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Das Leere-Nest-Syndrom

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Sie müssen keine Mutter sein, um das leere Nest zu erleben, dieses schmerzliche Gefühl von persönlichem Verlust, von Einsamkeit und Übergang, das sich so oft einstellt, wenn Sie eine bedeutende Veränderung in Ihrem Leben durchmachen. Ganz gleichgültig, wie sicher und etabliert sich eine Frau vor der Lebensmitte auch fühlen mag, die Wandlung und der Übergang in die zweite Lebenshälfte erfordern fast zwangsläufig einen Exodus der einen oder anderen Art. Ob es die endgültige Trennung vom Ehemann ist, von dem Sie sich seit Langem entfremdet haben, ein Berufswechsel, der Weggang von Kindern, die volljährig geworden sind und ihr Zuhause verlassen haben, um ein eigenes Leben zu beginnen, das Sie nicht länger so selbstverständlich wie bisher einschließt, oder alles zusammen – wenn Ihr einst so turbulentes Heim ruhig wird und/oder sich Ihre tägliche Routine plötzlich ändert und Sie ruhelos und unausgefüllt zurückbleiben, ähnelt diese Erfahrung in gewisser Weise dem Verlust eines geliebten Menschen. Und selbst wenn Sie es kommen gesehen haben und dachten, Sie wären darauf vorbereitet, ja sogar dann, wenn Sie es sind, die geht, ist es schmerzhaft. Denn es ist unmöglich, sich völlig auf diese Form von innerem Aufruhr vorzubereiten, der so tief greifend ist, dass er Sie völlig von innen nach außen »umkrempeln« und verwandeln kann.

Eine meiner Freundinnen, eine Frau, die es geschafft hat, in einem Unternehmen eine steile Karriere zu machen und gleichzeitig zwei Kinder großzuziehen, meinte kürzlich zu mir: »Als mein Jüngster diesen Herbst auszog, um aufs College zu gehen, war ich sehr beschäftigt und arbeitete für eine kreative aufstrebende Firma, die mich häufig auf Kurzreisen nach Übersee schickte.

Obwohl jeder Tag neue Aufregung und Abenteuer brachte, passierte es mir immer wieder, dass ich, wenn ich im Auto saß, an einer roten Ampel in Tränen ausbrach. Ich fühle mich, als ob mir ein Teil meines Herzens aus der Brust gerissen worden wäre. Nach all diesen Jahren zielbewussten und stolzen Mutterseins, in denen meine Kinder trotz meiner Karriere immer an erster Stelle standen, war ich überrascht, wie überaus körperlich und schmerzhaft sich dieser Verlust anfühlt. Und ich habe ihn in keiner Weise kommen sehen.«

Ich kann sie sehr gut verstehen. Im Sommer 1999 bekam ich einen kleinen Vorgeschmack auf ein eigenes Leeres-Nest-Szenario: Kaum zwei Monate nachdem meine ältere Tochter zu einem Sommercamp aufgebrochen war, um sich auf den Besuch des Colleges im Herbst vorzubereiten, verließ meine jüngere Tochter ihr Zuhause, um ihrerseits ein Feriencamp zu besuchen. Da mein Mann gegangen und meine Scheidung fast abgeschlossen war, war dies seit der Zeit des Colleges und des Medizinstudiums das erste Mal, dass ich ganz allein war. Eine Weile lang fand ich nichts dabei. Mein Haus war sauberer, als es seit Jahren gewesen war (wenn das auch niemals eine bedeutende Rolle für mich gespielt hat), und als ich begann, das Interieur nach meinen Vorstellungen umzugestalten, empfand ich es als angenehmen Nebeneffekt, ohne das Chaos anderer Leute zu leben.

Ich aß, was ich wollte und wann ich wollte, arbeitete, wann immer ich Lust hatte, zündete Kerzen an und sah mir bis spät in die Nacht Filme an. Langsam begann ich es zu genießen, Ruhe zu haben und ganz ohne Unterbrechungen über mein Leben nachsinnen zu können. Schließlich und endlich, sagte ich mir, war ich nicht wirklich allein. Meine Tochter würde bald wieder zu Hause sein.

Doch einen Monat später wurde ich wie aus heiterem Himmel von Kummer und Einsamkeit übermannt. Ich hatte meine jüngere Tochter vom Camp abgeholt, und zusammen hatten wir eine Tour nach Dartmouth unternommen, denn sie war dabei, sich zu überlegen, welches College sie wohl besuchen sollte. Als meine medizinische Alma mater und als der Ort, an dem ich meinen Mann zum ersten Mal getroffen hatte, barg Dartmouth viele nostalgische Erinnerungen für mich. Ich erinnerte mich lebhaft an die Begeisterung, die ich empfand, als ich vor 28 Jahren hierherkam und von dem Ort und seiner Atmosphäre ganz überwältigt war.

Nun stand ich auf demselben Campus, eine 50-jährige, frisch geschiedene Mutter, die der jüngeren ihrer beiden Töchter zusah, wie sie Pläne für ihr eigenes Leben schmiedete. Ich sah mich nicht nur mit dem Verlust meines Mannes und meiner beiden Töchter konfrontiert, sondern auch mit dem Verlust aller Träume, die ich für meine Zukunft gehabt hatte. Während der dreistündigen Heimfahrt schlief meine Tochter die ganze Zeit, und ich entdeckte zu meiner Überraschung, dass ich mich noch einsamer fühlte als in der Zeit, in der sie nicht da war.

