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Die Legende von der Strandpromenade, frühe 70er

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Damals redeten Bruce und ich oft stundenlang miteinander. Die nächste Geschichte ist eine Zusammenstellung von einigen dieser Gespräche. Wir haben uns vielleicht nicht exakt so ausgedrückt; es ist unmöglich, sich an alles zu erinnern, aber die Gefühle entsprechen der Wahrheit. Es gab viele, viele Abende, an denen es genau so war.

– C. C.

Bruce und Clarence saßen im Sand unterhalb der ­Strandpromenade in Asbury Park.

Es war einer jener warmen Sommerabende a der Jersey Shore. Alles schien möglich.

Es war noch früh am Abend, das Licht über dem Meer wechselte langsam ins Blau-Graue, bevor es schließlich dunkel wurde. Ein paar Sterne waren schon sichtbar.

Sie hatten ein Sixpack in einer Papiertüte dabei und gerade ihre erste Dose geöffnet. Das Bier war kalt und schmeckte wie der Sommer.

Über ihnen waren all die Klänge der Strandpromenade zu hören. Ein herrlicher Grillgeruch hing überall in der Luft.

Beide trugen Shorts, T-Shirts und Flipflops, die sie abgestreift hatten, um die Füße in den Sand zu stecken. Unter der Oberfläche war der Sand kühler, was sich gut anfühlte. Für später hatten sie sich mit zwei Mädchen in der Wonder Bar verabredet, sie dachten, leicht beschwipst würde ihnen das Reden leichter fallen.

Sie hatten ihre Zusammenarbeit noch nicht offiziell gemacht, aber durch die Musik war eine Verbindung entstanden, die sich gut anfühlte. Beide wussten, dass sie für eine lange, lange Zeit beste Freunde sein würden. Nicht dass sie darüber sprachen, aber es war offensichtlich, weil sie dieses seltene Gefühl der gegenseitigen Zuneigung hatten, das einige Leute nie erleben.

„Weißt du noch, wie sie heißen?“, fragte Bruce.

„Ann, und ich denke, die Blonde ist Janie, bin mir aber nicht ganz sicher“, sagte Clarence. Er nahm einen Schluck aus der Dose und fühlte, wie das Bier seine Kehle hinunterfloss. Den ganzen Tag über war es um die dreiunddreißig Grad gewesen, und der Wetterfrosch sagte, es würde sich so schnell nicht abkühlen.

„Ich mag dieses Wetter“, sagte Bruce.

„Yeah, ich auch“, sagte Clarence.

Für eine Weile saßen sie da und lauschten dem Gewirr von Schritten über ihnen, das einen eigenen Rhythmus bildete. Blecherne Karnevalsmusik schwebte hinter den Rufen und Schreien von Kindern, die sich plötzlich erschreckt hatten oder sich für etwas begeisterten. Diese Mischung an Lauten war so reichhaltig, so intensiv, dass sie Farben anzunehmen schienen. Der ganze Abend erglühte, als ob sich das Nordlicht auf diesen Streifen von New Jersey herabgelassen hatte und jeden und alles umhüllte.

„Wenn du jedes Auto der Welt haben könntest, welches würdest du dir aussuchen?“, fragte Bruce.

„Eine Vette“, sagte Clarence. „Eine gelbe Vette.“

„Meine ist schwarz“, Bruce lachte. „Eines Tages ...“

Sie tranken ihr Bier aus.

Das Wasser war übersät von glitzernden Punkten, den Lichtern der Boote auf dem offenen Wasser. Clarence dachte nach über all die Leute auf den Booten. Waren sie Fischer oder Leute, die den ganzen Tag da draußen zum Spaß herumsegelten?

„Wer wohl alles auf den Booten ist?“, machte sich Bruce Gedanken.

Clarence lachte. „Ich hab gerade dasselbe gedacht.“

„Ein Anwalt aus der Stadt, der den ganzen Tag da draußen auf seinem Kajütboot mit seiner Sekretärin verbringt“, sagte Bruce. „Aber die Maschine gibt ihren Geist auf, und er muss die Küstenwache rufen, damit sie ihn rettet, und er vergisst, dass der Bruder seiner Ehefrau bei der Küstenwache ist ...“ Bruce ließ die Geschichte in der Luft hängen.

Clarence gewöhnte sich an die Tatsache, dass Bruce auf diese Art redete. So dachte der Bursche – in Geschichten. Und sie hatten kein Ende. Er konnte weitererzählen und weiter und weiter, und sie waren wirklich verdammt gut. Er ließ Details und feine Nuancen einfließen, die die Figuren lebendig werden ließen. Er gab ihnen Größe. Und sie alle hatten Geheimnisse.

„Du kannst gut mit Worten umgehen“, sagte Clarence. Aber in dem Moment, wo er es sagte, wusste er, dass er so die Bewunderung für die Art und Weise, wie Bruce Dinge aus dem Nichts erschuf, nicht richtig vermitteln konnte.

„Du hast Talent“, fügte er hinzu.

