen und kalten Welt wie dieser?
Zusätzlich kultivieren wir seine Triebe, indem wir sie spielerisch leben, ohne uns von ihnen beherrschen zu lassen – so wie wir auch mit unserem Hund rangeln und uns mal dazu erweichen lassen, ihm ein Leckerli zu geben, ohne dass unsere Dominanz in Frage gestellt wird.
Bei allen destruktiven Tendenzen, die sich nicht gänzlich abwenden lassen, ist darauf zu achten, dass wir ihr Herr und nicht ihr Knecht sind. Nur so ist ein menschenwürdiges Leben möglich – mit dem Tier und nicht gegen es. Solange wir es stimulieren und stabilisieren, dürfen wir es auch dominieren.