Wieder zu Hause, wachte ich am nächsten Morgen mit einem Gefühl tiefen Kummers auf und sagte mir selbst: »Aha, das ist das Leere-Nest-Gefühl, über das ich schon so viel gehört habe, das Gefühl, das dir sagt: ›Du bist in deiner neuen Welt noch nicht zu Hause, und deine alte Welt passt nicht länger zu dir.‹« Ich befand mich in einem Zwischenstadium, trauerte um das, was war, und um das, was hätte sein können. Intellektuell wusste ich, dass dies eine Wachstumsphase war, eine Art Wehenschmerz, der wunderbare Dinge hervorbringen würde, wenn ich mir nur erlauben würde, durch diese Phase zu gehen. (Es half zu wissen, dass ich tatsächlich gar keine andere Wahl hatte.) Statt meine Gefühle zu »glätten« und Wege zu finden, sie zu betäuben, um mir den Kummer zu ersparen, ließ ich meinen Schmerz zu. Ich war einsam und enttäuscht, litt an gebrochenem Herzen und fürchtete mich, und ich saß auf meinem Bett und weinte um all das in meinem Leben, das dabei war zu sterben.

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Jede Frau, die den emotionalen Aufruhr der Wechseljahre durchgemacht hat, kann bestätigen, dass die schmerzlichen Gefühle, die mit dem leeren Nest einhergehen, zwar immer wieder hochkommen, mit der Zeit aber seltener werden, kürzer andauern und jedes Mal weniger tief schmerzen. Daher besteht unsere Aufgabe einfach darin, da zu sein, wenn sie hochkommen. Wie meine eigene Erfahrung und diejenige all der Frauen, die ihre Leere-Nest-Erfahrung mit mir geteilt haben, zeigt, besteht die Belohnung, sich ganz auf diese Emotionen einzustellen, die in dieser Phase über uns hinwegrollen, letztlich darin, dass das Ringen schneller vorübergeht, als wenn wir versuchten, uns diesen Gefühlen zu widersetzen oder sie zu leugnen.

Ob es eine Frau in diesem Augenblick wahrhaben will oder nicht, diese beunruhigende Leere-Nest-Erfahrung ist ein Segen. Stellen Sie sich diese Erfahrung als Wehenschmerz vor. Was Sie zu gebären versuchen, ist Ihr neues Leben, das Ihre Hormone, Ihr Gehirn und Ihr Körper bereits willkommen geheißen und angenommen haben, auch wenn Sie sich dessen vielleicht noch nicht bewusst sind. Um ein neues Leben zu schaffen, müssen Sie in den Abgrund, in die Leere hinabsteigen, die Sie möglicherweise ein Leben lang zu meiden versucht haben, indem Sie sich auf Beziehungen und Beruf konzentrierten. Da ich selbst in diese tiefe Schlucht geschaut habe, kann ich verstehen, warum eine Frau, die sie betritt, nur sehr schwer glauben kann, ihre Reise könne gut enden. Aber nun, da ich an der anderen Seite herausgekommen bin, weiß ich, dass die Reise den Schmerz und die Mühen wert war. Heute bin glücklicher und freier und fühle mich sogar jünger als mit 50.

Damit alles etwas einfacher wird, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit mindestens ebenso auf das, was Sie erschaffen wollen, wie auf das, was Ihnen verloren geht. Fangen Sie am besten mit Dingen an, die Sie schon seit Jahren aufgeschoben haben. Vielleicht wollen Sie noch einen Abschluss machen, Ihre Traumziele bereisen, wieder fitter werden, die Wohnung oder das Haus renovieren. Vielleicht ist es aber auch Reiten, Tanzunterricht, Yoga, Meditation, Schreiben, ein Kochkurs oder Singen. Wenn Ihnen nicht gleich etwas einfällt, dann denken Sie an die Zeit, als Sie elf waren und an daran, was Sie damals gerne gemacht haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es da etwas gibt, was nur darauf wartet, wiederbelebt zu werden.

Es kommt nicht darauf an, was Sie machen, sondern darauf, dass Sie Ihre Bedürfnisse erkunden wollen. Jetzt ist die Zeit, sich selbst neu zu erfinden, und zwar nicht nur als die Mutter oder Frau oder Angestellte von jemandem. Am Ende werden Ihre Kinder oder Ihre Lieben begeistert sein. Denn die Alternative hieße, Ihr Leben in ihren aufgehen zu lassen (Sehnsucht nach der »guten alten Zeit«), um am Ende mehr eine Last als eine Quelle bedingungsloser Liebe und Inspiration zu sein. (Viele Hinweise dazu, wie Sie sich selbst in der Lebensmitte neu erfinden, finden Sie in meinem Buch Lustvoll durch die Wechseljahre: Sexualität, Lebensfreude und Neuorientierung in der zweiten Lebenshälfte, München 2009.)

Weisheit der Wechseljahre

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