„Nee“, sagte Bruce. „Ich kann nur gut Blödsinn erzählen.“

„Ich meine es ernst“, sagte Clarence. „Du könntest ein Buch schreiben oder so was.“

„Das sagt meine Mutter auch“, erwiderte Bruce. „Aber das ist nichts für mich. Zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht, wenn es mit der Musik vorbei ist.“

„Wenn wir tot sind“, sagte Clarence. „Dann ist es mit der Musik vorbei.“

„Yeah“, sagte Bruce. „Vor der Zeit mit der Musik konnte ich mich überhaupt kaum verständigen. Ich habe noch nicht einmal Blödsinn in der Schule erzählt, weißt du? Es war, als würden sie alle eine andere gottverdammte Sprache oder so sprechen. Den ersten Teil meines Lebens lebte ichganz in meiner eigenen Welt.“

„Wahrscheinlich hast du daher die Sache mit dem Geschichtenerfinden“, mutmaßte Clarence.

„Ja, vielleicht sollte ich dankbar sein“, sagte Bruce. „Vielleicht ist es gut, dass ich für mich allein war.“

„Hoffentlich bleiben wir heute Abend nicht allein.“

„Yeah. Mal sehen. Vielleicht spielen wir mit bei ... wer auch immer da auftritt. Das hilft immer“, sagte Bruce.

Sie tranken aus, zerdrückten die Dosen und verstauten sie in der Tüte mit den vollen. Sie öffneten zwei weitere. Es war jetzt fast völlig dunkel, und vor ihnen erstreckte sich der Abend wie ein Highway, der zu allen Orten in der Welt führte.

Und sie machten sich keine Sorgen.

„Ich möchte mit dem Saxofon meinen Lebensunterhalt verdienen“, sagte Clarence. „Ich will nie wieder einen anderen Job haben.“

„Ich versteh dich“, sagte Bruce. „Ich auch nicht. Kommt schon noch.“

„Denk ich auch“, sagte Clarence. „Ich glaub, dass da noch was Großes passiert. Eines Tages werden wir einen Hit landen und alles wird sich ändern. Das ist alles, was man braucht, einen gottverdammten Hit. Es muss gar nicht mal ein großer Hit sein. Nur ein gottverdammter Hit, und dann kann dich niemand mehr aufhalten.“

„Yeah“, sagte Bruce. „Dann kaufen wir uns Vetten, stimmts?“

„Stimmt“, sagte Clarence. „Mit denen brettern wir dann die gottverdammte Promenade runter.“

Sie lachten und prosteten sich zu.

Als sie die blinkenden Lichter der Flugzeuge hoch über sich betrachteten, überlegten sie, woher sie kamen und wohin sie flogen, und sie dachten beide daran, dass vielleicht mindestens eine Person, die sie kannten, in einem der Flugzeuge heute Abend mitfliegen würde. Aber keiner sprach darüber.

„Wie viele Personen, glaubst du, sind zu einer bestimmten Zeit in der Luft?“, sagte Bruce.

„Keine Ahnung. Müssen Zehntausende sein, wenn du alle Flugzeuge zählst, die überall auf der Welt in der Luft sind“, sagte Clarence.

„Das ist ein fantastischer Gedanke, nicht?“, fragte Bruce. „Da ist vielleicht die gesamte Bevölkerung von Rhode Island die ganze Zeit irgendwo in der Luft, am Himmel – und nicht auf Erden.“

„Yeah“, sagte Clarence. „Was bedeutet, sie können keine Tickets kaufen, um uns zu sehen, und wir können sie nicht vögeln. Die Frauen am Himmel.“

Bruce lachte. „Die Frauen am Himmel“, sagte er.

Man konnte ihn fast denken hören, als er den Satz in seinem Kopf hin und her wendete und ihn dann für einen möglichen späteren Gebrauch abspeicherte. Aber er sprach ihn nicht aus, und der Moment verstrich.

„Was, glaubst du, passiert, wenn du stirbst?“, fragte er.

„Auf der ganzen Welt werden die Mädchen zusammenbrechen und weinen“, sagte Clarence.

„Sicher, schon klar“, sagte Bruce. „Aber du glaubst doch an ein Leben nach dem Tod, richtig? Die ganze Sache mit dem Himmel?“

„Natürlich“, sagte Clarence. „Ich komme aus einer sehr religiösen Familie. Ich bin gläubig. Du nicht?“

„Ist eine schwierige Geschichte“, sagte Bruce. „Ich glaube, wenn du gestorben bist, ist alles so wie vor deiner Geburt. Du weißt schon, du versuchst, dich an die allererste Sache zu erinnern, stimmts?“

„Stimmt“, sagte Clarence.

„Und woran erinnerst du dich davor?“

„An nichts.“

„So sieht der Tod aus“, sagte Bruce. Eine halbe Ewigkeit verging, bevor er wieder sprach.

„Stelle ich mir so vor“, sagte er.

Eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand kam vom Wasserrand her den Strand hochgelaufen. Sie waren Herumstreuner, die nicht wollten, dass der Tag endete. Der Junge war etwa sieben Jahre alt und trug einen blauweißen Schwimmreifen um seine Hüfte. Mit Seepferdchen darauf, und beim Laufen in dem tiefen Sand kämpfte er damit, ihn mit seiner freien Hand festzuhalten. Er hatte ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Garden State“ an.

Die Frau entdeckte Bruce und Clarence, die hier in der Dunkelheit saßen, und begann instinktiv, eine andere Richtung einzuschlagen.

„Ist schon okay, keine Angst“, sagte Bruce. „Wir sind harmlos.“

Sie schaute näher zu ihnen hin, indem sie die Augen vor dem Schein der Pierlaternen über sich mit der Hand abschirmte.

„Bist du das, Bruce?“, fragte sie.

„Ja“, erwiderte er. „Wer bist du?“

„Ich habe deine Stimme erkannt“, sagte sie und näherte sich ihnen. Ich bin Vinnie Testas Mutter.“

„Hey“, sagte Bruce.

„Ich bin Maria Testa“, sagte sie. „Und das ist Vinnies kleiner Bruder, Carl.“

„Wie gehts, Carl?“, fragte Bruce den kleinen Mann.

„Gut“, sagte der Junge und schaute auf seinen Schwimmreifen.

„Bruce ist Sänger“, sagte sie zu Carl. „Und er hat eine Band. Vinnie hat mir von euch Jungs erzählt. Er hat gesagt: ‚Mom, du musst dir diesen Typen angucken.‘“

„Wie gehts Vinnie?“, fragte Bruce.

„Oh, weißt du“, sagte sie. Sie trug ein ausgefranstes weißes Männerhemd über einem noch feuchten einteiligen Badeanzug, der kleine Carl zerrte am Saum ihres Hemdes, als sie sprach. „Es geht ihm viel besser, seit er vergangenen Mai in Schwierigkeiten geraten ist.“

„Stimmt“, sagte Bruce und nickte.

„Er ist jetzt in der Gewerkschaft“, fuhr sie fort. „Und Klempner werden doch immer gebraucht, oder?“

„Oh ja“, sagte Bruce mit seinem typischen Lachen. „Das ist mein Freund Clarence Clemons.“

„Dich kenne ich auch“, sagte sie. „Du spielst bei Norman Seldin.“

„Ich bekenne mich schuldig“, sagte Clarence.

„Er ist auch gut“, sagte sie. „Ich hab im Student Prince gekellnert, deshalb kenne ich mich aus. Das ist eine Weile her, aber noch ... es war vor meinem Unfall. Jetzt bin ich arbeitsunfähig.“

Sie schwiegen betreten. Sie kannten etliche körperlich gesunde Leute, die arbeitsunfähig waren. Sie sah wie die typische Jersey-Mom aus, etwa 45 Jahre alt, hellbraunes, toupiertes Haar und vielleicht zwanzig Pfund Übergewicht. Auf die eine oder andere Art war sie wie viele andere, die sie kannten.

„Grüß Vinnie von mir“, sagte Clarence.

„Werde ich tun“, sagte sie mit einem breiten Lächeln. „Er wird sich wahnsinnig freuen, dass ich euch Jungs getroffen hab. Er redet immer von euch und was ihr zusammen gemacht habt. Ihr müsst mir versprechen, ihn aus Problemen rauszuhalten.“

„Er wird bei uns keine Probleme bekommen“, sagte Clarence. „Das verspreche ich.“

„Ich auch“, sagte Bruce. „Wir sind okay.“

„Auf jeden Fall“, sagte Clarence.

„Willst du ein Bier?“, fragte Bruce.

„Nein, danke“, sagte sie. „Ich muss nach Hause, das Abendessen vorbereiten. Wie auch immer, ich habs für die Fastenzeit aufgegeben und nie wieder damit angefangen.“

„Das ist gut“, sagte Clarence. „Nicht dass ich meine, dass du eine Trinkerin gewesen bist oder so.“

Sie lachte. Dabei schaute Carl zu ihr auf und lächelte.

„Nein, nein“, sagte sie. „Ist schon okay. Ich war eine Trinkerin, aber das ist eine ganz andere Geschichte.“

„Also“, sagte sie. „Machts gut, Jungs.“

„Okay“, sagte Bruce. „Tschüss, Carl.“

„Tschüss“, sagte der Junge. Er winkte und ließ seinen Schwimmreifen fallen. Er hob ihn auf, ohne die Hand seiner Mutter loszulassen, und zog ihn wieder hoch bis zum Bauch und hielt ihn in der Balance auf der Hüfte. Dann gingen sie Richtung Treppe.

„Sag Vinnie, er soll mich anrufen“, sagte Clarence.

„Werde ich“, rief sie zurück.

Sie gingen hoch zur Promenade.

Bruce nippte an seinem Bier und wandte sich dann Clarence zu.

„Ich hab keine Ahnung, wer Vinnie Testa ist“, sagte er. „Du?“

„Keinen blassen Schimmer“, sagte Clarence.

Clarence Clemons - Big Man

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