Читать книгу Clarence Clemons - Big Man - Clarence Clemons - Страница 10

Norfolk, Virginia, 1958 CLARENCE

Оглавление

Ich habe mich in Shirley verliebt.

Leider wusste es Shirley nicht.

Shirley war Cheerleader, und sie war das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen hatte. Sie war schöner, als ich es mir in meinen Träumen hätte vorstellen können. Sie war groß, athletisch, und ihre Haut honigfarben. Ihr Lächeln ließ die Welt lächeln, lange vor Mary Tyler Moore. Ich liebte alles an ihr.

Sie wusste nicht einmal, dass ich existierte.

Ich war sechzehn Jahre alt und Außenverteidiger. Nicht gerade eine glamouröse Position. Für den hübschesten Cheerleader der Geschichte war ein Lineman natürlich unsichtbar.

Aber ich zwang mich, Hallo zu ihr zu sagen, als ich an ihr auf meinem Weg zum Spielfeld oder zur Bank vorbeiging.

Nur ein „Hey, wie gehts?“, aber wenigstens musste sie Augenkontakt mit mir aufnehmen. Als Antwort lächelte sie, und manchmal gab sie ein „Hey“ zurück.

Jeden Abend dachte ich an sie. Ich war besessen von ihr. Ich konnte eine ganze Stunde damit verbringen, mir nur ihre Lippen vorzustellen und die Art, wie ihre Zähne glitzerten, und wie perfekt alles an ihr zu sein schien. Ich hätte sie nicht gebeten, irgendetwas an sich zu ändern. Normalerweise fand ich an einem Mädchen immer etwas auszusetzen. Nicht dass ich wählerisch war; klar war aber, dass ich mich wahnsinnig darüber freuen würde, Zeit mit irgendeinem Mädchen zu verbringen, das überhaupt Interesse an mir zeigte. Das Saxofon half. Es war einfacher, wenn ich Saxofon spielte; es gab mir Sicherheit. Sonst fühlte ich nur, dass ich groß war und schwarz und Furcht einflößend. Einige Mädchen waren hübsch, hatten aber einen schlechten Charakter, eine nervige Stimme oder ein unsympathisches Lachen oder irgendwas anderes, das mir auf den Zeiger ging.

Meistens ignorierte ich solche Dinge und versuchte, wo immer es möglich war, sie ins Bett zu kriegen, aber ich war nicht mit dem Herzen dabei – nur mit dem Schwanz.

Shirley war anders. Eine wie sie zu vögeln kam mir nicht mal in den Sinn. Es schien irgendwie falsch. Sicher, sollten wir einmal verheiratet sein, würden wir die ganze Zeit vögeln, aber bis dahin war sie zu besonders, zu zerbrechlich oder so. Ich wollte wirklich nur in ihrer Nähe sein. Die ganze Zeit. Allein. Nur wir beide. Jeder andere auf der Welt könnte sterben, es wäre mir egal, solange Shirley überlebte und mit mir reden würde. Meine Hand berühren, mir in die Augen schauen und lächeln. Ich brauchte nichts zu essen oder zu trinken.

Sie wohnte in Woodlawn, zwanzig Meilen von meinem Haus entfernt. Ich fuhr per Anhalter in ihre Gegend und lief dort einfach umher. Ich fand es schön, den Bürgersteig entlangzugehen, den auch sie benutzte. Ich fand es schön, in den gleichen Supermarkt zu gehen und mir vorzustellen, wie sie wahrscheinlich vor Kurzem hier gestanden hatte, vor den Cornflakes, den Wheaties oder den Cheerios. Später fand ich heraus, dass sie nichts außer Haferbrei aß. Das war aber erst, als sie angefangen hatte, mit mir zu reden, nachdem ich Wochen damit verbracht hatte, um ihr Haus herumzuschleichen. Dabei hüpfte ich hoch, um einen flüchtigen Blick von ihr durch ein Fenster zu erhaschen. Schließlich war ich dahintergekommen, dass sich ihr Zimmer im zweiten Stock des Holzhauses befand und ihr Fenster zur Straße hinausging.

„Oh, hi“, sagte sie. „Was machst du denn hier in dieser Gegend?“

„Weißt schon“, sagte ich und schaute zu Boden.

„Nein, weiß ich nicht“, sagte sie. Ich schaute sie verstohlen an. Sie lächelte kaum merklich und ließ mich glauben, dass sie es wahrscheinlich doch wusste.

„Nur so rumhängen“, sagte ich.

„Nur so rumhängen“, wiederholte sie und senkte dabei ihre Stimme, was mich ziemlich beeindruckte.

„Willst du nicht mit reinkommen?“

„Ja“, sagte ich. Ich dachte Zum Teufel, ja und Scheiße, ja und Verdammt, ja, aber alles, was ich rausbrachte, war „Ja“.

„Nun komm schon“, sagte sie, nahm meine Hand und führte mich ins Haus.

Sie war Waise. Ihre Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen, als sie noch klein war. Seitdem lebte sie bei ihrer Tante Cara.

