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Gürteltier-Medizin: Die Macht der Verwundbarkeit

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In den Wochen direkt nach unserer Trennung interviewte mich die Reporterin einer Tageszeitung wegen eines Artikels über meine Arbeit. »Nur noch eine Frage«, meinte sie am Ende des Interviews. »Hat Chris Northrup jemals wirklich gelitten?« Ich war schockiert und sprachlos. Gerade in diesem Moment erlebte ich den Verlust der wichtigsten Beziehung in meinem Leben, erlebte ihn mit jeder Zelle meines Körpers. Wie konnte sie nur annehmen, mein Leben sei einfach? Doch ich sagte nichts. Es war noch zu früh, um meine Situation öffentlich zu diskutieren. Die Wunden waren noch zu frisch, zu offen.

Einige Wochen zuvor hatte Mona Lisa zu mir gesagt: »Du bist nicht verletzlich genug, daher fühlt sich niemand veranlasst, sich um dich zu kümmern. Ich hingegen habe so viele gesundheitliche Probleme gehabt, dass sich jedermann um mich kümmern möchte. Überall, wohin ich gehe, löse ich ›Mutterinstinkte‹ aus.«

Das machte mich wütend. Ich hatte mich nie getraut, verletzlich zu sein, weder an der Seite meines Mannes noch früher bei meiner Mutter. Irgendwann im Leben hatte ich dann die Fähigkeit dazu verloren. Überdies war es keine Fähigkeit, die ich bewunderte. Ich hatte viel zu viele Frauen gesehen, die sich in der Opferrolle gefielen und die Sympathie anderer ausnutzten, um zu bekommen, was sie wollten. Doch ich wusste, dass sich unsere Kultur so stark mit den Opfern identifiziert, dass sie an der Menschlichkeit derjenigen zweifelt, die diese Rolle nicht annehmen. Das war es, was die Reporterin mir mit ihrer Frage gesagt hatte. Nach dem Gespräch mit Mona Lisa suchte ich zwei Abende hintereinander Rat bei einem Satz »Medizinkarten« mit Tiermotiven, die ähnlich wie ein Tarot-Blatt funktionieren. Jedes Mal, wenn ich eine Karte zog, erhielt ich ein auf dem Rücken liegendes Gürteltier, dessen Botschaft lautet:

»Du denkst vielleicht, die einzige Möglichkeit, in deiner gegenwärtigen Lage zu gewinnen, sei, sich zu verstecken oder vorzugeben, du seiest gepanzert und unbesiegbar, aber das ist nicht der richtige Weg, um zu wachsen. Besser ist es, sich zu öffnen und den Wert und die Stärke deiner Verwundbarkeit zu entdecken. Wenn du das tust, wirst du etwas Wunderbares finden. Verwundbarkeit ist der Schlüssel, um die Gaben des physischen Lebens zu genießen. Indem du dir erlaubst zu fühlen, eröffnen sich dir Myriaden von Ausdrucksmöglichkeiten. Ein echtes Kompliment ist beispielsweise ein energetischer Fluss von Bewunderung. Wenn du Angst davor hast, verletzt zu werden, und dich vor etwas versteckst, wirst du niemals die Freude fühlen, die die Bewunderung durch andere auslöst.« 1

Diese Botschaft traf bei mir ins Schwarze. Und wieder einmal wurde ich daran erinnert, wie gut ich von meiner stoischen Mutter gelernt hatte, meine Verletzlichkeit zu verbergen. Es war an der Zeit, dieses Verhaltensmuster als Teil meiner Vergangenheitsbewältigung zu verändern. In der Lebensmitte suchen manche Frauen nach neuer Befriedigung in einer Welt jenseits von Haus und Familie. Sie müssen sich unter Umständen einen gewissen Panzer zulegen. Doch andere Frauen müssen ihren Panzer möglicherweise ein wenig öffnen. Das war bei mir der Fall. Und das gilt auch für viele Männer, die traditionsgemäß die Jahre vor der Lebensmitte damit verbringen, sich auf den beruflichen Erfolg zu konzentrieren.

Der entscheidende Punkt ist, dass diejenigen Aspekte Ihrer Persönlichkeit, die Sie die erste Hälfte Ihres Lebens am Leben und in Gang gehalten haben, in der zweiten Hälfte zu einem Risiko werden können; das gilt in der Lebensmitte mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt. Wir alle müssen den Mut finden, die notwendigen Veränderungen vorzunehmen, die uns ermöglichen, unser Leben in erfüllter und selbstbestimmter Weise zu leben.

Weisheit der Wechseljahre

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