Cara fand es okay, wenn wir auf der Couch oder auf der Veranda saßen, doch ein Auge hatte sie immer auf uns. Aber nicht dass sie sich über irgendetwas Gedanken machen musste. Wir lernten uns nur näher kennen und fanden raus, was für Musik wir beide mochten, was für Filmstars, was für Essen, was für Farben und alles Mögliche, was es zu entdecken gab, und das war eine Menge.

Wir fingen schnell an zu lachen. Beide schienen wir die gleiche Art von Humor zu haben, und wir mochten die gleichen „kranken“ Witze, die man sich gerade überall erzählte, so wie diesen: „Der Mörder schleift das kleine Mädchen durch den Wald und sagt: ‚Wieso weinst du? Ich muss allein zurücklaufen.‘“

Die nächsten zwei Monate nahm ich den Weg hierher auf mich. Es machte mir nichts aus, dass er so weit war, solange sie mich nur am anderen Ende erwartete. Ich liebte sie mit dieser tiefen und totalen Liebe, die weder Vorsicht noch Angst kennt, nur Freude. Genau das fühlte ich, wenn ich bei ihr war oder wenn ich nur an sie dachte oder ihren Namen aussprach: Freude. Sie würde meine Frau sein, sobald wir alt genug waren, um zu heiraten. Dessen war ich mir sicher. Wenn unser erstes Kind ein Mädchen wäre, würden wir sie Joy nennen.

Nach etwa einem Monat mit Händchenhalten und Flirten durfte ich sie küssen. Eigentlich standen wir an der Haustür, um Goodbye zu sagen, wie wir es immer machten, und sie küsste mich. Auf die Lippen. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen und sie tat es. Sie lächelte hoch zu mir und sagte: „Wir sehen uns in der Schule.“

Ich hatte kein Interesse, an jenem Nachmittag mit dem Bus nach Hause zu fahren. Ich ging den ganzen Weg zu Fuß. Ich schwebte nach Hause, voller Glücksgefühle. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so etwas in dieser schwierigen Welt überhaupt möglich wäre. Am nächsten Sonntag küssten wir uns wieder, dieses Mal auf der Couch, als Cara gerade nicht guckte. Diesmal war es, wie sich Erwachsene küssen. Ein Filmkuss, und sie steckte ihre kleine Zunge in meinen Mund. Ich glaubte, ich würde von der Couch nach oben schweben und in die Decke krachen. Sie kicherte und küsste mich erneut.

Am folgenden Sonntag regnete es heftig. Ich fuhr per Anhalter und hatte Glück, dass die Fahrt mich bis in die Nähe ihres Hauses brachte. Obwohl ich nur noch einen Häuserblock vor mir hatte, war ich durchnässt, bevor ich die Eingangsterrasse erreichte und an die Haustür klopfte. Tante Cara öffnete und sah mich an.

„Guten Tag“, sagte ich. „Schlimmer Regen heute.“

„Shirley ist nicht da, Clarence“, sagte Cara. „Sie ist schwanger.“

Das Lächeln war noch immer auf meinem Gesicht und wollte nicht so recht verschwinden. Es dauerte einige Zeit, bis die Bedeutung von Caras Worten bei mir ankam.

„Was?“, fragte ich.

„Ich weiß, dass du es nicht warst, Clarence. Du bist ein guter Junge. Es tut mir leid“, sagte sie.

Ich rief zu Hause an, um meinen Vater zu bitten, mich abzuholen.

„Wo bist du? Obwohl, als wenn ich das nicht wüsste...“, sagte meine Mutter.

„Bei Shirley“, sagte ich.

Ich hörte, wie meine Mutter die Sprechmuschel zuhielt und mit meinem Vater sprach.

„Clarence möchte wissen, ob du ihn drüben in Woodlawn abholen kannst.“

„Wie ist er da hingekommen?“

„Wie bist du da hingekommen?“, fragte sie mich.

„Per Anhalter“, antwortete ich.

„Sag ihm, er soll per Anhalter zurückfahren“, meinte mein Vater.

„Shirley ist schwanger“, sagte ich. „Aber das Kind ist nicht von mir. Ich hatte nichts damit zu tun.“

Meine Mutter legte auf.

Im Regen ging ich nach Hause. Wenigstens bekam niemand mit, dass ich weinte. Zu Hause zog mir meine Mutter die nassen Sachen aus und hüllte mich in eine warme Decke. Sie brachte mir eine Tasse Tee.

„Shirleys Tante hat angerufen und mir alles erzählt“, sagte sie. „Es tut mir leid, Clarence.“

Ich war untröstlich. Von dieser Verletzung habe ich mich nie wieder erholt.

* * *

Sie hat alle meine Beziehungen beeinflusst. Niemandem konnte ich mehr trauen. Nicht bedingungslos. Das hat sich eigentlich seit jenem Tag nie geändert. Wie sich herausstellte, war der Vater ihres Babys ebenfalls Mitglied des Footballteams. Er wusste nicht einmal, dass ich sie kannte. Es war nicht seine Schuld. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Ich habe Shirley nie wiedergesehen.

Clarence Clemons - Big Man

Подняться наверх